Luftfahrt in der Krise

Das stockende Geschäft mit den Treibhausgasen

06:20 Minuten
Ein Flugzeug mit Kondensstreifen am Himmel
Nicht zu Fliegen ist noch besser, als die Emissionen der Flüge zu kompensieren. © picture alliance/chromorange/Christian Ohde
Von Günther Wessel · 13.10.2020
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Wer heutzutage fliegt, kann seinen CO2-Ausstoß mit Hilfe von Klimaschutzorganisationen kompensieren. Durch Corona ist der Flugverkehr nun eingebrochen. Das ist zwar gut fürs Klima, aber es fehlt auch das Geld für wichtige Zukunftstechnologien.
"Mein Name ist Dietrich Brockhagen. Ich bin der Geschäftsführer von Atmosfair. Wir sind eine Klimaschutzorganisation und kompensieren hauptsächlich Flüge."
Es ist eigentlich ganz einfach, was die Berliner gemeinnützige GmbH tut: Will die Menschheit eine globale Klimakatastrophe abwenden, darf sie möglichst wenig Kohlendioxid in die Atmosphäre emittieren. Und dafür bietet Atmosfair eine Kompensation an.
"Wenn Sie in einen Flieger steigen und bei dem Flug CO2 verursachen, dann können Sie uns freiwillig einen Geldbetrag überweisen, und damit sparen wir dann wieder die gleiche Menge CO2 ein."
Für knapp 11 Tonnen CO2 im Jahr ist jeder Mensch in Deutschland verantwortlich – CO2, das verursacht wird durch Wohnen, Heizen, Reisen, Ernährung oder Mobilität. Und Flugreisen sind große CO2-Quellen.

Emissionen lassen sich auch in Nigeria einsparen

"Nehmen wir mal ein Beispiel: Sie fliegen von Frankfurt nach New York und verursachen fünf Tonnen CO2 auf dem Hin- und Rückflug. Dann würden wir Sie bitten ungefähr 100 Euro zu überweisen an uns. Mit diesen 100 Euro können wir dann zum Beispiel zwei effiziente Herde für Haushalte in Nigeria finanzieren. Das heißt, da kommt dann Ihr Geld zum Einsatz. Die Öfen wären sonst viel zu teuer, aber anstatt der Ofen dann 100 Euro kostet oder der Herd, kostet dann nur zehn Euro."
In Nigeria kochen drei Viertel aller Familien mit Holz auf offenem Feuer, im Norden des Landes sogar noch mehr. Eine siebenköpfige Familie verbraucht im Jahr etwa fünf Tonnen Holz. Auch deshalb sind im Norden Nigerias die Wälder weitgehend abgeholzt. Die Wüste wächst, und mit Lastwagen und Zügen muss Feuerholz aus dem Süden des Landes herangeschafft werden.
"Und dieser Herd spart dann einfach 80 Prozent Holz ein, was ja sonst der Nigerianer auf dem offenen Feuer verbraucht hätte. Und das, über die Jahre gerechnet, spart dann wieder die fünf Tonnen CO2 ein, die Sie verursacht haben."
Das Prinzip der Kompensation ist somit sehr einfach: Für das weltweite Klima ist nicht entscheidend, wo auf der Erde Treibhausgase ausgestoßen oder vermieden werden. Deshalb lassen sich in Europa verursachte Emissionen auch in Nigeria einsparen.

Ist das nicht moderner Ablasshandel?

