"Man muss sich immer in die Figur hineindenken"

Andreas Deja im Gespräch mit Jürgen König · 10.12.2009
Andreas Deja arbeitet seit 30 Jahren als Zeichner bei den Disney-Studios und hat sich dabei einen Kindheitstraum erfüllt. Für die neue Produktion "Küss den Frosch" hat er die Figur der Mama Odie erfunden. Das Technisch-Zeichnerische sei dabei zweitrangig, wichtig sei es, sich in die Figur voll und ganz hineinzuversetzen.
Frank Meyer: Andreas Deja, das ist ein Mann, der sich einen Traum erfüllt hat. Als Zehnjähriger sieht Andreas Deja in seiner Heimatstadt Dinslaken den Disney-Film "Das Dschungelbuch". Er schreibt - noch als Kind! - an die Disneystudios, um sich dort zu bewerben. Er wird nicht gleich genommen – aber einige Jahre später, nachdem er an der Folkwangschule in Essen studiert hat, da bewirbt Andreas Deja sich erneut bei Disney – und diesmal klappt es. Seit fast 30 Jahren arbeitet er nun für Disney-Filme, mittlerweil ist er einer der Chefzeichner, er hat so berühmte Figuren wie den komischen Hasen Roger Rabbit oder den hinterhältigen Gaston aus "Die Schöne und das Biest" erfunden. Für den neuen Disney-Film "Küss den Frosch" hat er die Voodoopriesterin Mama Odie gezeichnet.

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Der Film "Küss den Frosch" – heute kommt er in unsere Kinos. Der deutsche Trickfilmzeichner Andreas Deja hat maßgeblich an diesem Film mitgearbeitet, mein Kollege Jürgen König hat mit ihm gesprochen und ihn gefragt: Herr Deja, Sie sollen gesagt haben: "Hätte man mich gefragt, möchtest du lieber Picasso kennenlernen oder Renoir – ich hätte immer 'Walt Disney!' gerufen." Was macht denn die Disney-Ästhetik für Sie so faszinierend?

Andreas Deja: Na, ich finde, Disney ist einer der größten Künstler des 20. Jahrhunderts, das ist für mich überhaupt gar keine Frage. Leider habe ich ihn nie kennenlernen können, denn ich weiß noch genau, er ist ja verstorben 1966, damals war ich neun Jahre alt, und ich kann mich noch genau daran erinnern, wo ich war, als es in den Nachrichten kam: in diesem Wohnzimmer in Dinslaken auf der Marthastraße. Denn dann kam es in den Abendnachrichten um acht Uhr und ich fing dann auch irgendwie so ein bisschen an zu weinen und mein Vater meinte: Was ist denn mit dir los? Und ich dachte noch irgendwie, jetzt ist alles fertig und zu Ende, es gibt jetzt keine Zeichentrickfilme mehr und auch keine Comics mehr.

Jürgen König: Das dachten Sie mit neun Jahren?

Deja: Mit neun Jahren schon, ja. Und dann die Idee oder halt die Vorstellung, dass ich dann auch irgendwann mal da drüben lande und da mitarbeite, das war natürlich sehr utopisch.

König: In einem Interview der FAZ haben Sie mal gesagt, dass Sie sich bei der Arbeit mit einem Schauspieler vergleichen, der also sich mit dem Regisseur abspricht, sich dann in die Figuren hineindenkt und versucht, herauszufinden, wie sie denkt, wie sie entsprechend sich auch bewegt, und haben gesagt, das Zeichnen würde eher nebenbei passieren, was ich mir eigentlich überhaupt nicht vorstellen konnte. Können Sie mal – um auch auf jetzt "Küss den Frosch" zu kommen – beschreiben, wie Sie diese, sagen wir, freundlich-schrullige Voodoo-Priesterin Mama Odie kreiert haben, wie die entstanden ist?

Deja: Das fängt bei uns so an: Wir haben nicht ein großes Skript wie beim Realfilm oder beim Theater, sondern nur so eine Outline, so ungefähr 12, 13 Schreibmaschinenseiten, wo man halt erfährt, worum es geht, welche Figuren auftauchen. Dann hatten die Regisseure eine Präsentation für die leitenden Phasenzeichner, es ging noch nicht ums Casting, wer was macht, aber sie stellten uns halt die Figuren vor. Und als es dann zu Mama Odie ging und mir gesagt wurde, es ist eine 197 Jahre alte Frau, die ist blind, die wohnt in einem Boot, was in irgendeinem Baum stecken geblieben ist während eines Sturms und als Sehhilfe hat sie eine Schlange – und das hörte sich zu phantastisch an, das musste ich also auf jeden Fall machen und ...

