"Macht nur Dinge, die ihr überschauen könnt"

Hans Leyendecker im Gespräch mit Klaus Pokatzky · 11.11.2011
Der Journalistenverein "netzwerk recherche" hat über Jahre hinweg zu Unrecht Fördermittel von der Bundeszentrale für politische Bildung bekommen. Man habe Fehler gemacht, gesteht der stellvertretende Vorsitzende des Netzwerks, Hans Leyendecker.
Klaus Pokatzky: In Kölle ist heute nicht nur alaaf, in Köln gibt es heute auch eine sehr traurige Sitzung. Das "netzwerk recherche" hat seine finanzielle Vergangenheit aufzuarbeiten, und das ausgerechnet am 11.11.2011 in der Metropole des rheinischen Pappnasenfrohsinns. Hans Leyendecker ist seit zehn Jahren zweiter Vorsitzender des gemeinnützigen Vereins "netzwerk recherche".

Hans Leyendecker, früher beim "Spiegel", seit 14 Jahren bei der "Süddeutschen Zeitung", ist ein Inbegriff für investigativen Journalismus in diesem Lande. Unter anderem hat er die Flick-Affäre und den Parteispendenskandal der 80er-Jahre aufgedeckt. Ihn begrüße ich nun im Studio in Köln, aber auch wenn Sie Rheinländer sind, heute wohl eher nicht mit alaaf, oder?

Hans Leyendecker: Doch! Der Rheinländer hat das ganze Jahr alaaf, und ich glaube auch gar nicht, dass das eine traurige Veranstaltung ist, denn eigentlich ist es eine gute Veranstaltung. Das Netzwerk hat ein Stück Glück gehabt, dass es in die Krise geriet, nämlich das bewahrt auch einen Verein davor, dass er hochmütig wird, dass er glaubt, dass der vermeintliche Erfolg auch unaufhaltsam ist.

Pokatzky: Das sagt jetzt der investigative Journalist. Wenn ich mir vorstelle, ich wäre sozusagen eines der Opfer ihrer vielen Aufdeckungen von Skandalen und ich hätte mich in der Öffentlichkeit hingestellt, toll, dass sie das machen, weil jetzt können wir unsere Vergangenheit endlich aufarbeiten, hätten Sie dem das auch so abgenommen?

Leyendecker: Ja, es hat immer Leute gegeben, die, nachdem man über sie geschrieben hat, gekommen sind und sagten: Damals fand ich nicht alles so richtig, aber ich habe hier eine Geschichte für Sie. Das, finde ich immer, sind die nettesten Leute.

Pokatzky: Die Geschichte des "netzwerks recherche" sind die Fördergelder durch die Bundeszentrale für politische Bildung, die das Netzwerk zu Unrecht bezogen hat und die inzwischen - 75.000 Euro samt Zinsen - zurückgezahlt wurden.

Leyendecker: Plus Zinsen.

Pokatzky: Plus Zinsen, genau. Wie konnte das passieren?

Leyendecker: Es konnte so passieren, dass in den Jahren 2007 bis 2010 eine sogenannte Defizitförderung für eine Jahresveranstaltung war, zuständig dafür - für die Finanzen - war der erste Vorsitzende, der auch mit dem Sponsor und der Bundeszentrale geredet hatte, die Defizitförderung mit denen abgewickelt hat, auch die Unterlagen denen geschickt hat, den Controller eingestellt hatte, und eines Tages merkten Mitglieder des Vorstandes, dass Zahlen nicht stimmten. Nämlich eher zufälligerweise war man darauf gekommen, dass Zahlen verkehrt angegeben worden waren - das war im Frühjahr dieses Jahres -, und dann hat das Netzwerk sofort gesagt: Jeder Euro, den wir möglicherweise illegal bekommen haben, verträgt sich nicht mit so einem Verein. Dann haben wir Wirtschaftsprüfer eingeschaltet, die Bundeszentrale informiert, das Geld vorbehaltlich einer Prüfung zurückgeschickt und haben versucht, das dann aufzuarbeiten, was da passiert ist.

