"Lügenpresse" und Co.

Warum die Medien am Pranger stehen

Kritik an den Massenmedien ist nicht neu - aber sie wird schärfer im Ton.
Kritik an den Massenmedien ist nicht neu - aber sie wird schärfer im Ton. © imago/Westend61
Von Michael Meyer · 09.03.2015
"Wegelagerer", "jaulende Hofhunde", "Fünf-Mark-Nutten": Journalisten und Medien werden geschmäht und kritisiert, seit es sie gibt. Doch im vergangenen Jahren hat sich die Stimmung massiv verschärft. Das zeigen nicht nur die "Lügenpresse"-Rufe auf den Pegida-Demos.
Sigmar Gabriel: "Frau Slomka, das stimmt nicht, was Sie sagen. Es ist nicht das erste Mal, dass Sie in Interviews mit Sozialdemokraten nichts anderes versuchen als die Worte im Munde verdrehen."
Journalisten und Medien werden kritisiert, seit es sie gibt. Politiker, Kirchenvertreter, Wirtschaftslenker versuchten schon seit der Erfindung des Buchdrucks, die Medien zu diskreditieren, wenn Berichte nicht nach ihrem jeweiligen Geschmack ausfielen.
Franz-Josef Strauß beschimpfte Journalisten als "jaulende Hofhunde", Helmut Schmidt als "Wegelagerer", Kanzler Kohl stempelte sie zu Gesinnungsjournalisten, Otto Graf Lambsdorff sprach von "journalistischen Todesschwadronen", Oskar Lafontaine von "Schweinejournalismus" und der ehemalige Außenminister Joschka Fischer von "Fünf-Mark-Nutten". Auch auf den Ranking-Listen der glaubwürdigsten und anerkanntesten Berufe landen Journalisten regelmäßig auf den hinteren Plätzen, übrigens: in enger Nachbarschaft zu Politikern.
Nicht nur die Politik, auch das Publikum hatte schon weit vor den Pegida-Demonstrationen, keine gute Meinung von den Übermittlern oft unangenehmer Botschaften. Schon der Soziologe Max Weber erkannte im 19.Jahrhundert in den Journalisten eine "Pariakaste", deren Berufsstand fast systemimmanent eine Distanz zur Gesellschaft ausmache.
Schon die Nationalsozialisten wetterten gegen die "Lügenpresse"
Auch das Wort "Lügenpresse" ist nicht neu. Und dennoch wurde es zum "Unwort des Jahres 2014 " gewählt. Der Begriff wurde schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts benutzt - und das von so ziemlich allen politischen Seiten. Die Katholiken diffamierten damit die liberalen Stimmen, die Nazis wetterten gegen die "roten Lügenpresse" - und auch in der DDR war immer wieder von der kapitalistischen Lügenpresse die Rede.
Der Begriff hat unter neuem Vorzeichen also wieder Konjunktur. Und doch: Dass er ausgerechnet jetzt wieder auftaucht, verblüfft. Bernhard Pörksen, Medienwissenschaftler an der Uni Tübingen:
"Diese heftige Medienkritik, die wir im Moment erleben, hat ihre Ursache darin, dass viele Menschen mit der Medienberichterstattung besonders mit Blick auf die Ukraine-Krise nicht zufrieden sind oder nicht zufrieden waren, dass es in der Tat eine Reihe von Fehlleistungen, von echten Fehlern gegeben hat, die man feststellen konnte. Hinzu kommt, dass Teile des Publikums den Medien mit einem grundsätzlichen Verdacht begegnen, nämlich mit dem Verdacht der Manipulation, der sich interessanterweise nun nicht festmacht an einzelnen Boulevardmedien, an der 'Bild'-Zeitung, sondern die Kritik der Medien ist gleichsam gewandert von der Einzelinstitution zur Profession des Journalismus selbst."
