Mahnmal in Berlin

"Eine immerwährende Mahnung und Warnung"

Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) und Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) legen am 02.09.2014 in Berlin während der Einweihung des Mahnmals für die Opfer der nationalsozialistischen "Euthanasie-Morde" Kränze nieder.
Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) und Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) legen während der Einweihung des Mahnmals Kränze nieder © dpa / picture alliance / Lisa Ducret
Von Thomas Fritzel · 02.09.2014
In Berlin ist ein Mahnmal eingeweiht worden, das an die Opfer der nationalsozialistischen Euthanasie-Morde erinnert. Das Denkmal besteht aus einer 24 Meter langen Glaswand und befindet sich am einstigen Standort der NS-Dienststelle zur sogenannten "Vernichtung lebensunwerten Lebens" im Stadtteil Tiergarten.
Kulturstaatsministerin Monika Grütters machte in ihrer Eingangsrede heute Vormittag deutlich, dass es bei dem Gedenken an die von den Nationalsozialisten ermordeten geistig oder körperlich Behinderten nicht nur um die Vergangenheit gehen kann, sondern auch um unsere Gegenwart.
"Viele handelten tatsächlich aus dem Gefühl heraus, an einem umfassenden Erlösungswerk teilzunehmen. T4 sollte uns deshalb eine immerwährende Mahnung und Warnung sein. Eine Warnung auch davor, ich erlaube mir diesen sehr persönlichen Hinweis, in aktuellen Diskussionen über das Leid Schwerstkranker, das Tötungsverbot leichtfertig zur Disposition zu stellen."
Renommierte Ärzte hatten in der NS-Zeit die Ermordung geplant und durchgeführt, Ärzte, die nach dem Krieg im Großen und Ganzen unbehelligt ihrem Beruf weiter nachgingen. Die Angehörigen der Getöteten schwiegen dagegen zumeist aus Scham.
"Lange, auch zu lange hat es gedauert, bis Deutschland auch dem Gedenken der Euthanasiemorde und der Zwangsterilisation öffentlichen Raum gegeben hat. Immerhin seit Ende der 1980ger-Jahre erinnern eine in den Boden eingelassene Gedenktafel und eine nachträglich umgewidmete Plastik von Richard Serra in der Tiergartenstraße 4 an die Bürokratie der Selektion und Vernichtung so genannten lebensunwerten Lebens."
Deckname: Aktion T4
Wo heute die Besucher in die Philharmonie zum Konzertbesuch strömen, stand einst die Villa der Familie Liebermann, die zwangsenteignet wurde und in der danach der massenhafte Mord von geistig und körperlich Behinderten geplant und organisiert wurde. Die Adresse gab dafür den Decknamen: Aktion T4. Schätzungsweise 300.000 Menschen kamen in der Folge in Deutschland und in den von den Nazis besetzten Ländern ums Leben. Sie wurden erst vergast und als man dies 1941 stoppte, da unter anderem Kardinal Clemens August von Galen öffentlich in seinen Predigten dagegen protestierte, fanden sich andere Methoden der Ermordung, wie Dora Wolf, eine Angehörige, erzählt.
"Meine Schwester Eva Wolf, sie ist 1932 am 5. November geboren, wurde 1942 wegen einer Gehirnhautentzündung nach Uchtspringe gebracht. Ihr wurde dort jeden dritten Tag Gehirnwasser entzogen und sie verhungerte. Mich hat meine Mutter bis zum siebten Jahr bis 1945 in einem Keller versteckt, wenn ich meine Fieberkrämpfe kriegte. Sie hatte Angst eine zweite Tochter zu verlieren."
Auch ihre Familie schwieg darüber. Sie selbst erfuhr erst mit sechzehn von dem Tod ihrer Schwester. Und auch dies ist typisch für den Umgang damit in vielen Familien. Wie ebenso in der Familie von Sigrid Falkenstein.