Pokatzky: Der erste Vorsitzende, dessen Namen Sie jetzt nicht nennen, den ich jetzt aber nennen werde, unser Journalistenkollege Thomas Leif vom Südwest-Rundfunk, ist dann ja auch zurückgetreten, aber Ihnen als dem zweiten Vorsitzenden wird ja noch nun auch Kritik entgegengehalten, etwa vom Medienwissenschaftler Michael Haller, Sie als zweiter Vorsitzender hätten Ihre Kontrollpflichten vernachlässigt, und er, Haller, sagt, er könne nicht nachvollziehen, dass Thomas Leif die Finanzgeschäfte des Vereins offenbar ohne jede Kontrolle so besorgen konnte.

Leyendecker: Ja, es gab ja einen Controller, es gibt ja ein Gremium, es gab eine Buchhalterin, nur, die waren sozusagen alle in einem System drin, das dies dann möglich gemacht hat. Es hat da auch bei denen, denke ich, niemand bewusst das gemacht - die Buchhalterin auf keinen Fall, der Buchhalter vermutlich auch nicht -, sondern es ist schlicht passiert. Ob diese Unregelmäßigkeiten, um die es hier geht, fahrlässig sind, ob sie vorsätzlich sind, das alles muss auch eine Staatsanwaltschaft rausfinden. Nur in keinem Verein ist es so, wenn der erste Vorsitzende für die Finanzen zuständig ist, dass dann die übrigen Vorstandsmitglieder den ersten Vorsitzenden zu kontrollieren haben.

Pokatzky: Nun wird gegen Thomas Leif eben ermittelt von der Staatsanwaltschaft Wiesbaden, und Ihnen selbst ist mittlerweile, also Ihnen, Hans Leyendecker, vorgeworfen worden, nämlich von den investigativen Kollegen der "Bild"-Zeitung, dass Sie zur Aufklärung wichtige Papiere nicht freiwillig an die Staatsanwaltschaft herausgegeben hätten.

Leyendecker: Also ich bin für alle Schläge der "Bild"-Zeitung dankbar, denn ich habe immer über die "Bild"-Zeitung das gesagt, was ich für richtig halte, dass es ein Drecksblatt ist, ein Lügenblatt, und von daher verstehe ich, dass die "Bild"-Zeitung solche Geschichten macht. Man muss den Vorgang nur unseren Hörern erklären: Der Vorgang ist so, es gab noch kein Ermittlungsverfahren.

In diesem Stadium gab es Fragen an den Vorstand, einen Bericht der Wirtschaftsprüfer rauszugeben an die Staatsanwaltschaft. Das wäre eigentlich dann eine Strafanzeige gewesen, und dann wäre sofort ein Ermittlungsverfahren gegen Leif in Gang gebracht worten. Und dann habe ich geschrieben: Dieser Bericht wird jetzt nicht in diesem Stadium herausgegeben. Aber die Wirtschaftsprüfer, die es machten, die hatten die Aufgabe, mit der Staatsanwaltschaft Kontakt zu halten. Ich habe mit den Staatsanwälten noch mal geredet, die sagen: alles wunderbar.

Pokatzky: Nun wird Ihnen auch wiederum vorgehalten, dass die Wirtschaftsprüfer mit Ihnen in irgendeiner Weise verbandelt seien, dass Sie die kennen oder was auch immer, und dass sie ein Honorar von 30.000 Euro bekommen hätten für ihre Wirtschaftsprüfung. Das habe auch viel billiger gehen können.

Leyendecker: Tja, billiger, sage ich Ihnen, wäre es gegangen, wenn man sich mit der Bundeszentrale in Verbindung gesetzt hätte, hätte gesagt: Hier gibt es ein Problem, ihr habt ein Problem, wir haben ein Problem, und das machen wir unter uns aus. Das wäre so zusagen der klassische Vereinsweg gewesen: Man gibt ein Jahr an, in einem Jahr ist gekungelt worden, und das machen wir dann mal billig, wir zahlen für das eine Jahr zurück, kein öffentliches Aufsehen - alle hätten gesagt: Was ist das für ein toller Verein?

Pokatzky: Hans Leyendecker von der "Süddeutschen Zeitung" und stellvertretender Vorsitzender des "netzwerks recherche" im Deutschlandradio Kultur. Wenn wir mal über Krisenkommunikation reden: Glauben Sie, dass ein Netzwerk von hochprofessionellen Journalisten, die wir ja gerne anderen Menschen - ob es Politiker oder Wirtschaftsleute oder Sportfunktionäre sind - Ratschläge erteilen, wie sie Krisenkommunikation zu betreiben haben, glauben Sie, dass Sie das wirklich alles professionell gemacht haben?