Es gab nicht in dem Sinne ein singuläres Ereignis, dass jetzt den Glauben an die Medien erschüttert hätte. Allerdings, so bestätigt es nicht nur Medienforscher Pörksen, entzündete sich besonders an der Ukraine-Berichterstattung die Kritik der Deutschen. Die einen sahen Russland eindeutig als Auslöser der Krise, die anderen sahen den Westen und Amerika als Aggressoren und Kriegstreiber und manche haderten einfach mit der unzulänglichen Berichterstattung.
"Ich denke, die Bereitschaft ist auf vielen Ebenen, in der Gesellschaft, in der Wirtschaft, in der Politik, grundsätzlich da gewesen, Russland sehr wohlwollend zu sehen, Russland als Partner verstehen zu wollen und nicht genau hinzuschauen, was passiert in Russland."
Susan Stewart ist Forscherin für Osteuropa-Fragen an der Stiftung Wissenschaft und Politik.
"Da finde ich, dass sehr viele Mythen im Spiel sind, dass sehr viele Fehleinschätzungen da sind oder einfach fehlende Informationen, dass Leute, die sich mit diesen Themen kaum beschäftigen oder nur mit einem Randaspekt, dass sie sich teilweise sehr stark eingebracht haben in die Debatte und das von den Medien sehr stark aufgegriffen wurde, wo man sich schon gefragt hat, worauf basieren ihre Äußerungen überhaupt."
Als die ARD sich für einen Ukraine-Bericht entschuldigte
Viele dieser echten und vermeintlichen Experten wurden dann als "Russlandversteher" tituliert, übrigens auch ein Wort, das in die engere Wahl für das "Unwort des Jahres" kam. Während der zweiten Phase, der Krim-Okkupation und dem Krieg in der Ost-Ukraine, als es an manchen Tagen völlig unklar war, wer beschießt da wen woher, gab es dann Fehler und Fehleinschätzungen. Es gebe eben in solchen Krisen grundsätzliche Probleme in der Berichterstattung, sagt Susan Stewart.
Wie schwierig solche Situationen sind, erfuhr im letzten Jahr auch die ARD. Russland-Korrespondent Udo Lilischkies hatte in einem Beitrag im Mai versehentlich russische Separatisten für den Tod zweier Männer verantwortlich gemacht. Die ARD musste zurückrudern, Tagesthemen-Moderator Thomas Roth entschuldigte sich für den Fehler:
"In dem Bericht wurde erwähnt, dass zwei Bürger der Stadt Krasnoarmijsk durch Kugeln pro-russischer Separatisten getötet wurden. Richtig ist aber, dass die Schützen einem ukrainischen Freiwilligen-Bataillon angehörten. Wir bedauern unseren Fehler und möchten uns dafür bei Ihnen entschuldigen."
Die Ukraine-Berichterstattung der ARD war dann auch Anlass für Kritik des Programmbeirates, einer Art Ombudsstelle für die Zuschauer. Zu "fragmentarisch", "tendenziös", gar "mangelhaft" und "einseitig" sei die Berichterstattung gewesen, es hätten viele Hintergrundinformationen gefehlt. Die Kritik wurde jedoch von der ARD-Chefredaktion umgehend zurückgewiesen.
Und dennoch: Bei den Zuschauern blieb hängen, das deutsche Fernsehen berichte nicht unvoreingenommen über den Ukraine-Konflikt. Bernhard Pörksen meint, dass sich massive Medienkritik oft an konkreten Ereignissen festmache und dann grundsätzlich werde:
"Wir haben beobachtet, dass es im Falle der Wulff-Affäre eine massive Medienkritik gab, wir haben beobachtet, dass es im Falle der Guttenberg-Affäre massive Medienkritik gab, nach dem Motto: Macht keinen guten Mann kaputt. Wir haben es beobachtet im Falle von Sarrazin, der ein eigenes Buch aus der Auseinandersetzung mit den Medien geformt hat. Und jetzt die Ukraine-Krise. All dies, was man an tatsächlichen oder vermeintlichen Fehlleistungen feststellen kann, munitioniert einen großen Verdacht, der einen Anlass sucht, und der sich gleichsam festmacht an solchen Einzel- oder Schlüsselereignissen. Was aus meiner Sicht ungerecht ist, ist die pauschale Verdächtigung, ist ein Schlagwort wie Lügenpresse, ist die generelle Abwertung dessen, was uns der bundesrepublikanische Journalismus bietet, als Propaganda. Hier haben wir innerhalb der Bewegung der Medienverdrossenen eine ideologische Radikalisierung, das können wir beobachten."
