Märchenhafte Frauen: Schneewittchen

Von Gerd Brendel · 20.12.2012
Ein ganz besonderes Kind findet Unterschlupf in einer heimeligen Männer-WG, auch so lässt sich das Märchen von Schneewittchen lesen. Doch das Intermezzo bei den Zwergen ist - psychologisch betrachtet - nur ein Nebenaspekt der Story. Im Mittelpunkt steht der fatale Konkurrenzkampf zwischen Mutter und Tochter.
Es war einmal. Schneewittchen.

"Das Schneewittchen-Märchen ist zum ersten Mal in der Sammlung der Brüder Grimm so schriftlich fixiert worden."

Bernhard Lauer, Direktor des Brüder-Grimm Museums in Kassel.

"Unabhängig gibt es davon in der deutschen Tradition 1782 die Volksmärchen der Deutschen von Musäus. Er hat ein Märchen dort erzählt unter dem Titel 'Richilde'. Die Geschichte ist mit Schneewittchen verwandt."

Aber einzelne Motive des Märchens gehen auf viel ältere Traditionen zurück, auf sehr viel ältere. Ulrike Kindl, Volkskundlerin:

"Bei Schneewittchen spielt 'ne ganz, ganz große Rolle, dass die Geburt selbst schon magisch ist."

Hätt' ich ein Kind so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarz wie Holz an dem Rahmen.

"Diese drei Farben sind tatsächlich drei sehr heilige Farben, das geht zurück auf die Mondgöttinnen, die in drei Farben auftreten. Im weißen Silbermond, das ist die Mondsichel. Das zweite ist die rote Demeter, die Korngöttin, die Farbe des Weitergebens des Lebens war Rot und dann ist der letzte, der gefährliche Aspekt, steht für Unterwelt, das ist Schwarz.

Wenn sich also die Königin ein Kind wünscht, das so weiß ist wie Schnee, so rot wie Blut, so schwarz wie Ebenholz, dann ist das 'ne Anrufung an die große Muttergottheit, dass sie ein Kind bekommt, und bekommt dann ein Kind.""

Ein ganz besonderes Kind.

"Es ist eine Aphrodite, die sie zur Welt bringt. Schneewittchen ist nichts anderes als die junge, sich ewig erneuernde Frau."

Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?

Als der magische Spiegel der Stiefmutter die gewünschte Antwort versagt wird Schneewittchen zur Konkurrentin.

"Das ist die Form der Braut, die jetzt gefährlich wird, denn jetzt ist es ihre Zeit, und die Mutter, Schwiegermutter, ganz wurscht, das ist die alte Frau, die jetzt weiß, ihre Zeit ist vorbei."

Der Konflikt der beiden Frauen steht im Mittelpunkt. Daran ändern auch die sieben Zwerge nichts, die bekanntesten Helferfiguren im Märchenland.

Ihre heimelige Kleinmänner-WG spielt in psychologischen Deutungen kaum eine Rolle. Schneewittchen erlebt bei ihnen auf jeden Fall eine Art Ur-Hippie-Kommune ohne Eifersucht und Machkampf, in der die einzige wichtige Frage "Wer macht den Abwasch und wer kümmert sich um den Rest?" einvernehmlich geregelt ist.

Schneewittchen hielt ihnen das Haus in Ordnung, morgen gingen sie in die Berge und suchten Erz und Gold, abends kamen sie wieder, und da musste ihr Essen bereit sein.

Vor der Schwiegermutter können die sieben Zwerge Schneewittchen am Ende allerdings nicht retten. Damit das Märchen gut ausgehen kann, muss auch hier ein Prinz des Weges reiten.

"Erzählt wird immer dasselbe. Es geht immer darum, dass das junge Mädchen zur Braut wird, die Braut ihren Prinzen kriegt, das Leben fortsetzt. Das Leben der Gemeinschaft fortsetzt."