Maler Daniel Richter über politische Kunst

Der Kunstzirkel beruhigt sein schlechtes Gewissen

Der Maler Daniel Richter
Der Maler Daniel Richter © picture alliance / dpa / Foto: Holger Hollemann
Daniel Richter im Gespräch mit Alexandra Mangel · 06.10.2015
Wenn Kunst politisch sein will, bewirkt sie nicht viel, findet der Maler Daniel Richter: "Ein sensationell gemaltes Stillleben offeriert der Welt mehr als gut gemeinte Kunst, die zur Weltverbesserung beitragen will." Letztere sei Ausdruck eines schlechten Gewissens.
Alexandra Mangel: Fazit sendet heute aus dem Frankfurter Städel, und nicht weit von hier, in der Frankfurter Schirn, bereitet Daniel Richter gerade seine Ausstellung mit neuen Arbeiten vor: "Hello, I Love You", so der Titel der Schau. Ab Freitag ist sie zu sehen. Es sind Arbeiten, in denen er Neues ausprobiert, auch eine ganz neue Malweise, sich neuen Fragen stellt. Und ich konnte Daniel Richter vor der Sendung in der Schirn besuchen, und ich habe ihn gefragt, ob er auch sein älteres Werk im Städel, "Die Horde", hin und wieder besucht.
Daniel Richter: Ich bin ja manchmal in Frankfurt und war natürlich im Rahmen der Vorbereitung für diese Ausstellung auch öfter hier. Und das andere Bild, also das Pendant dazu, hängt ja in Leipzig im Museum, und das sehe ich dann auch, wenn ich mal in Leipzig bin.
Mangel: Im Moment hängt es ja auch wieder hier.
Richter: Es hängt eben auch hier. Es gibt noch ein Drittes, dessen Besitzer ist aber gestorben, und die Erben können sich nicht darüber einigen, ob sie das Bild herausrücken wollen oder nicht, und sie haben es halt nicht herausgerückt für die Ausstellung, was ich sehr bedauerlich finde. Dann wäre es noch klaustrophober in dem Raum.
Mangel: Wobei man jetzt, wenn man in dem Raum steht, ja wie zwischen zwei Fronten steht.
"Mich interessieren die Fehler"
Richter: Ja, aber dann stünde man zwischen dreien, das wäre doch noch viel beunruhigender. Aber um auf die Frage zurückzukommen, nein, die Bilder – also eigentlich sind Sachen, die ich erledigt habe, nur eine Anhäufung von Fehlern für mich. Ich gucke mir die an, und dann denke ich, okay, das hast du damals so und so gemacht, und ich sehe diese Vorgehensweisen. Ich verstehe auch, warum ich das gemacht habe, ich finde das auch, weiß nicht, ich finde das dann irgendwie gelungen oder völlig – aber eigentlich, ich will nicht sagen, dass es mich nicht mehr interessiert, aber eigentlich interessieren mich die Fehler daran.
Ich gucke mir das so an, und eigentlich sehe ich das eher so als eine Aufforderung, es besser zu machen. Und das geht mir aber mit diesen Bildern jetzt direkt in der neuen Ausstellung genauso, die sehe ich, das ist abgeschlossen, ich bin zufrieden da hingekommen zu sein, aber eigentlich ist es eine Aufforderung, weiterzumachen.
Mangel: Also überhaupt nicht diese Idee, da jetzt irgendwas weitergeben, vermitteln zu wollen, dass die Leute da mit irgendeiner Idee rausmarschieren, wenn sie die Sachen gesehen haben – das ist gar nicht so?
Richter: Das eine ist die Wirkung des Kunstwerks, oder auch der Literatur, der Kunst allgemein. Sie entfaltet ihre Wirkung in den Köpfen der anderen, in einem Kollektiv oder vielleicht in einem Individuum. Sie ruft Gefühle, Überlegungen, Abwehr hervor. Ich freue mich natürlich, wenn es das gibt, weil ich das für ein Zeichen von einer Stärke von Kunst halte. Aber das hat jetzt mit meinem unmittelbaren Empfinden und Denken über meine eigene Malerei tatsächlich wenig zu tun.
Ich weiß, warum. Die Leute gucken sich das an, sie reden ja drüber, sie reden auch mit mir drüber, aber für mich ist das – das ist nicht unerheblich, ich freue mich darüber, aber wie gesagt, wenn ich mir was angucke von mir selber, dann sehe ich eigentlich irgend etwas aus der Vergangenheit, das ich gestern aus Gründen gemacht habe, die mich heute nicht mehr zum Malen bringen.
Mangel: Sie haben ja auch öfter schon mal gesagt, dass eigentlich jeder, der sich sozial engagiert, der irgendwie für soziale Gerechtigkeit arbeitet, jetzt mehr zur Verbesserung der Welt beiträgt als jeder Künstler. Das fand ich eigentlich ein sehr schönes…
"Ein sensationell gemaltes Stillleben offeriert der Welt mehr als gut gemeinte Kunst"
Richter: Ich will die Rolle von Kunst als Transmissionsriemen für Ideen, für das Neue, für das Radikale, die Veränderung der Gesellschaft nicht in Abrede stellen. Das gibt es, aber das ist zumindest, sagen wir mal, auf dem Kontinent und in Mitteleuropa nicht mehr die Aufgabe. Es gibt viel intelligente und, sagen wir, sozial engagierte Kunst. Aber die findet halt im Kunstrahmen statt. Und das Ziel der Veränderung der Welt ist ja die Veränderung dieser Welt.
