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Der Populismus in Talkshows

AfD-Politiker Björn Höcke während seines Auftritts in der Talkshow "Günther Jauch".
AfD-Politiker Björn Höcke während seines Auftritts in der Talkshow "Günther Jauch". © Imago / Stefan Zeitz
Von Daniel Bouhs · 13.12.2016
Die "New York Times" ist sich sicher: Der schmutzige US-Wahlkampf, in dem es vor allem um Donald Trump ging, hat der Redaktion 41.000 neue Abonnenten beschert. Da drängt sich eine Frage auf: Helfen Populisten den Medien – und was machen die daraus? 
In der vergangenen Woche in Berlin: Pressempfang des Medienhauses Axel Springer. Am Rande des Empfangs: Ein Gespräch mit Julian Reichelt, dem Chefredakteur von "bild.de".
"Gut, worüber sprechen wir?"
"Populismus."
"Schön."
Und Reichelt sagt: Natürlich bringe Populismus Medien: Quoten, Klicks und Kohle. Erstmal.
"Das kann im ersten Schritt der Reichweite helfen. Ich möchte aber ein Beispiel nennen: CBS in den USA am Beispiel Donald Trump. Inzwischen ein berühmter Satz: Der Chef von CBS, der gesagt hat ‚Donald Trump ist grauenvoll für Amerika, aber großartig für CBS’. Das ist genau das, was Sie vermutlich meinen – ja? –, dass ein populistisches Thema, ein Populist Reichweiten im ersten Schritt hilft. Aber den zweiten Schritt sehen wir eben jetzt auch in den USA."
Populistische Medien machen also populistische Präsidenten. Sein Ansatz sei da ein anderer. Er nennt das "Smart Boulevard" – eine clevere Formulierung und offenkundig der Versuch der "Bild"-Zeitung, ihr Schmuddel-Dauer-Image abzuschütteln.
"Es geht darum, populistischen Verlockungen zu widerstehen und das richtige zu schreiben. Das, woran man glaubt, das, was man am besten durch eigene Reporter vor Ort tatsächlich gesehen hat, belegen kann, aus belastbaren Quellen hat – und es auch dann zu schreiben, wenn es – dafür ist die Flüchtlingskrise ein sehr gutes Beispiel – wenn es unpopulär ist. Wenn es Statistiken sind, die nicht den gefühlten Fakten entsprechen, die nicht dem 'Volksempfinden' entsprechen."

Populismus war die Heimat der "Bild"

Tatsächlich: Während Populismus für "Bild" lange eine Heimat war, zeigt die Boulevardzeitung nicht zuletzt mit der Asyl – und Migrationspolitik, dass sie auch anders kann. Die Kampagne "Wir helfen"... arbeitet offensiv gegen das Klima der Angst an, das von Rechtsaußen in die Republik zieht. Neulich erst hat "Bild" zudem nach Belästigungen auf einem Weihnachtsmarkt groß geschlagzeilt "Alle waren Deutsche".
Allein: Gleichzeitig nutzt "Bild" – so wie schon immer – weiter die Werkzeuge des Populismus und zielte auf die sogenannten "Ängste" der Bevölkerung mit dem Titel:
"Nach den Verbrechen von Freiburg und Bochum: Die große Debatte um das Frauenbild von Flüchtlingen!"
Reichelt will aber auf die neue Strategie setzen: Populisten mit "Bild"-Fakten einfangen. Doch: Nicht um jeden Preis.
"Wenn Leute darüber hinaus gehen, wenn sie 'Lügenpresse' schreien und fordern, Journalisten oder Politiker aufzuhängen, an die Wand zu stellen, dann muss man diesen Kampf in vielen Fällen dann leider verloren geben. Aber dann werde ich sicher nicht den Weg gehen, diese Leute durch Populismus zurückzugewinnen, sondern dann muss man halt sagen: Dann müsst ihr euch einen anderen Weg suchen und eine andere Plattform, ein anderes Medium."
"bild.de"-Chef Reichelt registriert Ankündigungen wie die für eine deutsche Version der rechtspopulistischen Plattform "Breitbart", die als großer Unterstützer Trumps gilt, mit Sorge.
"Der falscheste Weg wäre, panisch zu reagieren darauf, dass jemand – mit Ankündigung – ein populistisches Forum eröffnet, und das selber besetzen zu wollen, weil wir einfach wissen: Wir schaden unserer Marke und wir vernichten sie auf lange Sicht, wenn wir diesen Weg mitgehen."
Reißerische Titel rund um die Landtagswahlen in drei Bundesländern.
"Merkels Schicksalswahl".
"Abrechnung mit der Kanzlerin".
"Abrechnung mit Merkels Flüchtlingspolitik".
Für Andrej Reisin lag der Gipfel des Talkshow-Populismus im März. Reisin arbeitet für die innenpolitische Redaktion des Norddeutschen Rundfunks. Die Abteilung verantwortet auch "Anne Will". Und dennoch: Reisin äußert offen seine Kritik.
"Man muss sich halt nur fragen, wenn man wie beispielsweise im März nach den Landtagswahlen innerhalb von zehn Tagen da sechs Mal die AfD zu immer demselben Thema quasi sitzen hat und immer mit auch recht reißerischen Titeln wie ‚Merkel vor dem Untergang’ oder so ähnlich, ob man da nicht doch sehr stark deren Botschaft direkt zur besten Sendezeit ausstrahlt."

Es geht nicht um einen echten Dialog

Zusammen mit einem Kollegen hat Reisin seine Kritik auf der Seite des Medienmagazins ZAPP gebloggt. Dazu eine Erhebung: In den politischen Talkshows der öffentlich-rechtlichen Hauptprogramme haben in diesem Jahr bis Ende November bereits 22 Mal AfD-Vertreter ihre rechtspopulistischen Thesen verbreiten können.
Die Sorge der beiden Medienjournalisten: Talkshows "veredeln" die Botschaften der Populisten, denn: Um einen echten Dialog geht es gar nicht.
"Roger Willemsen hat mal gesagt 'Haben Sie schon mal erlebt, dass jemand in der Talkshow seine Meinung ändert?' und das ist eine sehr interessante Frage, weil das passiert im Alltag, wenn wir diskutieren in der Kneipe, am Essenstisch und so natürlich die ganze Zeit, dass auch mal jemand sagt 'Stimmt, so habe ich das noch gar nicht gesehen, da ist etwas dran'. Das passiert in den Talkshows halt nie, weil die explizit darauf angelegt sind, dass jeder quasi seine Meinung in der möglichst krassesten Art und Weise zu Ende reitet – ja? – und dann hat man quasi einen Strauß von kontroversen Meinungen und einen Knalleffekt und am Ende sitzen alle da und fühlen sich entweder bestätigt oder eben vor den Kopf geschlagen. Und das ist, glaube ich, einfach eine schlechte Art, um miteinander zu diskutieren."
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