Mark Hertsgaard: "Die Aufrechten"

Snowdens gescheiterte Vorgänger

Der ehemalige NSA-Mitarbeiter Thomas Drake nimmt am 29.01.2015 im Haus der Kulturen der Welt in Berlin auf der Transmediale 2015 an einer Diskussionsrunde teil.
Der ehemalige NSA-Mitarbeiter Thomas Drake bei einer Diskussionsrunde im Haus der Kulturen der Welt in Berlin © picture alliance / dpa / Britta Pedersen
Von Vera Linß · 15.06.2016
Das Buch "Die Aufrechten" von Mark Hertsgaard hat eine zentrale Botschaft: Wer als Whistleblower in den USA gesetzestreu handeln will, muss scheitern - wie zum Beispiel Thomas Drake, ein ehemaliger hochrangiger NSA-Angestellter. Ein Plädoyer für zivilen Ungehorsam.
"NSA greift Millionen Telefondaten von Verizon ab", titelte die britische Zeitung "The Guardian" vor drei Jahren und schockierte die Weltöffentlichkeit. Kurz zuvor hatte sich der Whistleblower Edward Snowden nach Hongkong abgesetzt - mit 1,7 Millionen Dokumente des US-Inlandsgeheimdienstes NSA im Gepäck.
Das brisante Material übergab er den Journalisten Glenn Greenwald und Laura Poitras, und die bislang größte Enthüllungsaktion zu den illegalen Überwachungspraktiken eines westlichen Geheimdienstes begann. Seit dem ersten Zeitungsartikel im Juni 2013 ist die "NSA-Affäre" ein mediales Dauerthema.

Ein akribisch geplanter Coup

Weniger gesprochen wird dagegen über den kulturellen Background der Enthüllungen. Der damals 29-jährige in NSA-Diensten stehende Snowden hatte sein Vorgehen über Monate akribisch geplant und die gesammelten Daten nur einer Handvoll Eingeweihter anvertraut.
Deshalb wirkt sein Coup auf den ersten Blick wie die Glanzleistung eines Einzelnen und seiner Mitstreiter. Tatsächlich aber, so die These von Marc Hertsgaard, sei Snowden nur deshalb so überlegt vorgegangen, weil er aus den Fehlern anderer gelernt hatte.
Zwei von ihnen, die bitter für ihr "Whistleblowing" bezahlen mussten, hat der Journalist getroffen: Thomas Drake, hochrangiger NSA-Angestellter, hatte nach 9/11 entdeckt, dass die Behörde Milliarden für ein ineffektives Spähprogramm namens "Trailblazer" verschleuderte und illegal Millionen Amerikaner ausspionierte. Er machte das öffentlich; wie auch John Crane, der hier zum ersten Mal über seine Geschichte spricht.

Lehrstücke für Edward Snowden

Crane verantwortete im Pentagon eine Hotline, an die man sich vertraulich wenden kann, um Missstände aufzudecken. Der versprochene Schutz entpuppte sich jedoch als leeres Versprechen. Präzise rekonstruiert Marc Hertsgaard den bis heute andauernden Leidensweg der beiden Männer, deren "Vergehen" darin bestand, behördliches Fehlverhalten auf legalem Weg aufzuzeigen. Beide verloren ihre Existenz und wurden kriminalisiert - Lehrstücke für Edward Snowden.
Allerdings belässt es Mark Hertsgaard nicht bei diesen Nahaufnahmen. Er spricht darüber hinaus mit Rechtsanwälten, weiteren Whistleblowern und mit Ex-NSA-Chef Michael Hayden. Stück für Stück setzt sich so die ungeheuerliche Geschichte des amerikanischen Whistleblowings, die schon in den 1970ern beginnt, zusammen.
Dramatisch, wie viele Menschen dabei Repressionen erfuhren: John Kiriakou, der Folterungen durch die CIA öffentlich machte, oder Jeffrey Sterling, der ebenfalls über Verfehlungen der CIA berichtete. Über 7000 Whistleblower hat allein die Nonprofit-Organisation "Gouvernement Accountable Project" beraten. Die meisten von ihnen erhielten mitunter schwere Strafen.
Schnell wird klar: Edward Snowden war auch deshalb so wirkungsvoll, weil er anders als die anderen Whistleblower das System, das er kritisierte, vorher verließ. Und so ist eine der wichtigsten Botschaften dieses Buches: Wer als Whistleblower in den USA gesetzestreu handeln will, muss scheitern.
Das Einzige, was funktioniere, so der Rechtsanwalt Thomas Devine, sei ziviler Ungehorsam. Genau dafür ist Mark Hertsgaards Buch ein starkes Plädoyer. Gut so!

Mark Hertsgaard: "Die Aufrechten. Whistleblowing in der Ära Snowden"
Übersetzt aus dem Englischen von Henning Dedekind, Enrico Heinemann, Karsten Petersen und Stephanie Singh
Hanser Verlag, München 2016, 224 Seiten, 15 Euro

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