"Man darf nicht hysterisch werden"

Herbert Reul im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 15.07.2010
Herbert Reul (CDU), Vorsitzender des Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie im Europaparlament, hat in der Debatte um die Risiken von Tiefsee-Bohrungen in der Nordsee vor Aktionismus gewarnt. Er sei dafür, dass man sachbezogen und nachdenklich damit umgehe.
Jan-Christoph Kitzler: Die Risiken bei der Ölförderung in der Nordsee. Das war ein Bericht von Volker Finthammer aus Brüssel. Darüber spreche ich jetzt mit Herbert Reul. Der CDU-Politiker sitzt im Europaparlament und ist dort Vorsitzender des Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie. Guten Morgen!

Herbert Reul: Schönen guten Morgen!

Kitzler: Die EU-Kommission fordert den Stopp von neuen Ölbohrungen in der Nordsee, lässt sich das denn überhaupt durchsetzen?

Reul: Nein, rechtlich lässt sich das nicht durchsetzen, das ist aber auch von dem Kommissar Oettinger so formuliert worden. Das ist das Angebot, der Vorschlag, der Hinweis, der Rat an die Mitgliedstaaten.

Kitzler: Die Nationalstaaten vergeben die Bohrlizenzen, in der Nordsee ist das vor allem Norwegen, ein Land, das ja gar nicht in der EU ist. Und auch England denkt gar nicht daran, sich reinreden zu lassen. Wie wollen Sie da als EU Einfluss nehmen?

Reul: Na, ich glaube schon, dass in einer solchen Situation – und das hat sich ja häufig gezeigt – ein Miteinanderreden und der Versuch einer gemeinsamen Absprache ein kluger Weg ist. Zum Zweiten gäbe es die Möglichkeit, sicherlich auch darüber nachzudenken, wie man zu gemeinsamen Standards kommt, was die Bedingungen angeht. Und auf dem Wege, glaube ich, muss man weitermachen. Also es hilft jetzt nichts alles oder gar nichts, sondern das kluge Miteinanderreden und kluge Lösungen. Ich bin auch in der Debatte dafür, dass man sachbezogen und nachdenklich mit der Frage umgeht. In Europa haben wir im Moment kein Problem, seit vielen Jahrzehnten kein Problem – das ist die erste Feststellung. Zweitens: Es gibt ein dickes Problem in Amerika, insofern muss man sich einstellen auf die Frage, aber man darf auch nicht hysterisch werden.

Kitzler: Das heißt – ich verstehe sie richtig –, die Europäische Union hat keine Möglichkeit, irgendwie Druck auf die einzelnen Staaten auszuüben?

Reul: Na ja gut, es ist schon eine … Es gibt keine Vorschrift, die wir machen können an der Stelle, das ist richtig. Zumindest nicht was die Frage von Moratorien angeht, weil die Lizenzen von den Mitgliedstaaten vergeben werden. Aber das heißt noch lange nicht – das werden Sie bei anderen Themen ja auch gesehen haben –, dass dann kein Einfluss besteht.

Kitzler: Immer wenn man vor der eigenen Haustür nicht weiterkommt, dann wird der Ruf laut nach einer globalen Lösung. Der frühere Bundesumweltminister Töpfer fordert heute in der "Zeit" internationale Mindeststandards bei Tiefseebohrungen. Was muss denn passieren, damit wir diese Standards erreichen?

Reul: Also, natürlich ist es klug, bei solchen Themen auch international zu Absprachen zu kommen. Nur ich habe mittlerweile auch Sorgen, bei jeder neuen Katastrophe, die passiert, schaufelt sich das immer weiter hoch. Dann gibt es erst die Forderungen nach neuen Vorschriften, zweitens nach internationalen Vorschriften. Ich würde zuerst mal das, was Oettinger jetzt auch im Moment macht, uns allen raten: Sorgfältig angucken, wie sind die Bedingungen bei uns, wie sind die Bedingungen bei den Amerikanern, was sind die Ursachen für die Situation gewesen, wo gibt es bei uns Löcher? Und da, wo es Regelungslöcher gibt, dass man dann gezielt dafür Lösungen findet und nicht hier mit einer sehr grundsätzlichen aufgeregten Debatte das vorantreibt. Das hilft in der Regel wenig. Es gibt ein paar Probleme. Es gibt zum Beispiel das Problem, was machen wir eigentlich, wenn etwas schiefgeht, gibt es da überall gleiche Regeln oder brauch es dafür Regeln, wer finanziert, wenn der Krisenfall eintritt – da ist der Fall relativ klar für mich, wer verursacht, muss auch bezahlen –, ist das ausreichend rechtlich gesichert oder gibt es da noch Korrekturbedarf. Das muss man sich Stück für Stück angucken. Und ich finde, wie der Kommissar Oettinger das jetzt macht – nüchtern, ruhig, Stück für Stück, aber trotzdem zügig –, das ist der richtige Weg.

