Malerische Ortungen der Welt

Von Johannes Halder · 04.09.2011
Fast zeitgleich zeigen drei Museen in diesem Herbst große Ausstellungen des Malers Max Beckmann. In seiner Geburtsstadt Leipzig werden Porträts zu sehen sein, Frankfurt am Main konzentriert sich auf das Spätwerk des 1947 emigrierten Malers. Den Auftakt aber macht das Kunstmuseum Basel mit 70 seiner Landschaftsgemälde.
Frankfurt am Main ist eine seltsame Stadt. Es gibt dort ein altes Arbeiterviertel, das die Eingeborenen "Kamerun" nennen, keiner weiß so recht, warum. Und es gibt ein Fleckchen Uferpark am Main, ein kleines Paradies, das schon seit etwa 1875 "Das Nizza" heißt, weil es in der Stadt ein Stückchen Süden simuliert, eine Art Riviera am Main.

Max Beckmann hat es gemalt, 1921, ein schönes Bild mit kraftvollen Konturen und expressiver Farbenlust. Er malte die Kaimauer aus rotem Sandstein und die typischen Platanen, aus den markanten Fassaden wölben sich gemütliche Balkone, der Goldregen blüht und die Magnolienknospen platzen, selbst ein rot-weißer Schlagbaum auf dem Gelände fügt sich ein in das Idyll, und am Himmel schwebt ein Flugzeug als Zeichen grenzenloser Freiheit.

Seit 1939 hängt das Bild im Kunstmuseum Basel, die Nazis hatten es vertrieben. Dass einer die Welt so sieht, dass einer so das Leben und den Frühling feiert, war ihnen nicht geheuer.

Der Basler Museumsleiter Bernhard Mendes Bürgi freut sich, dass er es jetzt zeigen kann, zusammen mit rund 70 anderen von Beckmanns Landschaften, angefangen mit ein paar frühen Strandansichten von 1902.

"Wir zeigen eigentlich im Überblick Landschaften bis zum Schluss in Amerika, und das gibt eigentlich einen Querschnitt durch die ganze malerische Entwicklung, also von daher ist es nicht nur die Landschaft, sondern eben auch der Maler Max Beckmann, den man hier sehr schön verfolgen kann."

Er male hier "Natur und nichts als Natur", schrieb Beckmann 1905 aus einem Sommerurlaub an der dänischen Nordseeküste. Impressionistisch verschwommene Wetterstimmungen malt er dort, mit verregneten Buhnen und öden Dünen, in tristem Braun und Grau, und trotzdem mit der Begeisterung eines Malers, der sein Element gefunden hat.

Beckmann war allerdings keiner, der das Naturerlebnis suchte, um eins zu werden mit der Schöpfung. Das zeigt sich, als er 1915 kriegstraumatisiert von Berlin nach Frankfurt kommt, wo er dann ab 1925 an der Städelschule lehrt und die Stadtlandschaft für sich entdeckt.

"Er zeigt die Natur aus einer gewissen Distanz. Oft sind es Fensterausblicke, Vorhänge, Fensterkreuze, Brüstungen, auch Stilllebenreste, die seine Anwesenheit markieren. Und dann geht der Blick in die Unbegrenztheit der Natur. Das heißt, der Bezug von Beckmann zur Natur ist sehr stark, aber es ist diese Distanz da."

Beckmann ist ein Beobachter, der den gesehenen Dingen ihren Platz zuweist in seinen fest gefügten Bildern, der Bäume, Häuser, Horizont und Himmel kulissenhaft in die Formate passt.

Viel Schwarz und viel Schwere liegt in manchen Bildern, ganz grandios ist sein nächtlicher Blick auf den Hafen von Genua von 1927. Geradezu gespenstisch liegen die Schiffe im dunkelgrünen Wasser, während die Fassaden der Häuser hell im Mondlicht glänzen.

Doch Beckmann kann auch heiter. In seinem Amsterdamer Exil von 1937 bis 1947 malt er neben Strandkörben und Badekabinen, Polderlandschaften und dem Wattenmeer auch südliche Reminiszenzen; nur gelegentlich, wenn unter den wuchtige Wellen der aufgewühlten See der Bildraum schier zusammenbricht, werden die niederländischen Seestücke zu Sinnbildern seiner verlorenen Existenz.

"Natürlich gibt es auch Bilder in dramatischen Momenten seines Lebens, wo eine stürmische See, wo die Wellen ran peitschen, Sturm, dass man das natürlich auch als innere Bilder lesen kann, dieses Aufgewühltsein über das Deutschland, das er verlassen hat."

Beckmann ist viel herumgekommen und gereist, freiwillig und unfreiwillig. Seine Landschaften sind Ortungen in einer Welt, die ihn treibt und vertreibt, anzieht und bewegt. Seine Landschaften hat er so gut wie nie direkt vor dem Motiv gemalt, sondern im Atelier imaginiert, und oft nahm er dazu Fotos oder Postkarten als Vorlagen.

Später übrigens, 1947, hat Beckmann dann das wirkliche Nizza gemalt, die lichterglitzernde Kurve der Promenade des Anglais, vom Balkon seines Hotels. Es war seine erste Reise nach dem Ende des Krieges, und der Maler schätzte die mondäne Umgebung an der Côte d’Azur.

Die drei Jahre in Amerika waren, was die Landschaft betrifft, nicht sehr ergiebig. Gerade ein halbes Dutzend Motive malte Beckmann in dem weiten Land, bevor er 1950, auf der Straße mitten in Manhattan, mit einem Herzschlag zusammenbrach: ein "Morgen am Mississippi", ein Blick auf San Francisco oder die Ansicht eines alten Swimmingpools.

Landschaft – was war das schon. Man müsse an unendliche Beziehungen glauben, so notierte er damals in sein Tagebuch, "um nicht sein Heimatgefühl im Kosmos zu verlieren." Und zu Hause war Beckmann eigentlich nur in seiner Malerei.