"Man müsste Whistleblower stärken"

Guido Strack im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 23.09.2011
Der Jurist Gudio Strack hat lange vor WikiLeaks das Whistleblower-Netzwerk e.V. gegründet. Sein Gerechtigkeitsstreben habe ihn dazu gebracht, auf diese Weise Missstände anzuprangern. Er hoffe, dass sich der Wandel zur positiven Bewertung dieser Form von Enthüllungen noch beschleunigt.
Liane von Billerbeck: Spätestens WikiLeaks hat ihn weltberühmt gemacht, den Whistleblower, einen Menschen, der Missstände aufdeckt. Früher nannte man ihn – je nach Position – Informant oder Verräter. Über Whistleblowing oder den Aufstand der Anständigen wird während einer Tagung der Evangelischen Akademie im Rheinland diskutiert, mit dabei ist auch Gudio Strack, der lange vor WikiLeaks das Whistleblower-Netzwerk gegründet hat. Strack ist Jurist, Blogger und EU-Beamter, pensioniert. Was, Herr Strack, und damit guten Tag, ist der Unterschied zwischen Petzen und Whistleblowing?

Guido Strack: Ja, guten Tag! Der Unterschied zwischen Petzen und Whistleblowing – Petzen wird ja generell als etwas Negatives gesehen, und Whistleblowing ist eher das positive Kommunizieren. Aber letztlich unterscheidet es sich so stark nun auch wieder nicht, weil es kommt immer auf denjenigen an, der es hinterher bewertet, ob es positiv oder negativ war, und da gehen die Meinungen ja manchmal auseinander.

von Billerbeck: Welche Rolle spielen denn die Enthüllungen von WikiLeaks für das öffentliche Bewusstsein, für die öffentliche Wahrnehmung von Whistleblowing?

Strack: Na, ich denke schon, dass das Ganze das Thema vorangebracht hat, WikiLeaks, weil einfach der Begriff auch bekannter wurde und man sich mehr in Deutschland jetzt mit dem Thema auseinandersetzt, was Transparenz bedeutet, wie wichtig Transparenz für eine Demokratie ist und wie wichtig es auch ist, Informationen aus Bereichen zu bekommen, aus denen man die vielleicht bisher noch nicht bekommen hat.

von Billerbeck: Das Aufdecken von Missständen, egal ob sie jetzt in Betrieben, in Altenheimen oder in einer Armee vorkommen, das gilt ja als ehrenhaft. Ohne Informanten hätte es beispielsweise auch der Enthüllungsjournalismus ziemlich schwer. Gibt es so eine Art Kodex für Whistleblower?

Strack: Nein, den gibt es glaube ich nicht, also es muss letztlich jeder mit seinem eigenen Gewissen ausmachen, wem er wann was sagt und wie er am besten vorgeht. Es zeigt sich aber in der Forschung, dass die meisten Whistleblower es zunächst im Guten mit ihrer Organisation versuchen, das heißt, sobald noch ein wenig Vertrauen dafür da ist, dass ein Problem innerhalb der Organisation, der man angehört, gelöst werden kann, fangen sie damit an und versuchen, es intern zu klären. Und erst dann, wenn es intern nicht funktioniert, wenn intern keine Lösung zu erreichen ist, versuchen sie, sich halt an andere zu wenden, von denen sie sich diese Lösung erhoffen.

von Billerbeck: Wie die Altenpflegerin, die lange versucht hat, ihren Arbeitgeber auf die Missstände in dem Pflegeheim hinzuweisen, in dem sie arbeitete, und erst dann an die Öffentlichkeit gegangen ist?

Strack: Ganz genau, und sie ist ja auch noch nicht mal direkt an die Öffentlichkeit gegangen, sondern hat ja zunächst sich auch noch an Behörden gewandt und eine Strafanzeige gemacht, und erst danach kam das Ganze an die Öffentlichkeit.

von Billerbeck: Nun kann es ja auch sein, dass man Umstände aufdeckt, die scheinbar Whistleblowing sind, wo man sagt, also ich will hier Transparenz schaffen für etwas, was nicht gut ist, es kann aber auch schlicht Mobbing sein. Wo ist denn da die Grenze?