"Es gab ein Foto an der Wand, da war ein kleines süßes Mädchen zu sehen, und alles was ich wusste, dass diese Schwester meines Vaters sehr jung gestorben ist und sie war überhaupt kein Thema ansonsten. Ich habe nicht gefragt, ich frage mich manchmal heute, warum ich nicht gefragt habe. Es gibt in manchen Familien so ein diffuses Schweigen, vielleicht ahnt man irgendwo ganz weit hinten was, weiß aber auch, dass das ein Thema ist, was tabubehaftet ist. Also ich habe nie gefragt bis 2003, als ich per Zufall den Namen auf einer Liste der Opfer der Euthanasie fand."
Texte und Bilder unter Glas
Sigrid Falkenstein ist eine der Initiatorinnen für dieses Denkmal, sie wollte sich nicht damit abfinden, dass eine lediglich umfunktionierte Stahlskulptur von Richard Serra als Denkmal dient und überhaupt wollte sie sowieso eine andere Form des Gedenkens. Auf einem gut dreißig Meter langen Steinlesepult, gewissermaßen direkt über den Fundamenten der einstigen Villa, kann sich der Besucher jetzt stattdessen detailliert informieren. Die sofort ansprechenden Texte und Bilder liegen unter Glas und schimmern bläulich.
"Also ich bin froh, dass dieser Ort so geworden ist, wie er ist und dass es eben kein klassisches Denkmal ist. Ein Platz, nur um Kränze hinzulegen und Reden zu halten, brauchen wir nicht."
Für die konkrete Inhaltsgestaltung war der Psychiater und Medizinhistoriker Gerrit Hohendorf verantwortlich.
"Wir haben zuerst überlegt: macht man so ein eigenes Kapitel, wo man die Opfer darstellt? Und wir haben uns dann dafür entschieden: nein, wir brechen die historischen Information durch einzelne, berührende Lebensgeschichten, ganz kurze Texte, die dann auch noch in der leichten Sprache eindrucksvoll zusätzlich erscheinen und jeweils ein Bild dieser Menschen."
Dies ist das Entscheidende. Nicht einer abstrakten Opfergruppe wird hier am Ort der Täter gedacht, die womöglich noch nach der einstigen Diagnose weiterhin kategorisiert wird: schizophren, dement, körperlich behindert und so weiter, sondern es sind jetzt Individuen, zehn exemplarische Biographien, wie zum Beispiel die von Karl Ahrendt, der Jahrzehnte in Anstalten verbrachte und kurz vor seiner Ermordung noch einen Brief dem Anstaltsleiter schrieb. Darin heißt es:
"Dass er für sich selbst immer versucht hat, das menschliche Dasein ins sich selbst zu bewahren."
Die anderen Besucher beobachten
Dieses Denkmal markiert auch in andere Hinsicht eine Zäsur. Die künstlerische Formgestaltung tritt hier sehr diskret in den Hintergrund zurück, denn es geht nicht mehr vorrangig um das direkte emotionale Erleben. Das Ergriffenwerden wie etwa noch im Holocaust-Mahnmal. Als künstlerisches Gestaltungselement lässt sich lediglich eine blaue, mehr als mannshohe Glasscheibe identifizieren. Sie verläuft in einigen Metern Abstand parallel zu dem Informationspult und ist etwas kürzer. Auf der anderen Seite der Glasscheibe wiederum kann man sich hinsetzen, ausruhen oder sich über eine Internetseite noch mehr informieren lassen. Der Künstler Nikolaus Koliusis, der zu dem Architektenteam gehört, will, dass man durch diese Scheibe hindurch die Besucher auf der jeweils anderen Seite betrachtet.
"Sie werden sich darin spiegeln und sie werden hindurchschauen. Diese Gleichzeitigkeit des Anschauen und des Hindurchschauens ist ein Moment, den sie verinnerlichen, den sie erleben an sich selbst."
Dieses Blau besitzt etwas sehr Hoffnungsfrohes. Hoffnung durch Aufklärung.
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