Leyendecker: Nein, im Nachhinein, muss ich sagen, hat man Fehler gemacht. Die Fehler ergeben sich ein bisschen aus der Dynamik eines solchen Prozesses. Es war sicherlich ein Fehler von der ersten Stunde an, den ersten Vorsitzenden mit allem, was ich jedenfalls tun konnte, zu schonen. Dadurch kam eigentlich Verwirrung auf. Nachdem den Leuten erklärt worden war, das ist alles gar nicht so schlimm, aber wir klären alles auf, kam dann die Aussage, es ist doch sehr schlimm, und dann wurde gesagt: Wieso klärt ihr so spät auf? Also da gab es Irritationen, aber die hängen auch mit Biografien zusammen, mit Abläufen, das war sicherlich nicht der allerbeste Weg, den wir gesucht haben.

Pokatzky: Sind Journalisten mit Vereinsmeierei überfordert?

Leyendecker: Ich glaube, fast alle Menschen sind damit überfordert, aber in so einem ehrenamtlichen Verein, das ist ja ein kleiner Verein mit 500 Leuten, sind sie dann überfordert, wenn sozusagen die ganze Umwelt an sie Forderungen stellt, die im Grunde nur Konzerne haben. Wir haben also in dieser Geschichte erlebt, dass Leute sagen: Jetzt muss da eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG ran oder so.

Dieser Verein hat einen Umsatz von etwas über 100.000 Euro im Jahr oder es wird vorgeschlagen: Es muss jetzt einen Ombudsmann geben, der die Geschäfte prüft. Das ist alles so hirnrissig und außerhalb von dem, um was es eigentlich geht, aber man sieht dann: Ich glaube schon, dass wir ein Stückchen hier auch so einen Prozess erleben, uns klar zu werden, wie Journalismus eigentlich funktioniert. Es ist ein Stück Jagdgesellschaft unterwegs, es sind Fehler gemacht worden, die Fehler sind erklärt worden, aber dann war das Jagen schon im Aufbruch, und das hört nicht auf.

Pokatzky: Aber die Jagdgesellschaft sind doch im Grunde die investigativen Journalistenkollegen.

Leyendecker: Herr Pokatzky, das ist halt der falsche Investigativ-Begriff. Ich glaube, ...

Pokatzky: Was ist der Richtige?

Leyendecker: Der Richtige ist, dass ein investigativer Journalist ergebnisoffen sein muss. Ich bin nicht außergewöhnlich fröhlich, dass man Dinge prüft, dass man erst mal fragt, kann das denn so sein, dass man sich Erklärungen anhört, da habe ich gelernt - auch in diesen Wochen -, das Netzwerk hat eine Menge erreicht, macht eine tolle Jahreskonferenz, macht gute Werkstätten, redet über Scheitern, was wir heute machen, auf einer zweitägigen Tagung, heute und morgen, aber der Zustand des Gewerbes ist nicht so dolle, dass man sagen kann, da hat man ganz schrecklich viel verändert. Es ist so, dass doch Journalismus sehr oft nicht ergebnisoffen ist, sondern nur irgendwie eine Sensation oder irgendwie eine Sauerei, eine angebliche, tatsächliche, zutage fördern möchte.

Pokatzky: Haben Sie jetzt mehr Verständnis für all die Menschen, die aufgrund ihrer Recherchen ihren Posten verloren haben?

Leyendecker: Herr Pokatzky, ich hatte das Glück, weil ich jetzt 62 Jahre alt bin, schon häufiger unter Feuer zu geraten, und es war manchmal so, dass ich völlig zu Recht - beispielsweise in der Berichtserstattung Norbert Klein, da bin ich völlig zu Recht von jedermann kritisiert worden. Es hat andere Fälle gegeben, da war es mehr unentschieden. Also ich kenne eigentlich das Leben auf der anderen Seite der Barrikade.

Das ist eine gute Außensicht, man lernt, wie es zugeht. Nur hier gibt es einfach Verrücktheiten in dieser Geschichte. Das heißt, diejenigen, die sagen, man muss alles aufklären, werden nachher zu denen, denen nachgesagt wird, sie wollten irgendwas verdecken. Die Leute, die vorher Ratschläge gegeben haben, das müsste man noch so ein bisschen kungeln, vernünftig sein und nicht an die große Glocke hängen und das sei doch alles gar nicht so schlimm, sind jetzt diejenigen, die sagen, was man alles in den Jahren versäumt habe, und so. Absurditäten in Serie!

