"Madness"-Sänger Suggs

"Mir kann keiner mehr was"

Der Sänger der britischen Ska-Band "Madness" Graham McPherson (Suggs) auf der Olympia-Feier in London 2012.
"Großbritannien ist großartig. Aber es gibt so viele Widersprüche." - Der Sänger der britischen Ska-Band "Madness" Graham McPherson. © dpa / EPA / Hannibal
Suggs im Gespräch mit Axel Rahmlow · 28.10.2016
40 Jahre gibt es die britische Band "Madness". Mit ihrem Status als Urgestein des Musikbusiness kokettieren die Musiker gerne: Ihr neues Album "Can't Touch Us Now" haben sie vor britischen Armee-Veteranen vorgestellt. "Es war schwierig, jemanden zu finden, der älter ist als wir", so Frontsänger Suggs.
Axel Rahmlow: "Madness" sind mit einem neuen Album zurück. Fast 40 Jahre gibt es die Band. Sie mischen Ska mit Pop und Punk. Sie hatten jede Menge Hits: "Our House" zum Beispiel kennt jeder. Jetzt gibt es ein neues Album: "Can't Touch Us Now". Um darüber zu reden, ist der Sänger hier: Suggs, welcome to the show! Ihr habt zu Eurem neuen Album eine Presse-Konferenz vor Rentnern gegeben, Rentner die vorher alle in der britischen Armee gewesen sind. Warum habt Ihr das gemacht?
Graham McPherson (Pseudonym Suggs): Es war schwierig, jemanden zu finden, der älter ist als wir. Und wir wollten uns nicht von den "Rolling Stones" interviewen lassen. Diese Rentner, mit denen wir uns getroffen haben, das sind die sogenannten Pensionäre aus Chelsea, die wohnen in einem Heim für ehemalige Soldaten. Die gehören zur britischen Kultur dazu, die kennt jeder in ihren roten Uniformen.
Wir dachten, es wäre interessant. Der beste Kommentar war von einer alten Dame die mich fragte: Wie schaffst du es, so gut auszusehen in deinem Alter? Und ich bin 55. (lacht laut). Aber diese Pensionäre haben so viel hinter sich gebracht und sind immer noch da - und das passt zu uns und unserem neuen Album. Es heißt ja "Can’t touch us now" und so fühlen wir uns: Wir sind so lange dabei, wir gehören so sehr dazu, uns kann eigentlich keiner mehr was. Das ist Luxus. Das soll nicht arrogant klingen. Aber ich zum Beispiel, ich komme aus sehr armen Verhältnissen und bin jetzt immer noch in dieser Band. Also, das Leben ist nicht vorbestimmt, das ist universell, dass jeder an den Punkt kommen kann, an dem man sagen kann: "Mir kann keiner mehr was"
Rahmlow: "Mr. Apples" heißt ein Song, vom neuen Album von Madness, "Can’t Touch Us Now". In dem Lied geht es um einen Mann der zwei Leben führt. Tagsüber passt er sich der Gesellschaft an, Nachts macht er unmoralische Dinge und wird zum Spieler. Was steckt hinter der Geschichte?
McPherson: In England gibt es diese lange Tradition der moralischen Heuchelei. Sehr viele Leute schauen von oben auf dich herab und sagen dir, wie du dich zu verhalten hast. Aber viele von denen führen genau dieses Doppelleben. Denn viele Leute sind nach außen sehr steif, das ist auch sehr britisch. Leute zeigen ihre Emotionen nicht, aber sie haben sie und leben sie eben versteckt aus wie bei "Mr. Apples". Das ist ein moralisches Dilemma. Als ich den Song vor zwei Jahren geschrieben habe, da stand jeden Tag etwas neues in der Zeitung über einen Politiker oder Priester, der ein Heuchler ist. Das ist auf jeden Fall ein englisches Phänomen.
Rahmlow: "Madness" zelebrieren sehr oft das Britische und gleichzeitig seid ihr sehr kritisch, wenn es um Großbritannien geht. Wie kriegt ihr das hin, das Land zu lieben und gleichzeitig so kritisch zu sehen?

