Lufthansa: "Adler und Kranich"

Wie deutsche Unternehmen mit ihrer NS-Geschichte umgehen

Die von der Deutschen Lufthansa eingesetzte Maschine auf dem Flughafen Berlin-Tempelhof. Mit 377 km/h war die He 70 "Blitz" im Jahr 1932 das schnellste Verkehrsflugzeug der Welt.
Die von der Deutschen Lufthansa eingesetzte "Blitz" war im Jahr 1932 das schnellste Verkehrsflugzeug der Welt. © dpa picture alliance
Johannes Bähr im Gespräch mit Nana Brink · 14.04.2016
Viele deutsche Unternehmen stellten sich ihrer NS-Geschichte, meint der Wirtschaftshistoriker Johannes Bähr. Nicht nachvollziehbar sei hingegen die Strategie der Lufthansa, erst eine Studie in Auftrag zu geben und diese dann jahrelang nicht zu veröffentlichen.
Am Donnerstagabend wird in Berlin die 700 Seiten starke Lufthansa-Unternehmensgeschichte "Adler und Kranich" vorgestellt. Verfasst hat sie der Bochumer Historiker Lutz Budrass als unabhängiges Werk.
Bereits vor 17 Jahren hatte Budrass im Auftrag der Lufthanse eine Studie zur NS-Vergangenheit des Unternehmens verfasst. Diese wurde allerdings nicht in Buchform veröffentlicht, sondern nur als Beilage eines Bildbandes zur Lufthansa-Geschichte.
Erst kurz vor dem Erscheinen des Budrass-Buchs habe die Lufthansa die Studie herausgebracht, so der Frankfurter Wirtschafts- und Sozialhistoriker Johannes Bähr. "Wenn man solche Gutachten schon in Auftrag gibt, sie dann unter Verschluss zu halten, das ist eine ganz untaugliche Strategie."

Viele Unternehmen stellen sich ihrer Verantwortung

Insgesamt zieht Bähr jedoch eine positive Bilanz, was die Bereitschaft deutscher Unternehmen zur Aufarbeitung ihrer NS-Vergangenheit angeht:
"Die meisten Unternehmen, vor allem die DAX-Unternehmen, die ihre eigenen Archive haben, bekennen sich zu ihrer Verantwortung im Dritten Reich."
Schwerer mit der Aufarbeitung täten sich dagegen Familienunternehmen, "weil es da nicht nur um die Vorgänger geht, sondern um die eigenen Väter und Großväter der heutigen Inhaber", sagt Bähr.
Allerdings hätten sich in den letzten Jahren mehrere große Familienunternehmen auch dazu durchgerungen, solche Studien in Auftrag zu geben, zum Beispiel Flick, Quandt oder Oetker.

Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Lange hat es gedauert, aber heute gehört es quasi zum guten Ton, dass viele Unternehmen und Konzerne ihre verdrängte Geschichte aus dem Nationalsozialismus umfänglich aufarbeiten. Und genau unter dieser Überschrift wird heute Abend auch eine 700-seitige umfassende Lufthansa-Unternehmensgeschichte vorgestellt, "Adler und Kranich" heißt sie ja. Vor 50 Jahren ist die Lufthansa an die Börse gegangen, und jetzt hat sie auch mal über eine andere Geschichte geschrieben, wie der Bochumer Lutz Budrass erzählt:
Lutz Budrass: Meine These dazu ist, dass die Lufthansa versucht, sich mit bestimmten Teilen ihrer Geschichte zu schmücken, vor 1945, aber auch erst recht nach 1945. Und um sich zu schmücken, um diesen buntschillernden Tarnmantel zu verwenden, muss sie eben bestimmte andere Teile ihrer Geschichte wegdrücken.
Brink: Geschichte wegdrücken, da ist die Lufthansa ja kein Einzelfall, und das ist auch ein guter Anlass, um einmal Bilanz zu ziehen in der deutschen Unternehmensgeschichte und ihrer Vergangenheitsbewältigung. Das will ich jetzt tun mit Johannes Bähr, außerplanmäßiger Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Goethe-Uni in Frankfurt am Main. Schönen guten Morgen hier im "Studio 9"!
Johannes Bähr: Guten Morgen, Frau Brink!

