Manga "Attack on Titan"

Ein Manga als dunkles, teutonisches Märchen

Zwei Ausgaben von "Attack on Titan"
Zwei Ausgaben von "Attack on Titan" © Deutschlandradio - Stefan Mesch
Von Stefan Mesch · 16.11.2015
"Attack on Titan" ist ein monatlich erscheinender japanischer Manga für Jugendliche - und mit 50 Millionen verkauften Exemplaren ein Riesenerfolg. Erzählt wird eine düstere Geschichte um riesige Monster und soldatische Ehre, allerdings mit fragwürdigen Sozialdarwinismen.
Der König heißt Fritz. Die Helden heißen Armin, Eren, Christa. Ihr Kommandant heißt Erwin – eine Hommage des Autors an Erwin Rommel. Seit 2009 erzählt die japanische Horror-, Action-, Fantasy-Reihe "Attack on Titan" eine Soldatengeschichte über Pflichtbewusstsein, Ehre, Gehorsam und Opfer. Junge Schwertkämpfer und Reiter kämpfen gegen riesige Titanen, die alle Menschen verschlingen wollen.
Die bisher 18 Sammelbände konnten weltweit 50 Millionen Exemplare absetzen. Viele Goliaths, viele Davids, schludrig gezeichnete Duelle und Schlachten. Der erfolgreichste Comic der letzten Jahre.
Japaner schätzen Deutschland als Reiseziel. Mangas zeigen auch 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg gern deutsche Effizienz, deutschen Stolz, deutsche Härte. Bis heute spielen immer wieder deutsche Namen oder Schauplätze kleine Nebenrollen. Doch nur "Attack on Titan" spielt in einer dystopischen Welt, straff wie Preußen, düster wie Grimms Märchen-Deutschland:
Fachwerkhäuser und Bauernhöfe, dunkle Wälder, keine Dampfkraft oder Elektrizität. Ist das die Zukunft, nach einem fatalen Krieg? Oder eine alternative Geschichtsentwicklung?
Der König lebt hinter Festungsmauern
Seit über 100 Jahren lebt die gesamte Menschheit versteckt hinter etwa 50 Meter hohen Mauern. Die Ärmsten in Fachwerkhäusern wie aus Süddeutschland im Mittelalter. Der König und die Oberschicht gut geschützt hinter zwei weiteren Festungskreisen, in einer dekadenten Hauptstadt voller Gründerzeit-Gebäude. Die einzigen aufrechten, klugen Menschen im Comic sind Soldaten.
So lange der Schutzwall alle drei bis 15 Meter hohen, geistlosen Titanen abhält, gelten die Titanen-Such- und Abwehrtrupps als Steuerverschwendung. Dann taucht ein über 50 Meter hoher Riese auf – und zerstört die Mauer. Drei jugendliche Opfer der Titanen-Invasion beginnen die riskante Ausbildung. Der König lässt das ärmste Fünftel der Menschheit ins Titanen-Gebiet werfen, um Vorräte und Ressourcen zu sparen. In ca. 25 Bänden will Autor und Zeichner Hajime Isayama zeigen, wie Politik, Militär, einzelne Menschen auf eine Welt ohne Sicherheit reagieren – jeden Tag bedroht von fremden, grotesken, unerklärlichen Wesen.
Lieblos-primitiv gezeichnet
"Attack on Titan" ist mitreißend, überraschend, zynisch, wütend. Eine Zeichentrick-Adaption seit 2013 erzählt den Plot in aufwändigen Zeichnungen neu. Doch der Original-Manga ist simpel, oft lieblos-primitiv gezeichnet wie keine andere ähnlich erfolgreiche Reihe. Ein dunkles, teutonisches Märchen über Selbstaufgabe und soldatische Ideale, "wertlose", schwache Menschen und eiserne Militärs.
Im Rahmen der Ausbildung müssen die Helden klettern. Sie sind kaum abgesichert, und der Autor erklärt, dass Rekruten bei der gefährlichen Übung zu Tode kommen. Das macht nichts – erklärt Hajime Isayama – denn wer beim bloßen Klettern stirbt, wäre eh keine Hilfe im Duell mit Riesen.
Die härtesten Hunde, die größten Zyniker, die schlimmsten Sozialdarwinisten im "Attack on Titan"-Ensemble behalten immer wieder Recht: Bürger sind Schafe. Priester spielen falsch. Die Adligen sind korrupt. Und nur Soldaten, Mauern, kompromisslose Attacken gegen alles Fremde dort draußen können uns retten. Ein packender Manga – populistisch, hässlich, reaktionär. Oder: faschistisch?

Hajime Isayama: Attack on Titan
Deutsch bei Carlsen Comics, ab 2014
bisher 16 Bände

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