Strack: Na ja, die Umstände sind ja nicht Whistleblowing, sondern der Hinweis ist ein Whistleblowing, und der Hinweisgeber weiß unter Umständen ja gar nicht alles oder meistens weiß er nicht alles, sondern er vermutet, dass es irgendwo Missstände gibt. Und genau als solches, als Vermutung sollte man das Ganze auch behandeln.

Wichtig ist einfach, dass es jemanden gibt, an den man sich wenden kann und der den Sachen dann nachgeht. Und dann kann sich rausstellen, dass der Hinweis berechtigt war, dass die Vorwürfe berechtigt waren, oder dass der Hinweis vielleicht trotzdem berechtigt war, weil es was Wichtiges deutlich gemacht hat, ein wichtiges Problem, und sei es auch nur ein Kommunikationsproblem, aber letztlich an den Vorwürfen nichts dran war.

Und es gibt vielleicht auch Fälle, in denen jemand Vorwürfe erhebt und weiß, dass die nicht wahr sind, aber Letztes nimmt man eigentlich generell aus der Definition des Whistleblowings raus. Also Whistleblower ist jemand, der davon ausgeht, dass das, was er berichtet, wahr ist, und das reicht eigentlich, und es ist auf einen Missstand bezogen.

von Billerbeck: Sie sind Jurist und Whistleblower, ist das eigentlich ein Gegensatz?

Strack: Na, in meinem Fall, könnte ich fast sagen, war das juristische Studium irgendwo auch die Voraussetzung dafür, dass ich zum Whistleblower geworden bin, weil ich halt einfach Verstöße gegen Rechtsnormen natürlich leichter feststellen kann als jemand, der diese Ausbildung nicht hat, und andererseits das, was mich prägt, auch irgendwo ein Gerechtigkeitsstreben ist, was mich auch zum Jurastudium gebracht hat und was mich auch zum Whistleblowing gebracht hat.

von Billerbeck: Was haben Sie denn enthüllt?

Strack: Ich habe auch intern nur erst mal auf Missstände hingewiesen oder auf Dinge hingewiesen, die aus meiner Sicht Missstände waren, und da ging es um eine Vergabe eines Vertrages, die erfolgt ist, an einen Externen, durch die Europäische Union, und dieser Externe hat aus meiner Sicht halt nicht die Leistungen erbracht, die er hätte erbringen müssen, und darauf habe ich hingewiesen.

Es gab auch Vertragsstrafen in diesem Vertrag, die aber dann durch meine Vorgesetzten nie ausgeübt wurden, und stattdessen haben die sich dann mit dem Vertragspartner auf eine Änderung des Vertrages geeinigt, ohne dass da noch mal eine öffentliche Ausschreibung oder eine öffentliche Debatte erfolgte. Und das war aus meiner Sicht rechtswidrig.

Daraufhin habe ich zunächst gegenüber meinen Vorgesetzten protestiert, als die sich davon nicht beeindrucken ließen dann, nachdem auch eine entsprechende Rechtspflicht für EU-Beamte eingeführt wurde, gegenüber OLAF, also dem Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung.

von Billerbeck: Hatte das Folgen für Sie negativer Art?

Strack: Ja, das hatte negative Folgen für mich, dass es einfach ziemlich unmöglich wurde, an meinem Arbeitsplatz zu bleiben, weil die Auseinandersetzung mit meinen Vorgesetzten halt immer mehr eskalierte und da auch aus meiner Sicht Mobbing stattfand. Ich habe dann zunächst versucht, intern zu wechseln, zwei Mal sogar, und wurde dann aber auch über Beurteilungen und solche Dinge abgestraft.

von Billerbeck: Das klingt jetzt nicht, als sollte man sich als Whistleblower betätigen.

Strack: Ja, das ist genau das Problem, dass eigentlich es unter Umständen eine ziemlich gefährliche Sache sein kann für die eigene Karriere, wenn man an Militärfälle denkt, auch fürs eigene Leben unter Umständen, Whistleblowing zu machen, dass es aber andererseits für die Gesellschaft wichtig wäre, dass mehr Leute Whistleblowing machen, statt schweigend über Dinge und Missstände hinwegzusehen. Also ist es aus unserer Sicht wichtig, dass der Staat und die Gesellschaft dafür sorgen, dass die Voraussetzungen geschaffen werden, dass es bessere Alternativen zum Schweigen gibt.

von Billerbeck: Guido Strack ist mein Gesprächspartner vom Whistleblower-Netzwerk. Heute beginnt in Bonn eine Tagung der Evangelischen Akademie über Whistleblower. Wir sprechen mit ihm darüber. Wie ist das eigentlich mit der Kultur des Whistleblowings, wo kommt die her?

