Maggie Nelson: "Die Argonauten"

Das Wagnis, von der Liebe zu erzählen

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Maggie Nelson: Die Argonauten © Hanser Verlag, dpa
Von Julia Riedhammer  · 11.10.2017
Es ist die Geschichte einer Liebe - sie so zu erzählen ist ein grandioses Unterfangen: Maggie Nelson lotet in ihrem Essay die Grenzen des Geschlechts aus, überschreitet sie und hinterfragt, was wir schon immer über Sex und Beziehung zu wissen glaubten.
Schlaglichtartig erzählt die Autorin Maggie Nelson in ihrem Buch "Die Argonauten" davon, wie sie sich verliebt: In Harry Dodge, einen Künstler, der zu diesem Zeitpunkt körperlich noch eine Frau ist - eine "Butch", wie es im Text heißt. Harry lässt sein Geschlecht umwandeln und wird später auch körperlich ein Mann sein. Er bringt ein Kind mit in die Beziehung und in Maggie wächst der Wunsch, selbst eines zu bekommen. Sie entscheiden sich, für ein Leben als Kleinfamilie, mit Häuschen in einem bürgerlichen Viertel von Los Angeles und einem Job als Professorin. Und während Maggie sich Hormone spritzt, um ihre Fruchtbarkeit zu maximieren, lässt das Testosteron, das Harry in seinen Körper jagt, ihm Bart- und Brusthaare sprießen.

Worte von Bedeutung aufgeladen

Wen also liebt die Autorin? Einen Mann? Eine Frau? Und: was bedeutet es für ihre eigene, Maggie Nelsons Geschichte, diese Frage nicht eindeutig beantworten zu können?
"Wovon man nicht reden kann, darüber muss man schweigen" zitiert sie Wittgenstein - um dann das Gegenteil zu tun: Sie will von ihrer Liebe erzählen. Frei, radikal subjektiv und jenseits binärer geschlechtlicher Normen. Das ist ein Wagnis. Vor allem deshalb, weil Worte immer mit Bedeutung aufgeladen sind, niemals eindeutig sind. Maggy Nelson versucht trotzdem, das zu sagen, was sie meint - auf eine queere Art.

Queerer Essay

"Queer" das kann eine Form des Widerstandes sein. Der Begriff beschreibt Brüche für "alle möglichen Dinge, die nicht zusammen passen, (…) die wenig oder gar nichts mit sexueller Orientierung zu tun haben." Und queer ist auch dieser aufwühlende, emotionale Essay. Souverän führt die Amerikanerin in ihrem Essay Themen, Geschichten und Theorien zusammen, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Sie verbindet das radikal Persönliche mit dem abstrakt Theoretischen. Julia Kristeva, Susan Sonntag, Judith Butler - alle sind Teil ihres Denkens, des Nelson`schen Universums.

Scheinbare Gegensätze

Da kann es schon mal vorkommen, dass die Autorin im einen Absatz davon erzählt, wie sie mit einer Brust stillt, während aus der anderen Milch tropft - um dann, angesichts der Prallheit ihrer Brüste, im nächsten Absatz eine poetische Abhandlung über "Schlaffheit" in den Gedichten von James Shyler auszubreiten. Mutterkörper trifft Mann, Tat trifft Wort, Körper trifft Geist - hier stehen scheinbare Gegensätze so dicht nebeneinander, dass sie einander aufzulösen scheinen und ineinander fließen. Diese Methode IST queer. Und genau das macht "Die Argonauten" so spannend.

Maggie Nelson: Die Argonauten
Übersetzt von Jan Wilm, Hanser Berlin, 2017
192 Seiten, 20 Euro

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