Doch ein paar Fragen stellen sich unmittelbar: Wäscht man so nur sein Gewissen rein? Haben wir im reichen Europa das Glück, dass wir unser Leben nicht ändern müssen – wir zahlen und jede Klimasünde ist vergeben? Ist das nicht moderner Ablasshandel?
"Es wäre ein Ablasshandel, wenn es dazu führen würde, dass Menschen dadurch auch häufiger fliegen", sagt Dietrich Brockhagen.
"Das haben aber Studien gezeigt, dass das nicht der Fall ist. Es kommt insgesamt dem Klima zugute. Menschen fliegen weder mehr, dadurch, dass es jetzt dieses Angebot gibt, noch weniger – also ein paar fliegen weniger, ein paar fliegen mehr, aber das hält sich ungefähr die Waage. Also das heißt, netto ist der Klimaeffekt positiv, weil ja CO2 eingespart wird, was sonst nicht eingespart worden wäre."
Aber klar ist für Dietrich Brockhagen auch: "Nicht Fliegen ist definitiv die bessere Lösung."
Denn Kompensationszahlungen schaffen die Treibhausgase ja nicht aus der Welt. Sie sind da, einen direkten Ausgleich gibt es nicht. So gilt für Klimaschützer: erst Vermeidung, dann Kompensation. Der Mobilitätsforscher Stephan Rammler, Direktor des Instituts für Zukunftsstudien und Technologiebewertung in Berlin, drückt das sehr harsch aus:
"Wenn mir Leute gegenübertreten und sagen: ja, ich wollte unbedingt mit meinen Kindern in Urlaub und dann musste ich fliegen. Also in einer Dringlichkeit schilderte, wie schlimm es für ihn ist, dass er doch nachhaltig leben möchte und keinen Klimawandel erzeugen möchte, jetzt aber doch auch fliegen möchte", so Rammler, "'heul doch, Junge. Wenn du Klimawandel reduzieren möchtest, dann hab die Eier in der Hose und mach es auch. Dann fliegst du eben nicht. Das ist dann eben Verzicht.'"

Reisebranche ist fragil

Aufs Fliegen verzichten fällt vielen offenkundig schwer – doch in den vergangenen Monaten blieb auch Weltenbummlern nichts anderes übrig. Claudia Broezel ist Professorin für Nachhaltiges Tourismusmanagement an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde.
"Ich glaube, dass wir noch gar nicht begriffen haben – wenn wir uns jetzt Corona angucken – was alles auf uns zukommen kann, und die Reisebranche ist super fragil, also sie reagiert extrem auf Terroranschläge, dieses, jenes", sagt Broezel.
"Bisher war das immer eine Verschiebung, wenn in der Türkei irgendwas nicht mehr sicher war, dann sind wir halt nach Spanien gereist. Also ich sprech' jetzt vom organisierten Pauschalreisetouristen. Aber jetzt kommt etwas auf uns zu, was viel größer ist."
Seit dem Ausbruch der Pandemie wird weniger geflogen, und 95 Prozent der Einnahmen von Atmosfair stammen aus der Kompensation von Flügen. Brockhagen schätzt, dass der Verein im Vergleich zum Vorjahr rund die Hälfte verliert.

Neue Technologien für die Weltwirtschaft

Als Klimaschützer freut er sich erst einmal, dass Emissionen wegfallen. Auf der anderen Seite ist ihm auch klar, dass für eine Weltwirtschaft ohne Treibhausgase neue Technologien benötigt werden. Dass bestehende Technologien weiter entwickelt werden müssen. Dass weltweit Photovoltaik oder Windenergie viel stärker zum Einsatz kommen müssen. All das erfordert natürlich Investitionen.
"Wenn jetzt eben durch Corona die Weltwirtschaft lahmgelegt ist, dann gehen zwar die Emissionen zurück, aber auch diese ganz wichtigen Investitionen verschwinden ja, um diese Technologien weiterzuentwickeln. Und das ist schmerzhaft."
Atmosfair selbst kann weiterarbeiten. Trotz eingebrochener Umsätze. Die Verwaltungskosten sind nicht hoch; sie liegen in normalen Jahren bei nicht einmal sechs Prozent.
"Was uns weh tut ist natürlich, dass Projekte, die wir geplant haben, jetzt auf Eis liegen, aber in den Projekten, wo wir tätig sind, die können wir schon weiter betreiben und ausbauen. Das geht jetzt einfach nur sehr viel zögerlicher voran. Das tut schon weh, aber das halten wir durch."