Margot Litten über ihr Projekt

    "Das sind Geschichten, die man nicht vergisst"

    Plastik auf dem Urnenhain Tolkewitz
    Plastik auf dem Urnenhain Tolkewitz in Sachsen: Wenigstens nach dem Tod ihrer Nächsten wollen (oder können) viele Menschen ihre Gefühle artikulieren. © dpa / picture alliance / Sebastian Kahnert
    Margot Litten im Gespräch mit Tanja Runow · 31.05.2018
    Begonnen hat sie ihr Projekt mit Gesprächen auf Friedhöfen, doch bald kamen die Botschaften von Hörern dazu. Margot Litten berichtet im Gespräch: "Mir ist klar geworden, wie viel im Leben ungesagt bleibt zwischen Paaren, Kindern und Eltern, Geschwistern, Freunden."
    Tanja Runow: "Mit Toten sprechen"... Als Du damals mit Deiner Idee für diese Serie zu mir kamst, war ich fasziniert und skeptisch zugleich. Was würden die Leute denn da erzählen – einer fremden Reporterin? In jedem Fall schien mir das Thema nicht gerade naheliegend. Wie bist Du darauf gekommen?
    Margot Litten: Reiner Zufall. Ich besuchte das Grab meiner Eltern und kam mit einer Frau ins Gespräch, die am Nachbargrab eine rote Rose für ihren Mann hingelegt hatte. "Jetzt kann ich das", gestand sie mir verlegen lächelnd. "Ich hab' mich nämlich mit ihm ausgesöhnt. Hab' ihm endlich mal so richtig meine Meinung gesagt, seitdem geht's mir besser. Zu seinen Lebzeiten hab ich mir das einfach nicht getraut. Und dann ist er ganz plötzlich gestorben."
    Die Begegnung mit dieser Frau war die Initialzündung für mein Projekt "Was ich Dir noch sagen wollte". Mir war klar geworden, wie viel im Leben ungesagt bleibt zwischen Paaren, Kindern und Eltern, Geschwistern, Freunden. Und wie befreiend es sein kann, es wenigstens posthum noch zu artikulieren. Schönes und Trauriges, Enttäuschungen, aber auch Liebe und Zärtlichkeit. Die Sehnsucht nach dem geliebten Menschen, der nicht mehr da ist, aber der unser Leben vielleicht in irgendeiner Weise immer noch prägt oder darin mindestens präsent ist.
    Tanja Runow: Hast Du Deine Gesprächspartner dann erst mal ausschließlich aus Deinem persönlichen Umfeld rekrutiert? Oder wie bist Du vorgegangen?
    Margot Litten: Ich war erst mal auf verschiedenen Münchner Friedhöfen und habe Leute angesprochen, junge Menschen, alte Menschen, manche, die in der Mittagspause auf einer Bank in der Sonne saßen, andere, die dort spazieren gingen − in der Hoffnung, in diesem quasi meditativen Umfeld Interesse für mein Projekt wecken zu können. Und so war es auch. Erstaunlicherweise hat gerade die Tatsache, dass man sich nicht kannte, es manchen Leuten leichter gemacht, den Schritt zu wagen und sehr persönliche Dinge auszusprechen. Im Bekanntenkreis war das viel schwieriger.
    Tanja Runow: Sind Dir einzelne Begegnungen besonders im Gedächtnis geblieben?
    Margot Litten: Ich war vor allem immer wieder berührt darüber, wie offen und ehrlich diese Menschen gesprochen haben. Dass da eine Tiefe entstanden ist im Gespräch, die man im Alltag sonst selten erreicht. Manche bedankten sich hinterher und sagten, es habe ihnen gut getan, endlich frei über ihre Gefühle und Erfahrungen zu sprechen. Es waren teilweise schon sehr emotionale, tränenreiche Begegnungen. Besonders im Gedächtnis ist mir das Treffen mit einer Pianistin, deren Mutter ihre eigenen unerfüllten Karriereträume an ihr verwirklichen wollte. Mit einer unglaublichen Klarheit hat sie darüber gesprochen. Über diese Ambivalenz aus Wut einerseits und Dankbarkeit andererseits. Das sind Geschichten, die man nicht vergisst.
    Tanja Runow: Bereits nach Ausstrahlung der ersten Folgen kamen die ersten Mails von Hörern, teils auch schon mit eigenen Botschaften an ihre Verstorbenen. Als wir dann ganz offiziell den Höreraufruf starteten, bekamen wir viel mehr Meldungen, als wir eigentlich produzieren konnten. Warst Du eigentlich überrascht über dieses Feedback?
    Margot Litten: Ja, ich war überrascht. Obwohl ich bei meinen Begegnungen auf dem Friedhof bereits auf sehr viel Interesse gestoßen war. In den Briefen und Gesprächen mit den Hörern ist mir dann aber nochmal bewusst geworden, wie sehr wir im Alltag solche Themen verdrängen, die uns andererseits aber sehr beschäftigen. Auch wenn man sich das nicht immer eingesteht. Leider konnten wir nicht alle angebotenen Beiträge senden, es wäre sonst eine Endlos-Serie geworden, aber wir haben uns dann entschieden, auf unserer Homepage zumindest noch aus den Briefen zu zitieren, die uns zu spät erreichten.
    Tanja Runow: Was hast Du mitgenommen aus diesen vielen Gesprächen und Begegnungen?
    Margot Litten: Vor allem die Erkenntnis, wie wichtig es ist, möglichst im Hier und Jetzt all das auszusprechen, was einen bewegt. Um Beziehungen zu stärken, anstatt sie zu schwächen.

    Margot Litten, in München geboren, studierte Pädagogik & Psychologie. Viele Jahre Redakteurin, Regisseurin & Moderatorin in der Feature-Redaktion des Bayrischen Rundfunks. Ausgezeichnet mit diversen nationalen und internationalen Feature-Preisen. Seit 2015 freiberufliche Autorin für Funk und Fernsehen, u.a. DLF Kultur und 3sat.

    © Foto: privat