"Manifest einer politischen Nostalgie"

Moderation: Nana Brink · 28.07.2005
Der ehemalige hessische Justizminister Rupert von Plottnitz hat das Buch "Die Kultur der Freiheit" des Verfassungsrichters Udo di Fabio als "Manifest einer politischen Nostalgie" bezeichnet. In seinem "Erbauungstraktat" käme der Wunsch nach alten Werten wie Nation, Religion und Familie zum Ausdruck.
Brink: In aller Munde ist der Name von Udo di Fabio, Richter am zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichtes. Die Klagen gegen die Auflösung des Bundestages werden dort verhandelt und landen auf dem Tisch von Di Fabio, der als Berichterstatter des Bundesverfassungsgerichtes das Urteil verkünden wird. Anfang der Woche hat er sein neues Buch veröffentlicht, "Die Kultur der Freiheit" heißt es und wird zum Beispiel als Rückgriff auf die Werte der goldenen 50er Jahre gelesen, so eine Art sehnsuchtsvoller Blick auf Begriffe wie Nation oder Familie.

Ich bin jetzt verbunden mit Rupert von Plottnitz, ehemals hessischer Justizminister, jetzt Mitglied am hessischen Staatsgerichtshof. Wie haben Sie das Buch denn gelesen?

Rupert von Plottnitz: So ähnlich, wie es gerade von Ihnen schon angesprochen worden ist. Zum einen liest es sich, es ist ein sehr fleißiges Buch, an die 300 Seiten, ein bisschen wie ein Erbauungstraktat, zum anderen aber in der Tat auch als Manifest einer politischen Nostalgie und zwar nach der angeblich guten alten Zeit in den 50er Jahren. Di Fabio fordert mit seinem Buch nicht mehr und nicht weniger als die Erneuerung des bürgerlichen Zeitalters, gestützt auf die Werte Nation, Familie und Religion, also das ist ganz schön happig alles.

Brink: Das klingt nach sehr schwerer Kost. Welche Philosophie oder auch eine politische Einstellung äußert sich denn da?

Rupert von Plottnitz: Vor allen Dingen die Vorstellung, dass bestimmte Verfassungswerte, die in der Aufklärung wurzeln, vor allem die der Freiheit und Gleichheit, in ihrer aktuellen Erscheinungsform nicht mehr sonderlich produktiv sind und dass deswegen wieder eine Rückbesinnung wurzelnd auf traditionelle Werte: Nation, Familie, der Kinderwunsch in der Familie und dann aber auch die Religion.

Brink: Das sagt ja nicht irgendjemand, sondern ein Richter am Bundesverfassungsgericht, der ja auch bald mit anderen zusammen eine schwerwiegende Entscheidung fällen muss. Spüren Sie da eine Sehnsucht nach solchen Werten in der deutschen Gesellschaft?

Rupert von Plottnitz: Ich glaube, das ist wahrscheinlich das Spannendste an dem Buch, dass sich Vorstellungen äußern, die ja inzwischen auch in anderen Zusammenhängen, wenn ich zum Beispiel an die Unionsparteien denke, auch eine erhebliche Rolle spielen. Auch dort hört man ja immer mehr Stichworte wie den Ruf nach einem neuen Patriotismus, nach der Wiederbelebung der Vaterlandsliebe, da drückt sich dann doch ein Nichtbehagen an den gegenwärtigen Zuständen der Gesellschaft, in der Welt aus, das ganz symptomatisch ist und das drückt sich auch in dem Buch von Herr Di Fabio aus.

Brink: Ist das typisch für eine bestimmte konservative Strömung in diesem Land, die wirklich etwas mit diesem Wahltermin zu tun hat?

Rupert von Plottnitz: Zumindest kann man sagen, es ist das Buch zum Wahlkampf bestimmter Gruppierungen wie der CDU, denn dort geht es ja auch, wenn ich an den Umgang mit der EU denke und die Forderung nach einer Renaissance nationaler Werte, um die Ablehnung der Forderung nach einem Beitritt der Türkei, insofern passt das schon ganz gut in die Landschaft.

Es passt aber natürlich auch in eine politische Situation, in der es mehr und mehr Kritik an den Erscheinungsformen einer globalisierten Wirtschaft gibt und um die Frage in dem Zusammenhang, wie man damit umgeht. Di Fabio meint, man könnte gut und produktiv damit umgehen, indem man sich wieder wie gesagt auf Traditionswerte besinnt. Ich glaube das zwar nicht, aber insofern halte ich das alles für sehr symptomatisch.

Brink: Wenn Sie das nicht glauben, woran glauben Sie denn dann, wie man so eine Sehnsucht denn auch befriedigen kann? Die ist ja da.

