Magnetische Partikelchen

Nanomedizin zwischen Wissenschaft und Fiktion

Ein menschliches Haar mit einem Nanoteilchen an der winzig kleinen Spitze eines Roboters
Ein menschliches Haar mit einem Nanoteilchen an der winzig kleinen Spitze eines Roboters © picture alliance / Andreas Landefeld
Von Arndt Reuning · 08.09.2016
Das Konzept: Medikamente werden in Form kleinster Partikel in den Körper geschleust, im Idealfall besitzen sie keine Nebenwirkungen. Doch bislang haben nur wenige Nanomedikamente ihren Weg in den klinischen Alltag gefunden.
Im Jahr 1966 kam der Science-Fiction-Film "Die phantastische Reise" in die Kinos, der den menschlichen Körper aus einer bislang unbekannten Perspektive zeigte: Ein geschrumpftes U-Boot, klein wie ein Bakterium, begibt sich auf Fahrt durch den Körper eines Patienten, der im Koma liegt. Ziel der Mission ist es, ein lebensbedrohliches Blutgerinnsel mit Hilfe eines Laserstrahls aufzulösen.
Gut dreißig Jahre später sollte ein U-Boot, das in Adern auf Tauchfahrt geht, zur Ikone einer neuen Wissenschaft werden – der Nanomedizin. Dahinter verbirgt sich das Konzept, Medikamente in Form kleinster Partikel in den Körper zu schleusen. Es entstand der Eindruck, als würden bald schon winzige, ferngesteuerte Roboter den menschlichen Körper auf Vordermann bringen.
"Das ist natürlich ziemlich unrealistisch. Und insofern hat es die Nanomedizin so ein bisschen manchmal auch in Misskredit gebracht, weil die Leute erwartet haben: Jetzt injizieren die Mediziner ein U-Boot, und dann geht alles besser. Nein, so wird es nicht funktionieren. Aber sicherlich ist es so, dass Partikel entwickelt werden, die versuchen, im Körper zu zirkulieren und dann das Medikament dahin zu bringen, wo es dann hin soll."
Klaus-Michael Weltring, Sprecher der deutschen Plattform NanoBioMedizin. Diese Partikel spielen in der Nanomedizin eine zentrale Rolle. Durch ihre Dimensionen können sie im Körper neuartige Wirkungen entfalten. Winzige Kügelchen, die Medikamente durch den Organismus transportieren und dabei andere Wege nehmen als die konventionellen Wirkstoffe. Denn die Nanopartikel breiten sich nicht wahllos aus, schließlich sind sie immer noch deutlich größer als Moleküle. Aber sie sind klein genug dafür, in Körperzellen einzudringen und bestimmte biologische Barrieren zu überwinden.
Eine Spielart der Präzisionsmedizin: Wie die magische Kugel, derer sich der Freischütz bedient, sollen diese Wirkstoffe niemals ihr Ziel verfehlen. Hochspezifisch bekämpfen sie im Idealfall nur kranke Zellen – im Gegensatz zu heutigen Medikamenten.
"Wenn wir zum Beispiel Krebsmedikamente nehmen, fallen uns die Haare aus, weil das Medikament natürlich im ganzen Körper verteilt ist. Und die Idee mit den Kügelchen ist, dass ich die Kügelchen eben dahin bringe, wo der Tumor wirklich sitzt und ich damit höhere Dosen dahin kriege, wo ich sie brauche und niedrige Dosen dahin, wo ich sie nicht brauche, nämlich im ganzen Körper."
Doch bislang haben nur wenige Nanomedikamente ihren Weg in den klinischen Alltag gefunden. Noch bewegt sich das junge Forschungsgebiet zwischen Wissenschaft und Fiktion.
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Das Universitätsklinikum Münster, Eingang Ost. Patienten warten vor den Aufzügen oder vertreiben sich die Zeit in der Cafeteria.
Einige Stockwerke tiefer ist Oberarzt Johannes Wölfer auf dem Weg zu einem ganz besonderen Großgerät. Gleich zwei Türen muss er durchschreiten, um in den Raum zu gelangen.
"Sie sind hier eben durch eine Doppelschleuse gekommen, die aus Sicherheitsgründen eingerichtet worden ist. Denn das magnetische Feld, das hier entsteht, kann Patienten zum Beispiel als Träger von Herzschrittmachern durchaus gefährden. Das Ganze ist also gesichert, damit niemand unbedarft oder unbedacht hier dann in Gefahr kommt."