Strack: Die Kultur des Whistleblowings – es gab schon immer Leute, die Zivilcourage hatten und es gewagt haben, den Mund aufzumachen. Wir sind jetzt bei der Tagung in der evangelischen Kirche, wenn man sich an deren Wurzeln erinnert, Martin Luther, kann man ja durchaus auch Martin Luther als Whistleblower bezeichnen, weil auch er auf Missstände in der katholischen Kirche hingewiesen hat. Und an seinem Fall sieht man eigentlich auch ganz schön, zu welchen Problemen und zu welchen Folgen für die betroffene Organisation das führt.

Wir haben noch Hunderte Jahre später die Spaltung der Kirche. Und wenn die damals verantwortlich und sorgfältig mit den Hinweisen und den Beschwerden, die ja zu Recht auch vorgebracht wurden, umgegangen wären und die katholische Kirche ja später dann auch zum Teil jedenfalls korrigiert hat, aber zu spät, dann hätten wir diese Kirchenspaltung vielleicht nicht gehabt.

von Billerbeck: Das heißt, ein früher Whistleblower, ein Deutscher – aber ist die Kultur hierzulande eine positive für solche transparenten Dinge, für solche Mitteilungen aus dem internen Umfeld von Betrieben oder Unternehmen?

Strack: Aus unserer Sicht ist sie nicht positiv genug zumindest, und es wird halt sehr oft der Begriff Nestbeschmutzer, Denunziant gebraucht, der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU hat noch im Januar diesen Jahres im Bundestag Whistleblower sogar als Blogwarte bezeichnet, und das sind aus unserer Sicht die falschen Signale, sondern man müsste Whistleblower stärken. Auch die Rechtsprechung hat in der Vergangenheit immer sehr großen Wert auf Loyalität gelegt, verstanden als Loyalität gegenüber der Person der Vorgesetzten oder des Arbeitgebers, dass man sich immer nur an den wenden darf, und wenn der nichts macht, dann hat man halt Pech gehabt, so nach dem Motto, und da ist in den letzten Jahren ein Wandel in Gang gekommen, der hoffentlich jetzt noch mal beschleunigt wird, durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Heinisch.

von Billerbeck: Das ist die Altenpflegerin.

Strack: Genau, das ist die Altenpflegerin.

von Billerbeck: Wo geht man besser mit Whistleblowern um, in privaten Unternehmen oder in öffentlichen Institutionen?

Strack: Es gibt keine validen Daten, es sind also mehr persönliche Eindrücke. Mein persönlicher Eindruck ist der, dass Whistleblowing tendenziell im öffentlichen Bereich häufiger vorkommt, weil es einfach auch eher um Dinge geht, die im öffentlichen Interesse sind – ist ja irgendwo auch definitionsgemäß –, dass aber andererseits der Umgang im öffentlichen Dienst mit Whistleblowern vielleicht noch eine Ecke schlechter ist als der in der privaten Wirtschaft.

Das mag daran liegen, dass man in der privaten Wirtschaft halt vieles auch über Geld regelt, dass dann auch Abfindungsregelungen getroffen werden, dass die Leute zwar ausscheiden, aber man sich irgendwo im Guten mit denen einigt oder zumindest da eine Lösung versucht zu finden.

von Billerbeck: Aber das ist doch Schweigegeld dann.

Strack: Das ist in mancher Hinsicht auch Schweigegeld, in mancher Hinsicht ist aber das Whistleblowing ja auch schon passiert und auch bekannt geworden, und man versucht dann halt, eine weitere Eskalation zumindest zu vermeiden, indem man das Ganze so abwickelt. Aber Sie haben recht: Das ist nicht ganz unproblematisch.

von Billerbeck: Sagt Guido Strack vom Whistleblower-Netzwerk e.V. Heute beginnt in Bonn eine Tagung der Evangelischen Akademie darüber. Guido Strack ist dort Referent. Danke Ihnen für das Gespräch!

Strack: Ich danke auch!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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