König: Das kann ich verstehen.

Deja: ... habe dann gesagt, Ron und John, zu den beiden Regisseuren: Die, Mama Odie, würde ich schon sehr gerne machen, und dann habe ich auch die Möglichkeit bekommen, die Figur zu zeichnen mit ihrer Schlange. Und dann hört man sich erst mal Sprachaufnahmen an. Im Amerikanischen ist es die Schauspielerin Jennifer Lewis, die hatte schon eine Stimme in dem Movie "Cars", in dem Pixar-Film "Cars" gemacht, die hat die Sprache, also diese Stimme aufgesetzt. Sie spricht normalerweise nicht so, das ist auch eine Figur, die keine Zähne hat und dann einfach nur so spricht, das muss man schon ein bisschen aufsetzen, aber trotzdem natürlich klingen lassen. Das hat die sehr gut hinbekommen. Dann macht man halt die Augen zu und hört sich die Sprachaufnahmen an und dann geht es mit den ersten Skizzen los.

König: Wie lange haben Sie, wenn ich so sagen darf, als Mama Odie gelebt?

Deja: Das waren etwas über anderthalb Jahre, aber dann auch wirklich ständig, auch am Wochenende, das hört auch am Wochenende nicht auf.

König: Und Sie sind nicht blind geworden dabei?

Deja: Ich bin nicht blind geworden, habe mir aber ab und zu die Augen zu gemacht und überlegt, ja, wie würde jetzt jemand, der blind ist, das irgendwie machen, wie würde der sich bewegen? Ich hätte noch mehr blinde Gestiken irgendwie einbauen können in die Mama Odie, aber sie ist ja hauptsächlich zu Hause, und blinde Leute, die zu Hause sind, die wissen, wo jeder Stuhl ist und wo der Tisch ist und so weiter. Deshalb – ich wollte das mit dem Abtasten und so weiter, das gar nicht machen. Aber man sieht schon, dass sie blind ist, weil sie ja auch diese Schlange hat, die ihr so ein bisschen hilft.

König: Wie groß ist der Stab von Zeichnern, den Sie dann an Ihrer Seite haben?

Deja: Wir hatten einen Mitarbeiterstab – das ist aber inklusive Management und Technikern – von ungefähr 185 Leuten. Das ist ein kleiner Mitarbeiterstab, denn beim "König der Löwen" waren es wirklich 600. Wir versuchen es also inzwischen auch aus Kostengründen mit weniger Leuten zu machen, und es klappt auch, es klappt.

König: Wenn man bei uns an Disney-Filme, wie Sie sagen, der 50er-Jahre denkt, kommt einem sofort – oder auch der 60er-Jahre – "Das Dschungelbuch" in den Sinn. Ist das eigentlich in Amerika auch so ein Erfolg wie bei uns?

Deja: Gar nicht so. Der lief in den USA so mittelmäßig und ich habe noch vor zwei Wochen im amerikanischen Radio die Kritik gehört zu "Küss den Frosch", der heißt bei uns "The Princess and the Frog", und da meinte ein Kritiker, ja, besser als "Das Dschungelbuch" ist er auf jeden Fall, denn "Dschungelbuch" ist ja sowieso kein guter Film. Und ich bin fast explodiert. Es ist aber typisch, weil die Amerikaner meinen, der Film wäre langweilig, da passiert nicht sehr viel. Die Amerikaner mögen mehr "Pinocchio", "Snow White", wo wirklich Horror drin ist und einem wirklich Angst gemacht wird und halt der Kontrast vielleicht zwischen Gut und Böse ein bisschen größer ist.

König: Es sah ja vor einigen Jahren so aus, als müssten die Zeichner bei Disney gehen. Die computeranimierten, dreidimensionalen Filme von Pixar und DreamWorks schienen, so hatte man den Eindruck, gar keinen Platz mehr zu lassen für die, in Anführungsstrichen, "altmodischen", also noch traditionell erarbeiteten Animationsfilme. "Küss den Frosch" ist wieder von der guten, alten Sorte. Ist das nicht erstaunlich, dass Disney das noch macht? Ich meine mich auch zu erinnern, dass auch Disney mal sagte: Wir hören auf mit den alten Zeichentrickfilmen.

Deja: Das war auch unser Management damals vor ungefähr fünf, sechs Jahren. Die sahen nur die Einnahmen der computeranimierten Filme gegenüber den Einnahmen der letzten handgezeichneten Filme und der Unterschied war schon krass. Pixar hat da Hunderte von Millionen eingenommen, und wir mit unseren teilweise auch nicht besonderen Geschichten, die wir erzählt haben in "Die Kühe sind los", in "Atlantis" – da fehlte auch so irgendwie diese Disney-Magie und die Leute mochten das auch nicht so. Das sah man letzten Endes auch bei den Einnahmen.