"Untaugliche Strategie, mit dem Thema umzugehen"

Brink: Was wird denn da weggedrückt bei der Lufthansa?
Bähr: Lufthansa ist in dieser Hinsicht ein ziemlich einmaliger Fall, auch völlig unverständlich, welche Strategie und warum diese Strategie dann eingeschlagen wurde. Sie hat eine Expertise in Auftrag gegeben bei Lutz Budrass, den wir eben gehört haben, vor 17 Jahren, und auch eine Firmenchronik, und hat beides dann nicht veröffentlicht. Und das ist nun eine wirklich ganz untaugliche Strategie, mit dem Thema umzugehen. Das führt dann zwangsläufig dazu, dass sie nun einen großen Scherbenhaufen hat, vor dem die Lufthansa im Moment jetzt steht.
Brink: Und jetzt wird es ja diese umfassende Dokumentation geben. Sie haben selbst Studien gemacht, zum Beispiel für den Versicherungskonzern Münchner Rück, aber davon reden wir dann vielleicht gleich noch mal, später, aber täuscht mich mein Eindruck, dass es einige große Unternehmen gibt, deren NS-Geschichte noch nicht von unabhängigen Forschern erforscht worden ist? Es fällt mir zum Beispiel Siemens ein oder Henkel?
Bähr: Es werden immer weniger. Siemens ist da sicher auch auf dem Weg. Es geht mehr um die Unternehmen auch in der zweiten Reihe, nehmen wir etwa Bilfinger oder K Und S oder Wacker Chemie. Es geht um Familienunternehmen. Familienunternehmen tun sich immer schwerer damit auch als andere, weil es da nicht nur um die Vorgänger geht, sondern auch um die eigenen Väter und Großväter der heutigen Inhaber. Beispielsweise Henkel steht da auch noch aus oder Röchling. Und das große Problem ist aber auch, dass eben viele Unternehmen gar kein Archiv haben oder schlichtweg nicht mehr existieren, Unternehmen, die damals eine sehr wichtige Rolle gespielt haben.

Die Vergangenheit holt die Unternehmen ein

Brink: Sie haben gesagt, es fällt Familienunternehmen, also familiengeführten Unternehmen schwerer, weil man sich ja dann quasi innerhalb der Familie mit der eigenen Vergangenheit noch mal auseinandersetzen muss?
Bähr: Genau. Das kennen wir ja alle aus der eigenen Familie. Es fällt schwer, sich mit den Themen auseinanderzusetzen. Es fällt auch Unternehmen schwer, aber bei Familienunternehmen ist es noch immer besonders schwierig. Und wir haben in den letzten Jahren erlebt, dass eben mehrere große Familienunternehmen sich dann auch zu solchen Aufträgen durchgerungen haben –
Brink: Wer war das zum Beispiel?
Bähr: Wir haben gehabt den Fall Flick, dann haben wir jetzt Quandt etwa oder Oetker. Das sind ganz prominente Fälle. Und jedes Mal hat sich eigentlich gezeigt, dass eben doch die Beteiligung an nationalsozialistischen Verbrechen eben doch sehr viel stärker ist, als man gedacht hat. Und das ist eben auch bei der Lufthansa so der Fall. Wenn man solche Gutachten schon in Auftrag gibt, sie dann unter Verschluss zu halten, das ist eine ganz untaugliche Strategie.
Brink: Sie meinen, es kommt sowieso nach oben?
Bähr: Das kommt auf jeden Fall raus. Keiner kann aus seiner Geschichte fliehen. Das kann keine Person, das kann kein Unternehmen, das kann kein Land – es wird einen einholen.

Spagat zwischen Aufarbeitung und Traditionspflege

Brink: Warum haben die das gemacht, trotzdem frage ich mich ja. Sie haben ja einige Erfahrung auch jetzt mit der Münchner Rück, wir haben es angesprochen, Sie haben da selbst als unabhängiger Forscher ja –
Bähr: Ich habe verschiedene Studien bearbeitet, und ich glaube, das ich etwas über das Verhalten und über den Umgang der Unternehmen mit ihrer Geschichte im Dritten Reich sagen kann. Aber so ein Fall ist mir noch nicht untergekommen. Das ist mir also vollkommen rätselhaft, was die Lufthansa da umgetrieben hat. Das Argument von Lutz Budrass ist eben Traditionspflege. Er versucht, das zu erklären. Andererseits bekommen das die Automobilhersteller ja auch hin, diesen Spagat, dass sie Traditionspflege haben. Aber wenn Sie in das Daimler-Museum nach Stuttgart gehen, da wird also Zwangsarbeit großflächig gezeigt. Das braucht gar kein Widerspruch zu sein.
Brink: Es gab ja vor 15 Jahren, wie soll ich das sagen, so einen regelrechten Trend, dass Unternehmensgeschichten aus der NS-Zeit aufgearbeitet worden sind. Heute, habe ich so den Eindruck, jetzt mal von der Lufthansa abgesehen, steht das nicht mehr so im Mittelpunkt der Forschung? Haben sich da die Schwerpunkte irgendwie verschoben, oder gibt es Schwankungen? Gibt es so was wie eine Konjunktur?
Bähr: Die gibt es natürlich auch, klar. Es sind die großen, ganz schwierigen Fälle auch untersucht worden, die Studien liegen vor. Ich erinnere daran, zum Flick-Konzern allein drei umfangreiche Studien. Die brauchen Sie nicht ein weiteres Mal erfinden. Es geht jetzt sicherlich um so Fälle wie bei Lufthansa, wo man weiß, dass es Verstrickungen gab, die aber bisher noch nicht aufgeklärt sind, Unternehmen, die sich auch nicht ihrer Verantwortung stellen. Die meisten Unternehmen, also vor allem die DAX-Unternehmen, die ihre eigenen Archive haben, bekennen sich zu ihrer Verantwortung im Dritten Reich. Die Lufthansa hat ja auch eingezahlt in diesen Entschädigungsfonds der Deutschen Wirtschaft, und man fragt sich, wofür sie eigentlich gezahlt hat, wenn sie gleichzeitig sich von der Zwangsarbeit in der NS-Zeit eigentlich distanziert.