Mit dem Gerät werden Patienten behandelt, die unter einem aggressiven, schnell wachsenden Gehirntumor leiden. Diese Art der Therapie ist erst durch die Nanomedizin möglich geworden.
"Da gibt es in Deutschland nur wenige Standorte, die das können. Und die Situation der Patienten rechtfertigt es sicherlich, hier dann auch mal eine Therapie zu wählen, die im Zusatz zu den Standardtherapien in hoffnungsloser Lage möglicherweise einen Hoffnungsschimmer birgt."
Fallbeispiel eins: Die Pioniere
"Wir stehen hier vor dem sogenannten Nanoaktivator. Sinn des ganzen Apparates ist es, ein magnetisches Wechselfeld zu erzeugen, das mit hoher Energie und feiner Dosierbarkeit Nanopartikelchen, die vorher in einen zu behandelnden Tumor eingebracht worden sind, zu erhitzen, das genau zu dosieren und in einer bestimmten Zeit dann eine gewisse Menge Energie dort einzubringen."
Solche Nanopartikel hat Johannes Wölfer in einem kleinen Glasfläschchen mitgebracht: Eine tintenschwarze Flüssigkeit, die er mit einem Magneten von außen bewegen kann. Denn sie bestehen im Kern aus Magnetit, einem Eisenoxid. Fünfzehn Nanometer messen die Winzlinge im Schnitt – sie sind fünfhundertmal kleiner als der Durchmesser eines roten Blutkörperchens. Sie vollführen einen Tanz im Takt des Magnetfeldes und heizen dem Tumor richtig ein. Je nach erreichter Temperatur zerstört das die Krebszellen direkt oder macht sie empfindlicher für eine Strahlen- oder Chemotherapie.
"So eine Einzelbehandlung dauert ungefähr eine Stunde. Der Patient liegt hier drin, er kann hier drauf gefahren werden. Diese Liege ist beweglich. Man fährt ihn dann da rein. Die Patienten sollten nicht sehr platzangstanfällig sein, obwohl der Platz in dem Gerät selber sicherlich größer ist als zum Beispiel im Kernspintomographen."
Die sogenannte NanoTherm-Therapie geht auf Forschungsarbeiten an der Berliner Charité zurück. Weiterentwickelt wurde sie von der MagForce AG. Die wurde 1997 als eine Ausgründung der Charité ins Leben gerufen. Sie ist das erste Unternehmen weltweit, das die europäische Zulassung für ein Medizinprodukt mit Nanopartikeln erhalten hat. Kommerzielle Behandlungen finden an drei Standorten in Deutschland statt. Zudem wird gerade eine Post-Marketing-Studie durchgeführt, in der vorrangig Patienten mit einem wiederkehrenden Gehirntumor mit den Nanopartikeln behandelt werden. Walter Stummer, Professor an der Klinik für Neurochirurgie in Münster, leitet die Studie. Erste vorläufige Ergebnisse seien vielversprechend, erklärt der Mediziner.
"Es gibt Serien mit Patienten, die uns zeigen, dass ein hohes Maß an Sicherheit für die Patienten da ist. Wir wissen, dass Wirksamkeit da ist. Wie weit und wie lang das anhält, das ist noch alles unklar."
Behandelt werden vor allem Patienten mit einem Hirntumor, bei denen die konventionellen Methoden keinen Erfolg mehr versprechen, also Operation, Bestrahlung oder Chemotherapie.
"Selbst wenn wir einige Monate gewinnen für den Patienten – immer unter der Voraussetzungen, dass keine wesentlichen Nebenwirkungen auftreten – dann ist das als positiv zu bewerten."
Mit dem Miniatur-U-Boot aus der phantastischen Reise haben die Eisenoxid-Nanopartikel jedenfalls nicht viel gemein. Sie müssen direkt in das kranke Gewebe hinein gespritzt werden. Dafür ist eine kleine Operation am Kopf notwendig.
"Wir müssen an einer Stelle mit einem sogenannten Bohrloch den Schädel öffnen und können dann sehr fein, mit sehr, sehr feinen Sonden, zwei bis drei Millimeter-Sonden dann computergestützt die Medikamente in das Gehirn vorbringen. Also es ist keine große Gehirnoperation in dem Sinn, sondern zählt zu unseren kleineren Operationen. Immer in Anführungsstrichen. Für den Patienten ist das natürlich alles bedeutsam."
