Mainstream im Zeitalter der Medienvielfalt

Was begeistert die Massen?

20:34 Minuten
Elsa and Anna aus der Disneyproduktion "Frozen" als Puppen.
Es gibt Medienformate wie "Frozen", bei denen schon Kleinkinder an Figuren wie Elsa und Anna gewöhnt werden, hier als Puppen. © Imago / UPI
Stephan Schwingeler und Anna Schnauber-Stockmann im Gespräch mit Jochen Dreier und Max von Malotki · 22.05.2021
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Der eine schaut Tanzvideos auf TikTok, die andere streamt australischen Rugby. Die Medienwelt bietet immer mehr Nischen. Gibt es ihn heute noch, den Mainstream? Wenn ja: Wie entsteht er, was zeichnet ihn aus?
Digitale Währungen, künstliche Intelligenz – oder einfach nur das gute alte Buch: Prophezeiungen, was zum Mainstream wird, gibt es jedes Jahr aufs Neue. In der Pandemie ganz vorn dabei: Videokonferenzen oder Onlinespiele.
Mainstream bedeutet: das Etablieren von Normen, Konventionen und Gewohnheiten. Interessanterweise ist es aber auch eine jahrhundertealte Regel, dass in regelmäßigen Abständen damit gebrochen wird. Denn der Mainstream ist immer in Bewegung – gemeinsam mit seinem Gegenspieler, der Subkultur.

"Ganz neue, unerhörte Ideen"

Der Medienwissenschaftler und Kunsthistoriker Stephan Schwingeler erklärt das am Beispiel der beginnenden Moderne in der Malerei, als die Impressionisten mit den gängigen Malweisen und etablierten Vorstellungen der Kunstakademien brachen.
"Die Impressionisten Ende des 19. Jahrhunderts kommen mit ganz neuen, unerhörten Ideen, gehen zum Beispiel aus den Akademien raus an die frische Luft und fangen da zu malen an, so wie sie die Welt sehen. Diese Künstlerinnen und Künstler, die wandern dann natürlich irgendwann auch wieder zurück in die Akademien und beginnen ihre Ideen und ihre eigentlich unkonventionellen künstlerischen Auffassungen dann wiederum weiterzuvermitteln. So dass sich dann wiederum gegen diese nun etablierten Personen avantgardistische Strömungen entwickeln."

Was massentauglich ist, bestimmen auch die großen Player

Was sich zum Mainstream entwickelt, hängt aber nicht nur von ästhetischen Vorstößen der Avantgarde ab, sondern auch von den äußeren Umständen – wie jetzt in der Coronapandemie. In den Wirtschaftswunderjahren beispielsweise hatten viele Menschen Geld für ein eigenes Auto und so wurde in Westdeutschland die Italienreise zum Mainstream.
Was massentauglich ist, bestimmen aber auch die großen Player: "Wie lernt man in einem Medienleben, wie ein Film zu funktionieren hat, wo die Konventionen liegen und wie sie funktionieren? Indem man schon im zarten Kindesalter Medien konsumiert und diese Konventionen dadurch erlernt", beschreibt der Kunsthistoriker Stephan Schwingeler das Rezept, wie einer der größten Mainstream-Player sein Publikum an sich bindet.

Von der Arthus-Sage bis zu Spiderman

"Disney fängt mit einer Zielgruppe im Vorschulalter an. Da werden also schon die Intellectual Property des Disneykonzerns über verschiedene Medien kleinen Kindern gezeigt. Nehmen wir mal Anna und Elsa aus dem "Frozen"-Universum (Die Eiskönigin): Es gibt Medienformate, die sind an Kleinkinder gerichtet, die dann schon mal die Figuren kennen. Für jedes Lebensalter gelten andere Konventionen, aber die Gewöhnung daran, die kann sich durch ein ganzes Leben ziehen."
Diese Mainstream-Stories funktionieren oft auf Grundlage alter Strukturen - eine ist dabei ganz zentral: "Das ist die sogenannte Heldenreise. Diese Heldenreise findet man in alten Sagen, in alten Mythen wieder, die findet man in alttestamentlichen und neutestamentlichen Geschichten wieder, die findet man in Märchen natürlich wieder. Also in ältesten, archaischen Geschichten, die uns nicht nur ein Menschenleben lang begleiten, sondern über Generationen und Dynastien. Diese Geschichten ändern sich im Kern nicht sehr stark. Es gibt bestimmte neuralgische Punkte in diesen Geschichten, die also von der ältesten Arthus-Sage bis zum neuesten Spiderman ähnlich funktionieren", erklärt Schwingeler.

Streamingdienste: Vorreiter in Sachen Diversität

Die Struktur der Geschichten und die Gefühle, die sie ansprechen, sind immer ähnlich. Inhaltlich hat sich aber von der Bibel bis zu "Fast and the Furious" ein bisschen was getan: Das einheitliche, konservative Weltbild des Fernsehens, das auf den Erhalt des Status-Quo und der Machtstrukturen ausgerichtet war, werde von einem diverseren Angebot ergänzt, sagt die Kommunikationswissenschaftlerin Anna Schnauber-Stockmann.
"Es finden sich sehr viel mehr Nicht-Mainstream-Protagonisten in Serien als es früher der Fall war, weil es auch nicht mehr so mehrheitsfähig sein muss wie für das Fernsehen. Weil die, die das jetzt nicht schauen wollen, die sind in dem Zeitslot nicht für den Sender verloren", erklärt Schnauber-Stockmann.
Doch wenn das Angebot immer diverser wird: Kann man überhaupt noch von einem Mainstream sprechen? "Es gibt immer noch fünf Serien, die jeder schaut", sagt die Kommunikationswissenschaftlerin. Zwar könne heutzutage jeder Nutzer seine individuellen bedienen und die Algorithmen der Streamingdienste liefern personalisierte Vorschläge: "Andererseits sehen wir da genauso wie im Fernsehen - ich nenne es mal 'Quotenkracher'."
Fazit: Auch heute gilt, dass Mainstream und Avantgarde – oder Nische – in einer fruchtbaren, im Grunde symbiotischen Beziehung zueinander existieren.
(nog)
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