Die ist nicht unbedingt nur irgendwie unsere Welt, also unser doch relativ gesättigtes Mitteleuropa, sondern das ist eine Welt, die irgendwie eindringt, oder an deren Ausbeutung oder Vernichtung wir beteiligt sind. Und wie genau, welche Politik dazu helfen könnte, diese Welt zu ändern, das kann ich Ihnen jetzt nicht so einfach beantworten. Mein Gefühl bei vielen Sachen ist, dass das halt eine Redundanz hat, dass es eine Form von Weltverbesserung innerhalb des Kunstzirkels ist und dass sie auch nicht wirklich politisch ist.
Letztendlich ist die Frage, welche Kunst gut ist und warum Kunst gut ist, nicht eine der moralisch richtigen Position. Ein sensationell gemaltes Stillleben offeriert der Welt mehr als gut gemeinte Kunst, die zur Weltverbesserung beitragen will, aber in Wirklichkeit nur protestantisches schlechtes Gewissen ist. Das muss man einfach sehen, dass das gelungene Kunstwerk, wenn es gelungen ist, ein Versprechen für ein besseres Leben ist. Und dass ist nicht zwangsläufig von seinem Inhalt oder von seiner richtigen moralischen Positionierung abhängig.
"Alle sozialen Aktivitäten sind auch immer Formen der Eitelkeit"
Mangel: Ich komme noch mal aufs Städel zurück. Das Städel ist ja ein Bürgermuseum, das funktioniert so, dass eben reiche Bürger, Unternehmen, Banken das finanzieren, dass aber dann eben alle kommen sollen. Das ist so das Erfolgsrezept. Ist das eine Idee, so ein Bürgermuseum, die für Sie funktioniert.
Richter: Das Bürgermuseum oder auch die Kunstvereine sind ja eingebettet in ein gesellschaftliches Engagement. Das hat auch unterschiedliche Funktionen gehabt, also in der Geschichte. Aber erst mal ist natürlich die Aufgabe, dass jemand sagt, ich stelle das, was ich habe, auch der Öffentlichkeit zur Verfügung, und ich will die Teilnahme an der Vergesellschaftung, an der Kommune, an dem – ich will das teilen – ein viel besserer Gedanke als der andere Gedanke, der in der Kunst vorherrscht: Ich häufe das an, weil es schon teuer ist, und ich zeige das meinen teuren Freunden, und wir verkaufen das dann teuer an uns weiter.
Weil jetzt kann man das auch leicht denunzieren, man kann sagen, ja, das ist halt das schlechte Gewissen und eine Form von Eitelkeit und so weiter und so fort. Nur, jenseits des religiösen Fanatismus' oder der Parteizugehörigkeit sind alle Formen des Engagements und alle soziale Aktivitäten auch immer Formen der Eitelkeit und des schlechten Gewissens. Und das schlechte Gewissen ist allemal besser als die Gewissenlosigkeit.
Mangel: Und es ist ein Weg, um die Museen, um ein öffentliches Haus in diesem irren Kunstbetrieb irgendwie auch im Spiel zu halten, oder?
"Museen stehen mit dem Rücken zur Wand"
Richter: Ja, man muss auch sehen, dass die Museen wirklich mit dem Rücken zur Wand stehen. Da wird zwar immer behauptet, dass der Staat sie unterstützt. Das tut er kaum noch. Die Museen sind teilweise in einem tristen Zustand, die Gelder werden überall gekürzt. Die Rolle, die die Kunst haben könnte, kann sie oft gar nicht einnehmen, weil die Museen vollgestopft sind irgendwie mit Krimskrams, da kaum Möglichkeiten vorhanden sind, und die Leute, die die Möglichkeiten hätten, diese Möglichkeiten auch nicht nutzen wollen, weil diese Form der Mittelstandsgesellschaft Deutschlands, das ist ja auch ein politisches Phänomen, die erodiert ja auch.
Das Museum ist wie die Oper, das Theater, das Literaturhaus. Das sind unbedingt verteidigenswerte Errungenschaften der bürgerlichen oder demokratischen Kultur. Es ist leicht, sich über die zu mokieren, aber die Alternative ist eben, dass es gar nichts gibt. Dann wandert eben alles nur so eine Finanzkette hoch, und in der genießen es dann nur noch diejenigen, die darüber verfügen können.
Und das ist ja dann, wenn man so will, die Kunstwelt ist ja auch zurzeit ein bisschen das Comeback einer Neo-Aristokratie, einer Mischung aus Oligarchentum, Aristokratie, Geld-Aristokratie, und das ist ja viel unappetitlicher, finde ich.
Mangel: Daniel Richter im Gespräch heute Nachmittag in der Frankfurter Schirn, in der bereits fix und fertig gestellten Ausstellung "Hello, I Love You", ab Freitag in der Schirn zu sehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Daniel Richter: Hello, I love you
Ausstellung in der Schirn Kunsthalle Frankfurt
9. Oktober 2015 bis 17. Januar 2016

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