Dass die winzigen Magnete tatsächlich in ihrer Nanoform vorliegen, ist entscheidend für den Erfolg der Behandlung, sagt Walter Stummer.
"Der Nanoaspekt ist, dass wir besonders kleine, magnetische Partikelchen haben, die in der Lage sind, in das Gewebe ein Stück weit zu diffundieren. Das heißt, sie bewegen sich in das Gewebe und kleben sich an den Zellen fest. Wenn die Partikelchen größer wären, würden sie das nicht tun können. Denn das Gehirn ist eigentlich ein dichtes Geflecht, durch das kaum Medikamente oder Partikel durchfließen können.
Nanopartikel besitzen andere Eigenschaften als größere Teilchen. Das lässt sie für Anwendungen auch abseits der Medizin attraktiv erscheinen. Fein verteiltes Nanosilber beispielsweise binden manche Hersteller an Sporttextilien, damit diese nicht müffeln. Und winzige Körnchen aus Titandioxid in Sonnencremes schützen vor schädlicher UV-Strahlung. Unter Umständen können die Nanomaterialien aber auch unerwünschte Wirkungen zeigen. Von bestimmten Nanoröhrchen aus Kohlenstoff weiß man, dass sie in der Lunge Entzündungen verursachen, wenn sie eingeatmet werden. Bei Trägersystemen für Medikamente sollte man daher besonders sorgfältig die toxikologischen Effekte im Auge behalten. Nicht nur im Körper der Patienten, sondern auch dann, wenn die Medikamente über das Abwasser in die Umwelt gelangen, urteilt der Umweltmediziner Peter Germann, Vorsitzender des Ökologischen Ärztebunds
"Von der Belastung des Wassers, da können wir davon ausgehen, dass Mikroorganismen gestört werden. Wenn ich jetzt zum Beispiel Nanosilber nehme, da kann ich sagen: Da gibt es schon ganz gute Untersuchungen, dass da die Bakterien in der Kläranlage belastet werden, also in ihrer Funktion gestört werden. Weil: Silber ist antibakteriell, und da kann ich eine Störung also annehmen."
Weil von vielen anderen Nanomaterialien nicht bekannt ist, welche schädlichen Nebenwirkungen sie haben können, rät er zum Vorsorgeprinzip: Die Nanoteilchen sollten als potentiell schädliche Substanzen angesehen werden, solange das Gegenteil nicht bewiesen sei. Nicht nur in Hinblick auf die Patienten seien Vorsichtsmaßnahmen zu beachten, sondern auch schon während der Herstellung der Materialen und bei der Verwendung in der Klinik.
"Also da ist es halt auch schwierig, dass diejenigen, die damit arbeiten eben halt den Arbeitsschutz extrem penibel einhalten, weil keiner weiß, was zum Beispiel inhaliert für eine Wirkung entfaltet wird. Oder wenn es geschluckt wird, was das dann für einen Effekt hat."
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Saarbrücken. Das Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland, kurz: HIPS. Claus-Michael Lehr betritt den Labortrakt. Im Inneren des Gebäudes verbirgt sich ein fensterloser Raum.
Auf Labortischen stehen weiße Apparate, die in Form und Größe an Waschmaschinen erinnern. An einem von ihnen steht eine Klappe offen. Im Inneren greift ein kleiner Roboterarm nach ordentlich aufgereihten Probengläschen. Mit dem Analysegerät bestimmen die Forscher am HIPS, welche Wirkstoffmengen sie mit Hilfe von Nanopartikeln in den menschlichen Körper einschleusen.