Rupert von Plottnitz: Indem man, wenn es etwa um die EU geht, nicht glaubt, dass der Nationalstaat, der ja deswegen wenn überhaupt in der Krise ist, weil er transnationale Probleme nicht mehr mit seinen nationalen Mitteln und Möglichkeiten lösen kann, die richtige Antwort ist, sondern da muss man dann halt im Zweifelsfall den Mumm haben, europäische Lösungen zu fordern und zwar auf strikt demokratischer und rechtsstaatlicher Grundlage. Das aber, glaube ich, hält Di Fabio zum Beispiel für wenig machbar, weil er die EU als supranationales Gemeinwesen für strukturell nicht sonderlich demokratiefähig hält.

Brink: Auffällig ist doch, dass auf der einen Seite eine Kritik an der heutigen Gesellschaft von links gibt, die "Heuschreckendebatte", die wir hatten und nun, wenn wir das Buch von Di Fabio nehmen, von der rechten Seite. Sehen Sie das ähnlich?

Rupert von Plottnitz: Da kann man in der Tat Parallelen feststellen, ich würde nicht so weit gehen zu sagen, dass Herr Di Fabio jetzt, wenn Sie so wollen, im Rahmen eines Erbauungstraktats auch eine radikale Systemkritik von konservativer Seite präsentiert. Das wäre sicherlich dem Werk nicht angemessen. Aber richtig ist doch, dass sich in solchen Veröffentlichungen eben eine grundsätzliche Unzufriedenheit über den Stand der gesellschaftlichen und wirtschafts- und sozialpolitischen Dinge verbirgt, in diesem Fall, wenn man so will, eine Unzufriedenheit von rechts, die gibt es aber auch von links. Übrigens auch von links dann manchmal gespeist aus der Illusion, man könne jetzt sozusagen mit den Herrlichkeiten des alten Nationalstaates wieder alles richten.

Brink: Was treibt denn einen Richter wie Di Fabio, das ist ja ein seriöses Geschäft - womit ich nicht sagen will, dass man da keine Bücher, vielleicht auch Romane schreiben kann - dazu, das so auch im Rahmen eines Erbauungstraktats zu schreiben?

Rupert von Plottnitz: Das ist natürlich ein etwas polemischer Begriff, das gebe ich zu. Dass er etwas schreibt, dagegen ist überhaupt nichts zu sagen und auch dass er ein umfangreiches Buch vorlegt, in dem es nicht vordergründig um Verfassungsrecht und verfassungsrechtliche Streitigkeiten geht, daran ist auch nichts zu kritisieren. Wenn überhaupt, kann man über den Inhalt streiten, denn nur weil jemand Verfassungsrichter ist, ist ja noch nicht gewährleistet, dass das, was er etwa politisch sagt, schon richtig sein muss.

Ich finde, in dem Buch, das muss man auch mal sagen, gibt es zur Frage des angemessenen Umgangs mit der deutschen Vergangenheit und dem NS-Regime schon sehr unannehmbare Passagen, also Vorstellungen einer Entsorgung der deutschen Geschichte, mit denen ich mich nicht gemein machen wollte.

Brink: Nun wird natürlich auch darüber spekuliert, ob es in dem Buch eventuell Hinweise gibt, was der Verfassungsrichter von den Entscheidungen des Bundeskanzlers und des Bundespräsidenten hält. Gibt es das?

Rupert von Plottnitz: Nein, nach meiner Feststellung nicht. Ich habe ja gesagt, es geht nicht um aktuelle verfassungsrechtliche Streitfragen, es gibt allerdings Hinweise auf eine bestimmte Haltung, die möglicherweise auch mal rechtssprechungsrelevant werden könnte. Er setzt sich zum Beispiel sehr kritisch auseinander mit den europa- oder nationalrechtlichen Bemühungen um eine Antidiskriminierungsgesetzgebung. Das hält er für eine freiheitsbedrohliche Entwicklung, obwohl es ja da um nicht mehr, aber auch nicht weniger geht als in der Verfassungswirklichkeit des Landes und der EU dem Gleichheitsgebot zur Durchsetzung zu verhelfen. Das sind kritische Passagen, bei denen man sich vorstellen könnte, dass das möglicherweise in wie auch immer gearteten verfassungsgerichtlichen Streitigkeiten eine Rolle spielen könnte.

Brink: Nun sind Sie selber Mitglied an einem Staatsgerichtshof, nämlich dem hessischen. Was glauben Sie, wie er entscheidet, wie geht es aus?

Rupert von Plottnitz: Da kann man eigentlich nur spekulieren, wie gesagt, Aufschluss darüber ist dem Buch nicht zu entnehmen, aber wenn ich eine Prognose anstellen sollte: mich würde es wundern, wenn die Entscheidung des Bundespräsidenten gekippt würde.