Märchenhafte Frauen: Aschenputtel

Von Gerd Brendel · 20.12.2012
Es gibt die Aschenputtel-Figur rund um den Globus - in China, Persien oder Ägypten. Dort ist Aschenputtel eine badende Sklavin. Ein Falke stiehlt ihr den Schuh und trägt ihn zum Pharao, der sich schließlich in die Schöne verliebt.
Es war einmal ... Aschenputtel.

"Eine wahre Kosmopolitin, die mal Ägypterin ist, mal Französin, Italienerin oder Deutsche."

Aber ganz egal, wo Sprachwissenschaftler, wie Monika Wozniak, Aschenputtels Geschichte ausfindig machen:

"Die Grundvoraussetzung ist immer dieselbe",

weiß die Erzählforscherin Ulrike Kindl.

"Das eigentlich hochgeborene Mädchen, dass unter der Stiefmutter oder Mutter zu leiden hat, wird verkannt, muss allerlei Unbill erleiden und wird dann vom Prinzgemahl erkannt - und steigt wieder auf. Und Friede Freude Eierkuchen."

Das gilt auch für die allererste ägyptische Aschenputtel-Geschichte: Der griechische Geograf Strabo erzählt im letzten Jahrhundert vor Christi Geburt von der die schönen Sklavin Rhodopis. Beim Baden stielt ein Falke einen ihrer Schuhe. Der Pharao findet ihn und macht sich auf die Suche nach seiner Besitzerin.

"Die Geschichte mit dem Schuh ist ein uraltes Symbol, die Geschichte mit dem verlorenen Schuh, dem gläsernen Pantöffelchen. Also der weibliche Fuß war immer ein Zeichen, dass die entscheidende Hochzeitsnacht vollzogen ist. Eine klare Verschiebung, das weibliche Geschlecht war tabuierst, aus Ehrfurcht, man verschob es dahin, wo man es am ehesten anfassten konnte: der weibliche Fuß."

Im 9. Jahrhundert verliert Aschenputtels Vorläuferin ihren Schuh in einer chinesischen Novellensammlung der Tang-Zeit, und vier Jahrhunderte später in einem Text des legendären persischen Geschichtenerzählers Nezami. Im 16. Jahrhundert taucht Aschenputtel in Europa auf.

Der Venezianer Giovanni Francesco Straparola liefert eine erste europäische Kurzfassung, aber wirklich heimisch wird Aschenputtel 800 Kilometer weiter Richtung Süden in Neapel. Dort erzählt Gianbattista Basile in seinem "Pentamerone"- seinem "Fünf-Tage-Werk" - von einer jungen Frau namens Gatta Cenerentola - "Aschenkatze" -, einer sehr selbstbewussten Frau: Bei Basile hat sie zwei Stiefmütter: Schon die erste behandelt sie so schlecht, dass ihr Aschenputtel das Genick bricht.

Cinderella ist hier also eine Mörderin, die arme überzeugt ihren Vater, ihre Amme zu heiraten, aber die stellt sich als noch schlimmer als die erste Stiefmutter heraus.

Zum Glück eilt Cenerentola-Cinderella eine gute Fee zur Hilfe und das Märchen nimmt nach Ballbesuch und Schuhprobe das bekannte gute Ende.

Eine Fee hilft Aschenputtel auch in der Version, die der französische Autor Charles Perrault 100 Jahre später erzählt. Da ist aus Cenerentola die herzensgute anmutige Cendrillon geworden, die selbst für ihre bösen Stiefschwestern noch passable Ehemänner bei Hofe findet.

"So was kommt sonst nur im Märchen vor, im richtigen Leben muss das ja schief gehen."

Nicht unbedingt. Die Literaturwissenschaftlerin hat am Hof von Versailles eine reales Vorbild für Perraults Cendrillon gefunden: Die letzte Mätresse und zweite Ehefrau Ludwigs IVX: Madame de Maintenant.

"Sie war wirklich so eine Art Cinderella. Sie kam aus einer guten Familie, aber ihre Eltern waren arm. Eine ihrer Vorläuferinnen - die bösen Stiefschwestern - holte sie an den Hof als Gouvernante für die unehelichen Kinder des Königs, und so hat sich Ludwig in sie verliebt."

Ich bin ein blondes Aschenputtel, das zum ersten Mal auf'n Opernball geht. Ich muss zwar keinen Mais sortieren und hab' keine böse Schwiegermutter, aber ich bin wie'n Aschenputtel.

Von Versailles nach Ludwigshafen. Reality-TV-Star Daniela Katzenberger, gelernte Kosmetikerin mit eigener Show, kurz vor ihrem ersten Ball. Zweihundert Jahre nach Perrault und hundert Jahre nach den Brüder Grimm lebt Aschenputtel weiter im kollektiven Bewusstsein.

Viele Male ist ihre Geschichte verfilmt worden: in den 50er-Jahren als Vorzeige-Blondine im Zeichentrickfilm von Disney, 20 Jahre später als selbstbewusste junge Frau in der sozialistischen Tschechoslowakei in "Drei Haselnüse für Aschenbrödel", in den letzten Jahren immer wieder von Hollywood. Rhodopis, Cenerentola, Cendrillon, Aschenputtel., Sie ist so alt wie die Pyramiden

"Und wenn sie nicht gestorben ist, dann lebt sie noch heute."

- als Wunschbild, als Projektionsfläche, als Identifikationfigur. Als Märchen, das manchmal sogar wahr werden kann.

Mehr zum Thema auf dradio.de:
Wie im Märchen - "Grimm-Tag" im Deutschlandradio Kultur am 20.12.2012
Mehr zum Thema