Letztlich hilft nur die Flucht nach vorn

Brink: Sie haben gesagt, die Lufthansa ist ein sehr singulärer Fall. Wie sind denn Ihre Erfahrungen als unabhängiger Forscher in Unternehmen? Wie reagieren Unternehmensführungen darauf? Sind sie offen, nehmen sie das an, was Sie herauskriegen, oder wird eher gemauert?
Bähr: Es gehört eigentlich zu den Regeln der modernen Unternehmenskommunikation, dass man dieses Thema aktiv angeht, und das heißt, dass die Unternehmen von sich aus erkennen, dass hier ein Defizit in der Kommunikation besteht, dass man einen Untersuchungsauftrag erteilt, und dass sie auch wissen, dass in diesem Fall nur eine Lösung hilft, nämlich Flucht nach vorn, alles aufmachen, alle Akten auf den Tisch, von unabhängigen Experten durchleuchten lassen und das Ganze vollständig zu veröffentlichen.
Brink: Ist das wirklich so ein Trend, den Sie feststellen können, diese Art von Offenheit?
Bähr: Ja.
Brink: Aber das ist ja dann, wenn ich jetzt mal etwas zugespitzt formuliere, eigentlich Teil einer Unternehmensstrategie, einer Imagekampagne, oder wird das auch richtig so empfunden, dass man sich damit auseinandersetzen sollte, also moralisch. Ich benutze mal dieses schwere Wort.
Bähr: Ich denke schon, dass das auch ein Generationenwechsel ist, also im ganzen Land.
Brink: In den Führungen.
Bähr: Ja. Unternehmen sind ja Teil der Gesellschaft. Gesellschaft hat sich geändert, wenn ich das etwa in den 80er-Jahren festmache. Und dann haben wir die Diskussion in den Unternehmen der 90er-Jahre. Ich würde nicht behaupten, dass das immer ein ganz tiefes moralisches Anliegen ist, aber es ist erkennbar wichtig. Es wird auch von den Mitarbeitern erwartet. Es hat sicher auch mit der Globalisierung zu tun, mit der Internationalisierung der Unternehmen, und geht in der Regel von den Unternehmen aus, also dass sie nicht erst daraufhin gestoßen werden müssen.

"Lufthansa sollte eigene Akzente setzen"

Brink: Was fehlt noch? Was würden Sie sich wünschen an Aufklärung?
Bähr: Sie meinen, welche Unternehmen?
Brink: Ja, ganz konkret.
Bähr: Ich bleibe mal bei der Lufthansa erst mal. Ich bin mir gar nicht so sicher, ob die eigentlich begriffen haben, worum es da geht. Bisher hat die Lufthansa ja nur auf Budrass reagiert. Sie hat jetzt diese Studie herausgebracht, ganz kurz vor dem Budrass-Buch. Ich würde mir wünschen, dass da auch vonseiten des Unternehmens eigene Akzente einmal gesetzt werden, sei es jetzt in Form einer Spende oder einer Ausstellung oder wie auch immer. Dass da eine Initiative ergriffen wird, und dass natürlich die Unternehmen, die über Archive verfügen, die auch für uns öffnen. Aber das sehe ich eigentlich jetzt nicht – da bin ich ganz guter Dinge, dass das passieren wird.
Brink: Herzlichen Dank, Johannes Bähr, außerplanmäßiger Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Uni in Frankfurt am Main, und wir haben gesprochen über die Vergangenheitsbewältigung deutscher Unternehmen. Anlass war eine Dokumentation über die Lufthansa, heute vor 50 Jahren an die Börse gegangen. Zum ersten Mal können wir darüber lesen. Schönen Dank für Ihren Besuch hier in "Studio 9".
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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