Maler Wilhelm Morgner

"Ich selbst bin der Gekreuzigte"

Eine Mitarbeiterin der Museen Böttcherstraße in Bremen schaut sich am 12.02.2015 in der neuen Sonderausstellung "Ungeheuerliche Farbwunder" das großflächige Gemälde "Die Steinbrecher, 1911" des deutschen Malers Wilhelm Morgner (1891-1917) an. Die Ausstellung ist vom 15.02. bis zum 14.06.2015 in der Hansestadt zu sehen und geht auf das Schaffen Morgners in der Zeit von 1910-1913 ein.
Eine Mitarbeiterin der Museen Böttcherstraße in Bremen vor dem Gemälde "Die Steinbrecher, 1911" des Malers Wilhelm Morgner (1891-1917) © picture alliance / dpa / Ingo Wagner
Von Rocco Thiede · 17.05.2015
Der expressionistische Maler Wilhelm Morgner war ein talentierter Mann - manche sehen bei ihm Parallelen zum Werk von van Gogh. Morgner hat sich immer wieder mit religiösen Motiven beschäftigt und seinen Glauben und seine Zweifel in Kunst verwandelt.
"Ja das wundert mit mich sehr, ich hatte gedacht da hängt eine Frau ... und der dicke Mann, warum macht er so? Ich hab's nicht verstanden. Wie van Gogh, dieselben Farben, dieselbe Ausstrahlung – dies hat mir sehr gefallen."
Zwei Besucherinnen aus Holland stehen voll Faszination und Verwunderung vor zwei Gemälden. Das eine ist eine Kreuzigung, und daneben befindet sich eine Himmelfahrt. Es sind Werke von Wilhelm Morgner. Der Maler war ein Ausnahmetalent. Heute zählt er zu den Hauptfiguren des Westfälischen Expressionismus und zu den Wegbereitern der Abstraktion, dessen Werke von den Nazis als entartet eingestuft wurden. Bereits mit 20 Jahren beteiligte er sich an bahnbrechenden Ausstellungen der Neuen Secession in Berlin, des Blauen Reiters in München oder des Sonderbunds in Köln. Zu seinen Künstlerfreunden zählten Franz Marc und Wassily Kandinsky. In Bremen an der Museumskasse sitzt Christian Köhnen. Hin- und wieder hat er Aufsicht im Museum. Seine eigene Faszination für Morgner kann er nicht verbergen:
"Wir sind heilfroh, dass wir ihn hier haben. Denn diese gewaltige Farbenpracht, die auf uns einstürmt in fast allen seinen Bildern ist eine tolle Geschichte. Gerade bei den etwas religiöseren Motiven bleiben die Besucher schon einmal sehr nachdenklich stehen. Zu dem Bild mit Himmelfahrt, für mich eines der schönsten, der bewegendsten Bilder, weil man sieht von links nach rechts die knienden Figuren in den verschiedenen Farben. Nach rechts nähern sie sich dem Himmel und werden immer blasser. Die Farbintensität reizt zum intensiven Nachdenken."
Geboren wurde Wilhelm Morgner am 27. Januar 1891 im westfälischen Soest. Bereits mit 18 Jahren hatte er seine erste kleine Ausstellung. Morgner kannte Nietzsches Bücher und inszenierte sich als Atheist genauso wie als strenger Gläubiger. Verena Borgmann leitet das Bremer Museum in der Böttgerstraße. Die Kunsthistorikerin stellt eines der Hauptwerke von Wilhelm Morgner vor:
"Das ist die Kreuzabnahme mit Mann im Frack von Wilhelm Morgner 1912 gemalt. Ein Bild, was sofort ins Auge springt durch seine wahnsinnig quietschigen Farben, also Expressionismus pur, der aus diesem Bild spricht. Man sieht zwei Gekreuzigte, einen Mann und eine Frau. Dann sitzt noch ein Mann auf einer Leiter. Unten rechts steht noch ein Mann im Frack, der mit dem Finger auf die gekreuzigte Person zeigt, die gerade von einem anderen Mann herabgenommen wird, aber in einer sehr komischen Art und Weise."
Das ungewöhnliche Motiv mit den Gekreuzigten hat nach Meinung der Kunsthistorikerin historische Vorbilder. Morgner geht aber auch neue Wege:
"Zum einen hat es auch klassisch kunsthistorische Hintergründe. Er war ja großer Rembrandt-Fan. Es gibt auch von Rembrandt ganz klassische Kreuzabnahmen – nur dass Wilhelm Morgner aus diesem Thema etwas ganz Eigenes macht - auch davon ausgehend, dass er sich viel beschäftigt mit Religion, mit Gott, mit Jesus Christus. Eigentlich scheint es ein ewiger Kampf zu sein. Er erklärt Gott für tot. Er erklärt sich selbst zu Gott."
