Lyrische Schwächeanfälle

25.05.2009
"Die Sekunden danach" von Matthias Politycki ist ein Band mit 88 sehr unterschiedlichen Gedichten - viele davon sind für die gegenwärtige Zeit erstaunlich traditionell. Vor allem das im Deutschen schwer zu bewältigende Sonett hat es dem Autor angetan.
Gedichte, hat Matthias Politycki einmal in einer Rundfunksendung über schlechte Gedichte gesagt, seien für ihn immer eine Art Schwächeanfall. Vorübergehende Schwäche als Impuls, einen inneren oder auch äußeren Zustand lyrisch zu fassen und zu formulieren: Dieser Ansatz grenzt den Dichter Politycki vom Romancier, vom Verfasser so üppiger Bücher wie "Weiberroman" und des Kubaromans "Herr der Hörner" deutlich ab.

Glücklicherweise wird Politycki mit einer gewissen Regelmäßigkeit von seinen lyrischen Schwächeanfällen heimgesucht; und deren aktuelles Ergebnis ist ein Band mit 88 sehr unterschiedlichen Gedichten, die hauptsächlich in den Jahren zwischen 2004 und 2008 erschienen sind.

Viele davon sind für die gegenwärtige Zeit erstaunlich traditionelle Gedichte, und vor allem das im Deutschen so schwer zu bewältigende Sonett hat es Politycki angetan. Was ihm daran zu gefallen scheint, ist die extreme Fallhöhe zwischen der strengen hohen Form und banalen Anlässen, die in Reimpaaren wie "tun" und "Huhn", wie "Spieß" und "fies" ihren Ausdruck finden: So geschieht das in dem Titelgedicht "Die Sekunden danach", in dem ein lyrisches Ich in der Dönerbude steht, draußen vor der Tür ist etwas vorgefallen, kein großes Drama anscheinend, aber genug, um Gaffer anzulocken, und der Dönerverkäufer beharrt ungerührt auf seiner Frage "Kalb oder Huhn".

Aus solchen Momenten entfaltet Politycki viele seiner Gedichte: Straßenszenen, Alltagsszenen, Wetterlagen; aber immer sind es die Ungereimtheiten, die sich zwischen der sehr normalen Wirklichkeit und dem eigenen inneren Zustand auftun, die in Polityckis Gedichten aufgegriffen und in Reime, zumindest aber in Form und die Ordnung der Wörter gezwungen werden. Getragen sind sie von einem starken Empfinden für das Abgründige oder auch nur Bizarre und Komische, das aus dem Zusammenprall des Ich mit dem äußeren Anlass entsteht.

Solche Anlässe können das bloße Sitzen am Meer oder in der Kneipe sein, die Hausschuhe der Ehefrau oder das Verlassenwerden. Dabei nimmt Politycki, wie er das als Romancier auch tut, gerne männlich definierte Positionen und Posen ein. Das lyrische Ich, das auch mal ein Kioskbesitzer oder leidenschaftlicher Biertrinker sein kann, reflektiert diese Männerrollen spielerisch, spielend, manchmal auch genüsslich albern. Nicht zu überhören sind Anklänge an Robert Gernhardt, an Gottfried Benn oder, manchmal, kleine Verneigungen vor Bertolt Brecht.

Politycki kennt die Instrumente, die Mittel, die Formen und man weiß zuweilen nicht: Bedient er sich ihrer oder stellt er sich in ihren Dienst.

Aber dieses Festhalten an den Formen sammelt seine "Schwächeanfälle", diese Momente gesteigerter Emotionalität, in sprachlichen Gefäßen, die durchsichtig sind und leicht und durchaus haltbar.

Besprochen von Katharina Döbler

Matthias Politycki: Die Sekunden danach
Hoffmann und Campe, Hamburg 2009, gebunden, 128 Seiten, 17,95 Euro