Magier und Moneten

02.11.2006
Louise Welsh begibt sich mit "Der Kugeltrick" in ein untergegangen geglaubtes Milieu: das der Varietés und ihrer Künstler. Hauptfigur ist ein alternder Magier, der in ein Verbrechen verwickelt wird. Mit geschickten Zeit- und Ortssprüngen führt Welsh eine fremde Welt vor.
William Wilson ist Magier und Illusionskünstler. Mit seinen Zaubertricks kann er nicht mehr so viel Geld verdienen wie noch vor einigen Jahren, aber er schlägt sich durch.

Eines Abends tritt er in einer Bar in London auf; der Anlass ist die Geburtstagsfeier von Inspektor Montgomery. Bill, der Barbesitzer, bittet den Zauberkünstler um den Gefallen, dem Geburtstagskind einen Umschlag aus dessen Jackett zu entwenden. Montgomery feiert den Beginn seines Ruhestands und hatte angedroht, Bill zu erpressen, so wie es bis zu dessen Tod mit Bills Vater funktioniert hatte.

Wilson führt den kleinen Diebstahl mit Leichtigkeit aus und steckt dadurch in allergrößten Schwierigkeiten, denn Montgomery lässt nichts unversucht, wieder an den Umschlag zu kommen.

Kurz nach Wilsons Auftritt kommen in der Bar zwei Menschen ums Leben.

Um Abstand zu gewinnen, kommt Wilson ein Gastspiel in Berlin sehr gelegen. Unter den Berliner Showgirls und kleinen Gaunern kann er erst einmal abschalten. Er freundet sich mit Sylvie an und träumt von einem großen Auftritt, der das ganz große Geld bringen könnte.

Aber Wilsons Ruhe währt nicht lange. Er gerät in einer Eifersuchtsgeschichte zwischen die Fronten, demoliert ein halbes Theater und ist seine Auftritte los. Zu allem Überfluss taucht Montgomery in Berlin auf und geht ihm an den Kragen. Wilson fürchtet um sein Leben und lässt sich von Sylvie und deren Manager überreden, seinen gefährlichsten Trick zu riskieren: den Kugeltrick, bei dem er mit scharfer Waffe auf seine Partnerin Sylvie schießen muss. Der Auftritt macht ihn zwar reich, endet für Wilson aber in einer Katastrophe, denn kurz bevor es ihm die Sinne raubt, muss er sehen, wie Sylvie blutüberströmt zusammenbricht.

Bis auf ein paar Längen in der Mitte und einer Handvoll unnötiger Wiederholungen ist Louise Welshs Roman spannend von der ersten bis zur 398sten Seite. Literarisch äußerst geschickt lässt die Autorin den Ich-Erzähler Wilson mehrmals von Berlin über London nach Glasgow und immer wieder zurück springen. Dabei folgt sie den Geschehnissen nicht in zeitlicher sondern in logischer Abfolge. Nur ein Beispiel: Das allererste Kapitel müsste in einer zeitlichen Sortierung fast ganz hinten stehen. Was den Leser eventuell am Anfang verwirren mag, ist ein hervorragender Kunstgriff, um den Gemütszustand des Helden in jeder folgenden Zeile erklärbar zu machen und um die Spannung bis zur allerletzten Seite aufrecht zu erhalten.

Der Versuch, ein altes Milieu - das Varieté und seine Künstler - in modernen Zeiten zu beschreiben, gelingt vortrefflich vor allem durch die liebevollen Beschreibungen der Helden und Antihelden im Roman. Menschliche Schwächen werden nie herablassend, sondern verständnisvoll und als notwendig für die Handlung beschrieben. Dadurch gelingt es der Autorin, die Milieubeschreibungen - besonders die der Berliner Varieté-Welt und das Leben in den Kneipen Glasgows - liebevoll-altmodisch aussehen zu lassen. Manches Mal wünscht sich der Leser den kumpelhaften Zusammenhalt der Artisten zurück, an dessen Stelle eine kalte, wirtschaftlich-ergebnisorientierte Erfolgswelt getreten ist.

Der "Held", William Wilson, arglos, voller Schwächen aber auch voller Energie, wenn er etwas erreichen will, entstammt dem Varieté. Er merkt aber, dass er seinen Zenit überschritten hat, und alles Künftige nur noch ein Abklatsch des Gewesenen sein kann. Zwar geht er einigermaßen souverän mit Handys, SMS und auch mit neuartigen, technischen Zaubertricks um, seine Welt aber ist dies nicht mehr.

Zeitgleich wird ihm klar, dass seine Libido hinter seinen kessen Wünschen zurückbleibt. Dem ehemals feurigen Liebhaber bleibt nur noch die Wärme des Kumpelhaften, aber er kann damit leben.

Louise Welsh hat sich in "Der Kugeltrick" exakt hineingefühlt in die Vorstellungswelt eines Mannes, dessen beste Zeit gerade hinter ihm liegt, der sich aber noch einmal aufrappelt, ein großes Problem mit männlichen Tugenden zu meistern, auch wenn ihn manchmal schier der Mut verlässt. "Der Kugeltrick" ist ein Roman, bei dem man sicherlich auf einen Autor tippen würde, wenn man nicht wüsste, dass er von einer Autorin verfasst worden ist.

Louise Welsh wurde 1965 in London geboren und studierte Geschichte an der University of Glasgow. Nach achtjähriger Tätigkeit als Buchantiquarin absolvierte sie dort von 1998 bis 2000 ein Zweitstudium in Kreativem Schreiben.

Sie veröffentlichte zunächst Kolumnen, Zeitungsartikel, Kritiken und Kurzgeschichten, bevor ihr 2002 mit dem Thriller "The Cutting Room" ("Dunkelkammer") der literarische Durchbruch gelang. Der Roman ist mittlerweile in 17 Sprachen übersetzt. 2004 erschien der historische Kriminalroman "Tamburlaine must die" ("Tamburlaine muss sterben").

Louise Welsh erhielt bereits mehrere Preise und Stipendien. Zur Zeit ist sie Stipendiatin des Internationalen Künstlerhauses Villa Concordia in Bamberg.

Neben den äußerst gelungenen atmosphärischen Schilderungen des absteigenden Glasgow und der verblühten Welt des Varietés erlaubt sich der Roman nur kleinste Schwächen: Ein paar der "Schauplatz-Sprünge" wären sicher nicht nötig gewesen, erfordern aber vom Leser das Eintauchen in eine andere Welt und Situation. Und: Es bleibt lange Zeit höchst verwunderlich, dass sich William Wilson nicht für den Inhalt des dem Inspektor entwendeten Umschlags interessiert, obwohl der ihm nach dem Leben trachtet. Dem Lesegenuss des Gesamtwerks aber tut dies keinen Abbruch.

Rezensiert von Roland Krüger

Louise Welsh: Der Kugeltrick
Roman, Aus dem Englischen von Ruth Keen
Verlag Antje Kunstmann 2006
398 Seiten. 19,90 Euro