Pokatzky:Wie groß ist der Schaden für das "netzwerk recherche"?

Leyendecker: Also ich glaube schon, dass es ziemliche Irritationen gibt. Das hängt ein Stück damit zusammen, dass auch sehr viel Unsinn in den Blättern steht. Wenn man das, was erschienen ist in den letzten Wochen mit Gegendarstellung hätte machen wollen, dann hätte man eine ganze Menge gemacht. Nur ich sage: Journalisten machen so was nicht. Also ich kann nicht mit Unterlassungserklärung, wenn Unsinn geschrieben wird, arbeiten.

Aber der Schaden ist schon beträchtlich, aber das ist andererseits wirklich das Glück. Das Glück ist, dass man sagen kann, wir machen einen Neuanfang. Wir haben eine unglaublich erfolgreiche Entwicklung gehabt, zehn Jahre lang, und das hätte wirklich im Desaster enden können, wenn der Erfolg scheinbar unaufhörlich ist, und jetzt hat man eine Zäsur und jetzt gibt es die Möglichkeit für neue Leute, für andere Leute, Dinge anders zu machen, besser zu machen oder schlechter zu machen, aber sie jedenfalls neu zu gestalten. Und das ist eine Möglichkeit, für die wir dankbar sein müssen.

Pokatzky: Aber wie wollen Sie den Ruf wieder herstellen?

Leyendecker: Das müssen die Neuen machen, die werden das hinbekommen, Herr Pokatzky.

Pokatzky: Wer sind die Neuen?

Leyendecker: Die werden heute Abend gewählt.

Pokatzky: Sagen Sie Namen.

Leyendecker: Ich weiß nicht, wer gewählt wird. Das ist ja das Wesen einer Wahl, dass Menschen kandidieren werden ...

Pokatzky: Auf wen hoffen Sie?

Leyendecker: Ich hoffe darauf, dass diejenigen, die es mit dem Netzwerk gut meinen, gewinnen.

Pokatzky: Thomas Leif - wir wissen nicht, wie die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen sich am Ende gestalten werden. Welche Rolle hat er für das Netzwerk gespielt? Ist er nur der Bösewicht?

Leyendecker: Nein. Er hat eine ganz entscheidende Rolle gespielt, er war Inspirator des Netzwerks, er hat die Ideen gebracht. Es war gewissermaßen sein Lebenswerk, und da liegt ja jetzt auch ein Stückchen - Tragik ist ein zu großes Wort - aber ich glaube, der hat sich am Anfang wie ein Hund gefühlt, der vom Hof gejagt wird, der beraubt wird, dem sein Kind genommen wird. Er war damit sehr eng verbunden, und ich hoffe trotz allem, was gewesen ist, dass die Staatsanwaltschaft dieses Verfahren einstellt, die strafrechtliche Problematik auch so erledigt, dass er keinen Schaden da nimmt.

Nur: Menschen müssen sich trennen von Dingen. Es wäre sehr vernünftig gewesen, nach ein paar Jahren zu sagen: Ich habe das unzulänglich versucht, lass es uns an andere Leute übergeben, die werden es anders machen. Und dieser Prozess hat dann leider nicht stattgefunden, und so ist das bei NGOs, so ist das bei Vereinen: Wenn Leute zu lange dabei sind und die Dinge als eigene Dinge betrachten, geht es schief.

Pokatzky: Haben Sie noch Kontakt zu ihm?

Leyendecker: Nein.

Pokatzky: Das heißt, die Freundschaft ist beendet?

Leyendecker: Es gab nie eine Freundschaft, aber mein Bedürfnis, Kontakt zu ihm zu haben, ist auf null.

Pokatzky: Was können wir daraus lernen? Welchen Tipp haben Sie für andere Vorstandsmitglieder von gemeinnützigen Vereinen? Ein Tipp?

Leyendecker: Ein Tipp ist: Macht nur Dinge, die ihr überschauen könnt.

Pokatzky: Sagt Hans Leyendecker von der "Süddeutschen Zeitung" und stellvertretender, noch stellvertretender Vorsitzender des Netzwerks Recherche. Vielen Dank, Herr Leyendecker.

Leyendecker: Danke Ihnen!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


netzwerk recherche e.V.
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