Mailänder Scala hat einen neuen Intendanten

Von Uwe Friedrich · 21.04.2005
Mit der Ernennung von Stéphane Lissner zum Intendanten versucht das renommierte Opernhaus nach monatelangen Streitereien einen Neuanfang. Der 52-jährige Franzose, bisher Musikdirektor der Wiener Festwochen, erhält in Mailand einen Vertrag bis 2010. Lissner übernimmt die Nachfolge von Intendant Mauro Meli, den der musikalische Direktor und Dirigent Riccardo Muti erst im Februar an die Scala geholt hatte.
Erfahrungen mit wilden Streiks hat der neue Intendant der Mailänder Scala jedenfalls schon. Als im 2003 die französischen Bühnenarbeiter Aufführungen seines Festivals in Aix-en-Provence störten, musste er schweren Herzens die gesamte Veranstaltung absagen. Seinen Posten als Künstlerischer Leiter des Teatro Real in Madrid verließ er, als Bürokraten des spanischen Kulturministerium ihm allzu sehr in seine Entscheidungen hineinregieren wollten. Diese Entschlossenheit, sich nicht erpressen zu lassen, wird er in Mailand sicher gut brauchen können. Denn die Scala befindet sich nach wie vor in einer tiefen Krise, auch wenn nun einer der vakanten Posten am Hause kompetent neu besetzt wurde und die Beschäftigten ihre Unterstützung des französischen Kulturmanagers signalisiert haben.

Lissner wird die Nachfolge des glücklosen Mauro Meli antreten, den der selbstherrliche Maestro Riccardo Muti vor wenigen Wochen einsetzen wollte, indessen aber selber über diese Personalie stürzte, weil ihm sogar das Orchester die Gefolgschaft versagte. Muti grollte, trat zurück und machte damit endlich den Weg frei für die überfällige Modernisierung sowohl der Verwaltungswege als auch des rettungslos verstaubten Repertoires.

Der 52-jährige Stéphane Lissner bringt dafür Erfahrung und das nötige Fingerspitzengefühl mit. Von 1988 bis 98 machte er das städtische Theatre du Chatelet in Paris zum progressivsten Musiktheater des Landes, lud sehenswerte Produktion in die Hauptstadt ein und produzierte selber Inszenierungen, die wiederum international gefragt waren. Als Intendant des Sommerfestivals von Aix-en-Provence setzte er auf eine nicht allzu revolutionäre Moderne, gleichzeitig sponsorenkompatibel, geschmackvoll und künstlerisch vertretbar. Das könnte auch ein Erfolgsmodell für Mailand sein. Denn es wird sicher nicht leicht, Publikum und Aufsichtsrat davon zu überzeugen, dass die Zeiten des musealen Stehrumtheaters vorbei sein sollen.

Lissner ist ein glänzender Organisator, sowohl das Festival in Aix als auch die Wiener Festwochen, wo er unter dem Intendanten Luc Bondy für das Musikprogramm zuständig ist, laufen weitgehend geräuschlos. Er hat auch eine glückliche Hand bei der Auswahl seiner Koproduktionspartnern, beispielsweise wird Simon Rattle Wagners "Nibelungenring" zunächst in Aix zeigen, bevor die Opern bei seinem eigenen Festival in Salzburg zu sehen sind. In den vergangenen Jahren war der junge britische Dirigent und Simon-Rattle-Schützling Daniel Harding sein bevorzugter Partner. Den wird er jedoch kaum als neuen Generalmusikdirektor der Mailänder Scala durchsetzen können. Denn das ist nun die drängendste Personalie. In der 227-jährigen Geschichte des Opernhauses hat noch kein Nicht-Italiener diesen Posten bekleidet. Wenn es bei dieser Tradition bleibt, so kann die Vakanz in Italien unversehens Auswirkungen in Deutschland haben. Einer der wenigen international bedeutenden italienischen Dirigenten mit Erfahrung an der Scala ist nämlich Riccardo Chailly. Der soll jedoch ab der nächsten Spielzeit die musikalische Leitung des Leipziger Gewandhausorchesters und der Oper übernehmen. Heute Abend dirigiert er das Gewandhausorchester, am Freitagvormittag will er auf einer Pressekonferenz seine Pläne bekannt geben. Zwar ist es eher unwahrscheinlich, dass Chailly den komfortablen Posten in Leipzig noch vor Amtsantritt aufgibt zugunsten eines Schleudersitzes in Mailand. Möglich ist in der Musikwelt jedoch alles. So beglückwünschen wir die Mailänder zur guten Wahl Stéphane Lissners, wünschen ihm auch alles Gute auf dem neuen Posten, hoffen aber aus ganz eigennützigen Gründen, dass der Neubeginn an der Scala ohne Riccardo Chailly stattfindet.