"Grenzen zu überwinden oder Barrieren zu überwinden, also biologische Barrieren, das ist so ein bisschen die Überschrift unserer Forschung hier in der Abteilung, die aber auch von vielen Kollegen geteilt wird." (Stimme halb oben)
Fallbeispiel zwei: Die Grenzüberschreiter
Auf dem Weg in den Körper und zu dem Ort, wo es wirken soll, muss ein Medikament oft biologische Barrieren durchdringen. Solch eine Barriere kann zum Beispiel die Haut sein. Oder auch die Deckschicht der Bronchien in der Lunge. Oder die Blut-Hirn-Schranke, der Türsteher unseres Denkorgans, der nur ausgewählte Stoffe aus den Adern passieren lässt. Alle diese Barrieren schützen den Körper vor ungebetenen Eindringlingen: vor Staub, Viren oder Schadstoffen. Pharmazeuten stellen diese Grenzflächen allerdings vor eine Herausforderung. Denn diese Barrieren halten auch Medikamente zurück, nicht so jedoch Nanopartikel. Sie können dabei helfen, die Wirkstoffe in den Körper zu schleusen. Die kleinen Kügelchen selbst besitzen keine medizinische Wirkung. Aber wie ein Nanotaxi transportieren sie ihren Passagier, den Wirkstoff, in das kranke Gewebe hinein.
"Ob diese Nanomedizin gegen Krebs, gegen Alzheimer, gegen Infektionskrankheiten oder – ich sage mal ganz bewusst aus Scherz – gegen eingewachsene Nägel helfen soll, das ist dann eine Frage des Wirkstoffs. Das Ganze ist so ein bisschen wie in der Transportlogistik oder beim Taxifahren: Das Nanosystem ist das Taxi. Und es kommt drauf an, was Sie für eine Art von Passagier transportieren. Es ist ein Unterschied, ob Sie Krebsmedikamente transportieren oder ob Sie Gentherapeutika als viel größere Moleküle transportieren. Und es macht einen Unterschied, ob Sie eine Nanomedizin zur Anwendung bringen möchten über die Haut oder ob Sie ein System entwickeln möchten, was Sie als Aerosol inhalieren und in die Lunge bringen wollen."
Die Forscher um Claus-Michael Lehr entwickeln solche Transportsysteme für den Nanokosmos. Dazu konstruieren sie im Labor winzige Kügelchen, die sie mit den Wirkstoffen beladen. Im Gegensatz zu den harten Anti-Krebs-Partikeln aus Eisenoxid setzen die Nanomediziner aus Saarbrücken auf weiche Materialien, die im Körper nach einer gewissen Zeit wieder abgebaut werden. Denn schließlich dienen sie nur als Vehikel und sollen in den Organen keine Spuren hinterlassen – und auch nicht später in der Umwelt. Zwei Stoffe aus der Natur haben sich mittlerweile als Trägersystem durchgesetzt: Zum einen der Biokunststoff Polymilchsäure, aus der Chirurgie als Nahtmaterial bekannt. Im Körper zerfällt die Polymilchsäure allmählich zu Milchsäure, die dann weiter abgebaut werden kann. Bei dem zweiten Stoff handelt es sich um Chitosan.
"Chitosan klingt so ähnlich wie Chitin. Und Chitin, weiß man vielleicht aus dem Biologieunterricht, das ist also das Material, aus dem im Wesentlichen der Panzer von Insekten, die Hülle von Krabben oder auch wesentliche Teile des Zellwandmaterials von Pilzen besteht. Also auch ein natürlicher Stoff, der dann durch eine leichte chemische Veränderung in dieses Chitosan umgebaut werden kann."
Durch die Nanotaxis verändern sich die Wege, die Medikamente im Körper nehmen können – oder in den Körper hinein. So haben die Pharmazeuten aus Saarbrücken eine Schutzimpfung entwickelt, die nicht mit einer Spritze verabreicht werden muss. Der Impfstoff kann in Nanopartikel gepackt und dann einfach auf die Haut gestrichen werden.
"Durch das Aufbringen von Nanopartikeln in einer streichbaren Zubereitung, das ist jetzt das, wohinter sich längerfristig mal eine Creme oder eine Salbe verbirgt, auf die Haut kann eine Immunreaktion, eine immunologische Botschaft, vermittelt werden, ohne dass man die Hautbarriere irgendwie durchbricht oder verändern muss. Die Hautbarriere, die ja auch sehr wichtig ist, bleibt also intakt, und trotzdem ist es möglich, durch schlichtes Aufbringen von so einem äußeren System eine Immunreaktion hervorzurufen."
Eine Impfsalbe könnte vor allem in Entwicklungsländern gute Dienste leisten. Sie lässt sich leicht lagern und transportieren. Denn in der Nanoform ist der Impfstoff besonders stabil. Selbst wenn er nicht gekühlt wird, verdirbt er nicht so leicht.