Hassliebe zu Großbritannien

McPherson: Diese Hassliebe ist etwas sehr Interessantes. Großbritannien ist großartig. Aber es gibt so viele Widersprüche, da sind wir wieder bei der Heuchelei. Manchmal ist da witzig, manchmal traurig, wir versuchen beides abzudecken, in unseren Liedern. Das ist das, was man Pathos nennt, glaube ich, traurig und glücklich gleichzeitig zu sein.
Rahmlow: Ich hätte gedacht, dass es irgendwo auf dem Album auch eine Referenz zum Brexit gibt. Das ist die vielleicht wichtigste Entscheidung für Großbritannien in einer ganzen Generation. Ich habe nichts gefunden. Gibt es irgendwo eine oder ist der Ausstieg aus der EU zu groß, um es irgendwo in einer Zeile auf dem Album unter zubringen?
McPherson: Wir sind stolz auf unsere Herkunft aber wir sind keine Nationalisten. Aber nein, beim Brexit waren wir mit dem Album schon fertig. Aber der Brexit ist ein Desaster. Wir waren da gerade beim Glastonbury-Festival, dort findet alles statt, was großartig an Großbritannien ist.
Und dann haben wir von der Entscheidung gegen Europa erfahren. Und ich denke viele, die aus Europa raus wollten, die haben nicht verstanden, worum es geht. Da ging es, meiner Meinung nach, bei vielen auch darum, der Regierung von David Cameron eins auszuwischen. Es ging gar nicht so sehr um die EU. Die Leute werden es noch bereuen. Es ist nicht auf dem Album drauf, aber ich glaube, bei unserer Musik geht es um die Gemeinschaft, um das Zusammensein. Und ich hoffe, das ist die Antwort auf den Brexit.

Eine Hommage an Amy Winehouse

Rahmlow: Es gibt ein paar andere Songs über die ich noch sprechen möchte. "Black Bird" zum Beispiel. Im Text geht es darum, wie sie im Regen auf der Straße einem Vogel begegnen. Angeblich geht es darin um Amy Winehouse. Stimmt das?
McPherson: Ja das stimmt. Wir sind uns ein paar Tage vor ihrem Tod über den Weg gelaufen. Und sie hat zu mir nur gesagt, na du verrückter Vogel? Und so hat mich seit Jahrzehnten keiner mehr genannt. Ich bin 55. Aber wir haben im selben Stadtteil viel Zeit verbracht, Camden, und ich konnte dabei zusehen, wie es mit ihr bergab ging. Es war ja zu sehen, dass es ihr schlecht ging. Es ist eine Tragödie und ich rede auch nicht so sehr gerne darüber. Aber ich wollte eine Hommage an sie schreiben, das stimmt.
Rahmlow: Das letzte Lied über das ich sprechen möchte ist "Pam the Hawk". Es klingt sehr anders als der Rest der Platte, langsamer, ruhiger. Worum geht es?

"Wir sind ja alle nur Menschen"

McPherson: Es geht um eine Bettlerin, eine Frau namens Pam. Meine Mutter kannte sie. Sie ist immer um Stadtteil Soho rumgelaufen. Und sie hatte ein unglaubliches Talent Leute davon zu überzeugen ihr Geld zu geben. Sie hat 200 Euro am Tag gemacht. Aber das hat sie gleich wieder verprasst, bei Sportwetten und in Spielhöllen. Und sie hatte diese Krankheit, ihr Gesicht war ganz gelb. Und sie hat irgendwann gemerkt, dass sie so mehr Geld macht. Und als es ihr besser ging, habe ich sie mal gesehen, wie sie sich auf der Straße das Gesicht gelb angemalt hat (lacht).
Und da dachte ich, okay, sie versucht, mit Fantasie irgendwie weiterzukommen. Wie auch immer, sie ist vor ein paar Jahren gestorben. Auf diesem Album wollte ich gerne über Menschen singen. Weil jeder eine einzigartige Geschichte hat. Und in dem Lied sollte es auch um Mitgefühl gehen, wir sind ja alle nur Menschen.
Rahmlow: Also spielen wir "Pam the Hawk". Suggs von "Madness" war hier, wir haben über das neue Album "Can’t Touch Us Now" gesprochen. Vielen Dank!
McPherson: Thank You!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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