Mário de Andrade: "Senhorita Elsa. Die Schule der Liebe"

Wie man Flirten und Begehren lernt

Cover des Buchs "Senhorita Elsa. Die Schule der Liebe" von Mário de Andrade vor Hintergrundbild eines zerwühlten Betts
"Senhorita Elsa. Die Schule der Liebe" von Mário de Andrade führte der brasilianischen Gesellschaft Ende der 1920er-Jahre ihre Doppelmoral vor. © Photo by HS LEE on Unsplash / Louisoder Verlag
Von Manuela Reichart · 15.12.2017
Mário de Andrades Roman "Senhorita Elsa. Die Schule der Liebe" war 1927 ein Skandal. Er erzählt, wie die Deutsche Elsa Schumann von wohlhabenden Vätern in Brasilien engagiert wird, um ihren Söhnen den ersten Sex im Bordell zu ersparen. Doch die Gefühle lassen sich nicht immer ausblenden.
Brasilien 1927: Eine attraktive Mitdreißigerin aus Hamburg geht seit einigen Jahren einem ausgefallenen Broterwerb nach. Sie lehrt Söhne aus reichen Häusern die Liebe. Es geht in diesem Roman jedoch nicht um Prostitution, sondern um einen selbstbestimmten Liebes-Unterricht.
Sie ist eine Arbeitsmigrantin und lebt sein zwei Jahrzehnten in São Paulo. Sie träumt vom idealen Mann, der zu Hause in Hamburg auf sie wartet. In der Wirklichkeit hat sie jedoch einen Traumberuf der besonderen Art: Sie ist "Lehrerin der Liebe" und wird von wohlhabenden Vätern engagiert, die ihren Söhnen den ersten Sex im Bordell ersparen wollen, oder auch fürchten, die Knaben könnten sich ernsthaft in die Falsche verlieben. Elsa Schumann wird als Erzieherin ins Haus geholt, lehrt die jungen Herren das Flirten und Begehren, die Sehnsucht und den Sex.
Sie ist die ideale Angestellte, denn "vom ersten Augenblick an hatten alle in der Familie das Gefühl, sie schon seit Ewigkeiten zu kennen, als sei sie ein Teil ihrer Vergangenheit. Denn nichts scheint einem natürlicher als kalkulierte Ungezwungenheit. Und diese praktische Kunst der Anpassung ist vor allem ein Charakterzug der Deutschen im Ausland." Nach Erfüllung ihres Auftrags, nach den absolvierten Lektionen verschwindet die anpassungsfähige Deutsche dann auch wieder diskret aus dem Leben der Familie.

Doppelmoral der Gesellschaft vorgeführt

Der brasilianische Autor Mário de Andrade (1893-1945) war Musiker und Lyriker. Ein bei uns unbekannter, in seiner Heimat jedoch wichtiger Autor, der mit diesem, seinem ersten Roman 1927 für einen ziemlichen Skandal sorgte. Eine selbstbestimmt lebende Frau bringt einem 16-jährigen Jungen nicht nur die deutsche Sprache und das Klavierspielen bei, sie führt ihn auch geschickt in die Kunst der Liebe ein. Und das auch noch mit Wissen des Vaters. In diesem intelligenten und amüsanten Roman kommt die gute brasilianische Gesellschaft nicht gut weg, nicht zuletzt wird ihre Doppelmoral vorgeführt. Das brachte dem Autor nicht gerade freundliche Reaktionen ein.
Dass sich der Junge am Ende in die Lehrerin heftig verliebt und auch sie nicht kalt bleibt in diesem Lehr-Auftrag, macht die Sache nicht einfacher.

Die Lehre von Erotik und Sex

"Senhorita Elsa" gehört in die Reihe des brasilianischen Modernismus, der sich nicht zuletzt dadurch auszeichnete, dass man die eigene Literatur und Kultur gegen die europäische Übermacht behaupten wollte. Der Autor zeichnete sich offenbar auch durch eine ungewöhnliche, an der Moderne geschulte Sprache aus. Das kann man in dieser Übersetzung aus dem Amerikanischen jedoch nicht nachvollziehen.
Heute liest man jedenfalls erstaunt und höchst vergnügt einen Roman, der lange vor der sexuellen Revolution unserer Breitengrade genau davon und mit frecher Selbstverständlichkeit erzählt: dass Erotik und Sex gelernt und gelehrt werden sollten.
Mário de Andrade: Senhorita Elsa. Die Schule der Liebe
aus dem amerikanischen Englisch von Johanna von Koppenfels
Louisoder Verlag, München 2017
285 Seiten, 22 Euro
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