Dass die Nanopartikel über die Haut aufgenommen werden können, liegt an ihrem Durchmesser. Der liegt zwischen zwei- und dreihundert Nanometern. Damit passen sie gut in den Spalt zwischen den Haaren und der Haut. Der Haarschaft trägt an seiner Oberfläche Schuppen. Durch diese Struktur und die Bewegung der feinen Muskeln werden die Nanoteilchen stets nur in Richtung der Haarwurzel gezogen – wie bei einem Ratschenmechanismus. In der Haut erkennt das Immunsystem den Impfstoff als Eindringling und aktiviert seine Abwehrkräfte – es baut den Impfschutz auf.
"Das Besondere ist ja tatsächlich dieses Phänomen, was sozusagen nanotypisch ist: Also so bei zwei- oder dreihundert Nanometern liegt das Optimum für den Effekt. Also, das ist ein wirklich größenabhängiger Effekt, wo man sich die Nanoskala zu Nutzen machen kann. Mit den freien Molekülen wird das nicht passieren. Die sind zu klein. Und mit größeren Partikeln, mit Mikropartikeln, die würden da wiederum nicht reinpassen."
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Münster, Westfälische Wilhelms-Universität. Ein helles Labor, in das eine Arbeitszeile weit hinein ragt. Eine junge Forscherin mit Schutzbrille und Kittel sortiert kleine Probenröhrchen in einen kreisrunden Halter ein. Vor ihr auf dem Tisch steht eine kleine Zentrifuge, nicht viel größer als ein Toaster. Dort hinein stellt sie ihre Proben. Dann verschraubt sie den Deckel.
Das Gerät beginnt zu surren. Eine leuchtende Anzeige zählt die Sekunden herunter.
Klaus Langer ist Direktor des Instituts für Pharmazeutische Technologie und Biopharmazie. Er nimmt eines der Röhrchen zwischen zwei Finger und schaut es prüfend an.
"Wir reinigen unsere Nanosysteme nach der Herstellung über Zentrifugation auf im kleinen Maßstab. Und das ist hier gerade gelaufen."
Fallbeispiel drei: Die Meisterschützen
Wenn wir ein Medikament schlucken, dann verteilt das Blut den Wirkstoff über den ganzen Körper. Nur ein Bruchteil landet dort, wo die Substanz benötigt wird. Wenn es sich um einen aggressiven Wirkstoff handelt, wie etwa ein Chemotherapeutikum, dann kann er woanders im Körper schwere Nebenwirkungen verursachen. Den Medizinern wäre es daher am liebsten, sie besäßen jene magische Kugel, die wie von Geisterhand genau ins Ziel trifft, wie etwa nur in den Tumor.
"Die Idee der magischen Kugel ist eigentlich eine sehr alte Idee. Wurde zuerst veröffentlicht 1913 von Paul Ehrlich. Und in seiner Forschung kam die Idee auf, es wäre optimal für eine Arzneimitteltherapie, wenn man auch Zellerkennung durch eine, ja, Verpackung im Sinne von magischen Kugeln, Zauberkugeln machen könnte, die erkrankte Zellen erkennen und gesunde Zellen eben unbelastet lassen. 1913 sind über hundert Jahre her. Man hatte die Idee, aber die Umsetzung war eigentlich nicht möglich."
Das gelang erst in den Sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Damals entdeckten britische Forscher aus der Nähe von Cambridge, dass seifenartige Substanzen sich im Wasser zu kleinen Kügelchen zusammen lagern können. Deren Hülle ähnelt einer Membran, wie sie jede tierische oder pflanzliche Zelle umgibt. Doch die künstlichen Gebilde sind sehr viel kleiner als lebende Zellen. Es sind Nanoobjekte. Im Inneren dieser sogenannten Liposomen kann man pharmazeutische Wirkstoffe durch den Körper schleusen.
"So richtig aufgegriffen wurde das Ganze so Anfang der 1970er Jahre. In dieser Zeit, ab 1970, ging dann die Entwicklung dieser Zauberkugeln deutlich los. Es hat viele Jahre gedauert, bis dann die ersten Arzneimittel im Sinne von Zauberkugeln dann in den Markt kamen, erst im Lauf der 1980er Jahre erste liposomale Zubereitungen. Und ja, mittlerweile kann man diese Idee dieser magischen Kugel, die Wirkstoffe selektiv transportiert vorsichtig ausgedrückt im gewissen Maße umsetzen."