Kitzler: Wer verursacht, muss bezahlen, haben Sie gesagt, das heißt, man muss die Konzerne auch mehr zur Verantwortung ziehen, oder?

Reul: Ja, das ist doch relativ logisch. Wer Schäden verursacht, muss auch die Schäden beseitigen und die Verantwortung dafür übernehmen. Und was jetzt genau geklärt werden muss, ist überhaupt keine Neuigkeit, gilt im ganzen Leben. Die Frage ist nur, ob wir das so ausreichend definiert haben, was die Schäden sind. Und das wird jetzt genau geprüft, und notfalls muss man an den Stellen auch noch verändern. Aber der Ruf nach großen Fonds, nach internationalen Überprüfungen – also ich bin immer ein bisschen mehr dafür, das weniger aufgeregt als vielmehr an der Sache orientiert und dann aber auch ergebnisorientiert zu machen.

Kitzler: Dass das Risiko bei uns aber auch besteht, das beweisen ja Vorfälle, die es auch vor unseren Küsten schon gab. Seit 1990 strömen zum Beispiel nach einer Explosion täglich Millionen Liter Methan aus einem Bohrloch vor der schottischen Küste. Das verantwortliche Unternehmen – damals Mobil Oil, heute ExxonMobil – hat nichts dagegen getan, sondern die Förderkonzession einfach zurückgegeben. Das Gas strömt weiter. Muss man das einfach hinnehmen?

Reul: Nein, das kann nicht die richtige Lösung sein, da stimme ich Ihnen zu. Wer verursacht, muss die Schäden beseitigen oder muss dafür bezahlen.

Kitzler: Wie groß ist denn Ihrer Meinung nach die Gefahr, die von Bohrungen in der Nordsee ausgeht?

Reul: Also, es gibt wie immer im Leben bei jeder technischen Neuerung Gefahren, und die gibt es auch da. Das aber jetzt zu einem solchen Thema hochzutreiben, dass man am Ende sagt, wir machen es gar nicht mehr, das endet aber auch im Wirtschaftlichen und auch im wirtschaftlichen Chaos. Wir haben bei Kohle Probleme, wir reden darüber, dass wir Kernenergie nicht wollen, wir wollen Öl nicht – ich frage mich, wie diese Industriegesellschaft eigentlich in Zukunft leben will. Wir werden mit einigen Risiken leben müssen, erstens. Zweitens, wir werden die Risiken versuchen zu beherrschen, und wir werden dafür sorgen müssen, dass die Vorschriften möglichst überall da, wo Öl gebohrt wird, vergleichbar sind und dass die Risiken möglichst gering sind, vollkommen richtig. Aber ich habe was dagegen, dass eine solche hysterische Debatte jetzt geführt wird, die am Ende dazu führt, dass auch Ölbohrungen total infrage gestellt, und das halte ich für total überzogen.

Kitzler: Das heißt, Sie sind auch gegen eine neue Energiepolitik, die das Ziel hat, uns schneller wegzubringen vom Öl?

Reul: Nein, überhaupt nicht. Nur das Wort schneller heißt eben nicht morgen, und auf der Strecke brauchen wir es noch. Selbst wenn wir 2020 fünf Millionen Elektrofahrzeuge haben, was als ungeheuer starkes Ziel angesehen wird, bleiben noch 200 Millionen übrig – die brauchen Öl. Ich finde, realistisch muss man damit umgehen. Natürlich müssen wir immer mehr wegkommen vom Ölverbrauch, zumindest für Transport und für Heizung, aber wir werden Öl zum Beispiel in anderen Bereichen der Forschung als Rohstoff dringend noch brauchen, da gibt es gar keinen Ersatz für. Also wir werden Öl brauchen, auch in Zukunft brauchen, und deswegen warne ich uns davor, das jetzt einfach so zu dämonisieren, als brauchen wir das überhaupt nicht mehr. Nein, wir brauchen es, Ja zu Bohrungen, aber Ja zu klaren Sicherheitsstandards. Und da, wo Löcher sind, wo Nachholbedarf ist, muss repariert werden, muss korrigiert werden.

Kitzler: Das Risiko von Tiefseebohrungen auch in der Nordsee und was man dagegen tun kann. Das war Herbert Reul, CDU-Politiker und im Europaparlament Vorsitzender des Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie. Vielen Dank und Ihnen einen schönen Tag!

Reul: Danke gleichfalls!