Betrachter dieser Kreuzigung, die genau hinschauen, werden sich wundern. Ist Jesus hier eine Frau? Verena Borgmann interpretiert:
"Es sieht schon so aus, dass die beiden Gekreuzigten zwei unterschiedliche Geschlechter haben. Die Gekreuzigte im Vordergrund ist tatsächlich eine Frau und im Hintergrund ein Mann, das macht sich auch durch die Farben bemerkbar. Die Frau ist in Orange und der Mann in Blau gemalt, das passt auch zu Morgners eigenen Aussagen, dass er weibliche und männliche Farben differenziert und auch mal gesagt hat, dass ein Bild gar nicht harmonisch sein könne, ohne dass das Weibliche und das Männliche mit hineinspielt."
Wilhelm Morgners allerletztes Motiv war auch christlich-religiös
Auch bei der Himmelfahrt ist nicht erkennbar, ob eine Frau – Maria – oder ein Mann – Jesus – zum Himmel hinauffährt ...
"Das Gemälde "Himmelfahrt" zeigt einen Ablauf. Morgner hat sich inspirieren lassen von den Futuristen und versucht, Bewegung im Bild darzustellen durch eine Figur, die sich immer wiederholt in unterschiedlichen Farben. So geht die Bewegung vom linken zum rechten Bildrand und endet praktisch in der Auflösung der Figur in Strahlen, die zum Himmel reichen. Die Farben sind sowohl weibliche als auch männliche Farben."
Vis-a-vis von der "Himmelfahrt" hängt ein großes Gemälde "Mutter mit Kind". Es erinnert in der Komposition stark an Maria mit dem Jesusknaben, das bestätigt auch Verena Borgmann:
"Das muss man sicherlich so sehen. Also dieses Gemälde 'Mutter mit Kind' auf blauen Korb ist sicherlich nicht nur eine Darstellung von Mutter mit Kind, sondern bei Wilhelm Morgner kann man davon ausgehen, dass er durchaus diesen Gedanken der Madonna mit dem Jesuskind im Kopf hatte, als Hintergrund. Er hatte ja auch große Probleme in dem Umgang mit Frauen. Das Einzige, womit er selbst klargekommen ist, war die Frau auf dieses höhere, himmlische Sphäre zu heben."
Von Wilhelm Morgner gibt es eine Reihe von schriftlichen Aussagen über die Gottesmutter Maria. In seinen Briefen ist zu lesen:
"Ich bin voller Inbrunst. Ich hasse das Weib und bete zu der Madonna. Ich werde jetzt dem Weib als mütterliche Madonna auf den Leib rücken ...ich werde in aller Keuschheit und Primitivität der mütterlichen Madonna opfern."
An einer anderen Stelle ist im Jahr 1913 zu lesen:
"Ich bin immer noch der Ansicht, dass der katholische Madonnenkult, der reinstem Kultur noch am nächsten gekommen ist. ....Ich werde wie einst bei der Sonne, jetzt bei der Madonna anfangen."
Morgner hat sich in seiner Kunst den Darstellungen von Mutter und Kind mit der Verbindung zum Madonnenkult gewidmet, ist sich die Kunsthistorikerin Borgmann sicher. Seine Werkgruppen mit biblischen Motiven sind eigenwillige Umdeutungen der christlichen Ikonographie. In einem Brief aus dem Jahr 1913 versteigt er sich laut Verena Borgmann sogar zu der Aussage:
"Ich bin der Gekreuzigte. Im Grund hat er da die Position von Jesus Christus eingenommen, um sich darzustellen als Künstler, der sich geopfert hat für die Menschheit, in einem ganz anderen Sinne als Jesus Christus sich geopfert hat für die Menschen. Es wird ganz deutlich, dass er diesen Ausspruch von Friedrich Nietzsche, Gott ist tot, aufnimmt und sich selbst aber dann zum Gott macht. Er selbst, sagt er, hat Gott in Fesseln gelegt und ein Kampf mit ihm ausgetragen."
Dann kam der Erste Weltkrieg. Morgner wurde eingezogen. In dieser Zeit konnte er nur noch zeichnen. Es gibt keine Gemälde mehr. Frau Borgmanns sagt:
"Das Malen war für ihn nicht mehr möglich, seitdem er eingezogen war 1913. Es ging ja nahtlos in den Krieg über 1914. Und da existieren noch einige Zeichnung und Skizzenbücher. Er hatte dann das Glück in Anführungszeichen als Künstler für ein Gräberkommando zeichnen zu dürfen."
Wilhelm Morgners allerletztes Motiv war auch christlich-religiös. Während des Sturms auf Langemarck in Flandern fällt Wilhelm Morgner am 16. August 1917 mit gerade einmal 26 Jahren. Er gilt zunächst als vermisst. Später entdeckt man in seinem Gepäck folgendes:
"Sein letztes Werk war tatsächlich eine Kreuzigung eingeritzt in ein Dosenblech, was man gefunden hat und das zeigt natürlich, dass er sich bis zum Schluss mit diesem Gedanken beschäftigt hat."
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