Die Mediziner und Pharmazeuten entwickelten weitere Transportsystem und lernten, wie sie beschaffen sein müssen, um ein bestimmtes Gewebe oder Organ zu erreichen. So wie ein Paket mit Arznei, das an eine bestimmte Adresse geliefert werden soll. Vor allem zwei Eigenschaften der Nanopartikel sind es, die ihren Weg durch den Körper bestimmen: Ihre Größe und die Beschaffenheit ihrer Oberfläche, erläutert der Pharmazeut.
"Bei der Oberfläche ein Beispiel: Je wasserliebender eine Oberfläche ist, desto länger zirkuliert ein entsprechendes System im Blutkreislauf, findet mehr Zeit auch, erkrankte Zellen zu erkennen, während mehr lipophilere Systeme, mehr fettliebende Systeme kürzere Zirkulationszeiten haben. Also solche Oberflächeneigenschaften können genutzt werden, um aktiv dann die Körperverteilung, des Verhaltens zu beeinflussen."
Die Verweilzeit im Blut spielt zum Beispiel eine wichtige Rolle in der Krebstherapie. Dort, wo ein solider Tumor wächst, verändert er das Gewebe um sich herum. Er lässt Adern wuchern, um seinen Energiehunger zu stillen. Tumore sind daher üblicherweise gut durchblutet. Allerdings: ihre Adern weisen gewisse Defekte auf: sie sind undicht. Daher können Nanotransporter mit der richtigen Größe im Bereich der lecken Blutgefäße in das Tumorgewebe eindringen. Doch damit alleine ist es noch nicht getan. Denn die Wirkstoffträger müssen auch noch in die Krebszellen hinein gelangen. Dabei hilft ihnen, dass Krebszellen auf ihrer Oberfläche charakteristische Moleküle tragen, sozusagen eine chemische Visitenkarte. Klaus Langer und seine Mitarbeiter versehen ihre Nanopartikel mit kleinen Antennen, die diese Visitenkarte erkennen.
"Bei den Arzneistoffträgern, die wir hier herstellen im Arbeitskreis, hat man etwa zweihundert bis zweitausend dieser Erkennungssequenzen auf einer solchen Verpackung und damit eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass eine oder mehrere dieser Antennen dann auch Zellen erkennen können, sich an Zellen anlagern können und eine Zellaufnahme dann auch stimulieren können."
Diese automatische Zielerkennung ist die wichtigste Eigenschaft für die Zauberkugeln. Weitere Funktionen können hinzugefügt werden, zum Beispiel Kontrastmittel, die den Medizinern verraten, ob die winzigen Kügelchen ihr Ziel erreicht haben. Solch eine Komplexität kann aber auch ihren Preis haben, mahnt Klaus Langer.
"Sobald man Materialien auf der Oberfläche verändert, indem man Erkennungssequenzen, Antennen aufbringt, bedingt das auch wieder neue Zulassungsfragen, die wiederum nur in sehr langwierigen Prozessen auch beantwortet werden können. Und das ist ein Grund, dass Nanotechnologie sicherlich zwar in den Markt eindringt, die Therapie optimiert, das Ganze aber nur sehr langsam auch in den Markt eindringen wird."
Die entscheidende Rolle bei der Kommerzialisierung der Forschungsergebnisse dürfte die Pharmaindustrie spielen. Doch die ist als eher konservativ bekannt. Denn die Entwicklung innovativer Therapien verschlingt Unsummen, und am Ende könnte sich immer noch herausstellen, dass ein neues Produkt den strengen Sicherheitsanforderungen nicht genügt.
"Die Pharmaindustrie hat Interesse, die forschende Pharmaindustrie ist in dem Bereich Nanotechnologie unterwegs, und man schaut sich diese Thematik sehr intensiv an. Man entwickelt selbst Trägersysteme. Wobei Entwicklung nicht bedeutet, dass – auch wenn das Ganze finanziell durchgerechnet wird – auch einen Markteinsatz finden wird."
Von selbständig navigierenden Nano-U-Booten ist die Forschung heute noch Generationen entfernt. Doch die ersten Transportsysteme im Meer der Nanomedizin sind schon unterwegs.
(huc)