Marktmacht pur

Von Uwe Pralle · 02.01.2007
Standard Oil war im Zeitalter der fossilen Energieträger der erste große Ölkonzern. Das Risiko der Ölförderung ging der von John D. Rockefeller gegründete Trust zwar nie ein, aber zeitweise beherrschte er bis zu 90 Prozent der weltweiten Verarbeitung sowie des Transports und Handels mit Öl. Rockefeller hat die Strategie, den gesamten Markt zu beherrschen, stets durch die Verschachtelung seines Imperiums verborgen.
Ohne die rasante Ausdehnung des Eisenbahnnetzes seit den 1850er Jahren im Osten der USA wäre er kaum zum reichsten Mann der Welt geworden, allerdings auch nicht - wie sein Standard Oil Trust - von vielen so sehr gehasst worden.

John Davison Rockefeller war bahnbrechend originell vor allem in einer Hinsicht: Im Industrialisierungsschub nach dem Bürgerkrieg witterte er das große Geschäft mit Öl, als in Pennsylvania die weltweit ersten Quellen sprudelten. Zudem hatte er keinerlei Skrupel, dieses Geschäft so vollständig in seine Hände zu bringen, dass es 1886 bei einer Senatsdebatte hieß:

"Es handelt sich darum zu wissen, ob die Standard Oil, diese geheime Macht, die das Öl und die Eisenbahnen kontrolliert, auch über unsere Körperschaft ihre Kontrolle ausüben soll."

Die Wurzeln dieser "geheimen Macht", die viele Jahre lang Ölproduzenten, Eisenbahngesellschaften und Politiker das Fürchten lehrte, gingen ins Jahr 1872 zurück. Zwar hatte Rockefeller schon während des Bürgerkriegs in Cleveland, Ohio, eine erste Ölraffinerie gegründet und ihr 1870 den Namen Standard Oil Company gegeben. Doch erst im so genannten Ölkrieg von 1872 entstand die Struktur jenes Trusts, den Rockefeller unter Umgehung der Gesetze zum Monopol ausbaute.

Rockefellers Schachzüge sind ein Lehrstück über Marktkontrolle. Da in Cleveland schon mehrere Eisenbahnlinien existierten, konnte er sie gegeneinander ausspielen, um für Rohöl aus Pennsylvania günstige Frachttarife zu erhalten, und dazu wurde Anfang Januar 1872 ein geheimes Kartell gebildet. Als das an die Öffentlichkeit drang, gab es einen Aufschrei der Empörung sowie eine Anklage wegen Verschwörung gegen den freien Handel. Offiziell ruderte Rockefeller zurück, doch tatsächlich nutzte er die Verunsicherung der Konkurrenz, um systematisch ihre Ölraffinerien aufzukaufen.

Weil es damals nicht gestattet war, Firmenanteile außerhalb des Bundesstaates zu halten, in dem man ansässig war, ließ Rockefeller die aufgekauften Raffinerien als Tochtergesellschaften unter anderem Namen firmieren. So entstand die verschachtelte Trust-Struktur von Standard Oil. Erst als der Firmensitz 1882 nach New York verlegt wurde, gelang es Rockefeller durch eine komplizierte juristische Konstruktion, den Trust zu legalisieren. vorübergehend jedenfalls.

Couragierte Politiker, Staatsanwälte und Konkurrenten sorgten jedoch dafür, dass in 16 Bundesstaaten Anti-Trust-Gesetze zustande kamen und 1890 schließlich auch der US-Kongress eines verabschiedete. Eine Untersuchungskommission des New Yorker Senats kam trotzdem zu dem alarmierenden Befund:

"Die Vermögenswerte des Trusts bilden [...] die gigantische Geldmacht dieses Kontinents. Ihr Einfluss, der sich über jeden Staat der amerikanischen Union erstreckt, reicht bis in die kleinsten Dörfer."

Urteile gegen den Trust verschleppte Standard Oil jahrelang in einem Katz-und-Maus-Spiel mit der Justiz. Erst als mit Teddy Roosevelt ein Präsident ans Ruder kam, der nicht an Rockefellers Gängelband hing, wurde der Trust nach einem Spruch des Obersten Gerichts 1911 zerschlagen. Rockefellers Reichtum litt unter der Aufteilung in Firmen wie Exxon-Mobile oder Chevron nicht, denn er blieb Großaktionär aller 34 entstehenden Unternehmen. Allerdings ist der märchenhafte Reichtum des Standard-Oil-Gründers aus heutigem Blickwinkel eher ein Symbol für die rasende Verschleuderung der Ölvorräte dieser Welt.