Und die Schlussfolgerung war halt: Okay, die Leute mögen dann doch computeranimierte Filme mehr und wir hören jetzt mit dem Zeichnen auf. Und das war eine tragische Bekanntmachung damals, das war furchtbar, ich weiß noch, als ich die alten Zeichentische damals den Flur entlang aufs Dock hinten rausgeschoben worden sind und abgeholt worden sind von Schulen oder verkauft oder wie auch immer. Es war traurig.

Und ich kann nur sagen: Danke schön, John Lasseter, der jetzt auch unser Chef ist. Der macht ja Pixar-Animationen, der macht Disney-Imagineering, für die ganzen theme parks Sachen und der macht auch Disney-Animation, also uns. Und John Lasseter ist auch mit den Klassikern aufgewachsen und der kann sich ein Disney ohne Zeichnen eigentlich auch nicht vorstellen.

König: Wenn Sie durch die Welt gehen, mit der Bahn fahren, mit dem Flugzeug reisen, auf Märkten herumstehen, was man halt so macht im Leben – schauen Sie da immer mit den Augen eines Zeichners?

Deja: Ja, das macht man so unbewusst. Manchmal ist es ein klein wenig peinlich, wenn ich mit Freunden irgendwie zum Abendessen gehe und die erzählen irgendeine Geschichte oder in einer Unterhaltung, und ich schaue dann irgendwie hinter denen, da ist eine alte Dame, die ein Stück Sahnetorte isst, und das fasziniert mich jetzt im Augenblick ein klein wenig mehr vielleicht als die Unterhaltung. Das ist natürlich nicht so korrekt, aber dann sagen manche Leute, Andreas, hier bin ich, Hallo, höre mir zu. Aber irgendwie ist es doch im Hinterkopf, dass man Leute doch schon ständig beobachtet und das dann, irgendwie das wegfiled im Hinterkopf, weil man es dann vielleicht später für eine Figur irgendwie benutzen kann.

König: Was genau beobachten Sie an der Dame mit der Sahnetorte, wie sie sie isst?

Deja: Wie sie sie isst, ...

König: Wie sie die Gabel hält oder was?

Deja: ... wie sie die Gabel hält, wie das Gesicht sich verhält im Verhältnis zu den Händen, die Körperstatur und so weiter, halt die ganzen Nuancen von der Bewegung her.

König: Auch ein psychologisches Interesse an der Frau?

Deja: Auch, natürlich. Man muss sich sowieso immer in die Figur hineindenken. Die gute Animation, die beste Animation ist immer die, wo der Trickfilmzeichner wirklich sich in die Figur hineingefühlt hat. Es ist nichts Grafisches, wo man jetzt sagt, okay, jetzt ist die Hand hier und jetzt muss die Hand da sein und das sieht halt gut aus, wenn die sich jetzt drehen würde, die Hand, ein bisschen. Der Gedankenvorgang ist wirklich zweit- oder drittrangig. Man sitzt am Zeichentisch und überlegt jetzt gar nicht, wie viele Mama-Odie-Zeichnungen ich noch bis fünf Uhr machen muss, sondern wirklich: Was denkt die Figur jetzt in dem Moment, und wie ist das Verhältnis in der Szene zu der anderen Figur, die vielleicht auch noch in der Szene mit drin ist? Dann muss ich mich da hineindenken und dann sagt die Figur mir quasi, wie sie animiert werden muss.

König: Wenn ich einen privaten Satz noch zum Schluss sagen darf: Sie wirken so ausgeglichen, so gelöst, so ruhig, so souverän, so fröhlich auch bei der Arbeit. Ist Zeichnen ein Beruf, der einen gegebenenfalls richtig sehr glücklich machen kann?

Deja: Ich fühle, dass ich also wirklich Glück gehabt habe, einen Beruf zu haben, der auch vorher ein Hobby war. Bei mir ist es wirklich so, dass ich nicht irgendwie nach dem Wochenende denke, oh, jetzt ist Montag, jetzt geht die Arbeit wieder los, ich wollte, es könnte Freitag sein, sondern es sieht wirklich sonntags oft so aus, dann denke ich mir: Okay, jetzt kann ich die nächste Szene mit der Mama Odie anfangen und weiß schon genau, wie ich das mache. Montage sind eigentlich gute Tage bei Disney.
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