Bernhard Pörksen, Professor für Medienwissenschaft
Bernhard Pörksen, Professor für Medienwissenschaft© picture alliance / ZB - Karlheinz Schindler
Manipulationsvorwürfe nach Demo für "Charlie Hebdo"
Die Kritik war kaum so grundsätzlich und vor allem so scharf wie in den letzten zwölf Monaten, was sich auch daran zeigt, wie nervös und empfindlich Medienmacher in letzter Zeit agieren. Ein Beispiel: Bei der Solidaritätsdemo für die Opfer der "Charlie Hebdo"-Anschläge marschierten Regierungschefs aus aller Welt in einem extra Block mit hohen Sicherheitsvorkehrungen. Sowohl viele Zeitungen, die Fotos der Demo druckten, wie auch die abendliche Tagesschau der ARD vermittelten jedoch den Eindruck, die Politiker wären mitten im Pulk mitgelaufen.
Die Empörung war groß, der Tagesschau wurde Manipulation vorgeworfen, und natürlich fiel auch wieder das Wort "Lügenpresse". Daraufhin platzte Tagesschau-Chef Kai Gniffke der Kragen. Er schrieb im Tagesschau-Blog, dass ihm diese kleinkarierte Kritik "langt". Und im Deutschlandradio erklärte er:
"Dass uns Manipulation vorgeworfen wird und dass es dann sogar Menschen gibt, die das tatsächlich mit dem Ausdruck Lügenpresse in Verbindung bringen - das hat mich auf die Palme gebracht, dem habe ich Luft gemacht. Ich hätte es ein bisschen moderater tun sollen."
Doch der Vorwurf stand im Raum, dass selbst die gute alte Tagesschau nicht immer verlässlich arbeitet. Taz-Chefredakteurin Ines Pohl sagte der dpa, dass sie angesichts dieses Vorgangs feststellt, dass für Fernsehmacher die "Wirkung der Bilder" manchmal wichtiger sei als die Dokumentation der Realität. Ein krasser Vorwurf. Und doch, so Pohl, habe sie daran nichts zurückzunehmen:
"In der Zeit, in der der Journalismus so unter Druck steht, was die Glaubwürdigkeit anbelangt, da hängt viel mit Geschäftsmodellen zusammen, aber auch mit den anderen Möglichkeiten sich zu informieren, da hat mich das wirklich geärgert, wie leichtfertig die Tagesschau die Bilder dieses Marsches der Mächtigen zusammengeschnitten hat, so dass der Eindruck entstehen musste, dass sie mitten im Volk mitmarschieren. Es ist ja sogar explizit gesagt worden, dass sie an zweiter Stelle, also direkt hinter den Opfern der Angehörigen demonstrieren und das ist einfach eine ganz bewusst eingegangene Möglichkeit der Fehlinterpretation, die darf beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen wirklich nicht sein."
Überhaupt sind kleinere und größere Verfehlungen der Presse, wie sie angesichts der Vielzahl der Medien immer wieder vorkommen, ein gefundenes Fressen für Kritiker, Verschwörungstheoretiker und Skeptiker. Ein Beispiel dafür war die Aussage eines RTL-Reporters, der sich im Dezember während einer "Pegida"-Demo vor einer Kamera des NDR-Magazins "Panorama" über deren Ziele äußerte, ohne sich vorher als Journalist zu outen.
"Das Zeitalter der gefühlten Repräsentationskrise"
Nun muss man diesen Fall nicht überbewerten - der RTL-Mann wurde gleich danach entlassen. Jedoch fühlen sich ganz offensichtlich viele Zuschauer und Leser mit ihren Anliegen nicht ernstgenommen. Und gerade deswegen sei der Ruf "Lügenpresse!" so schnell bei der Hand, meint Bernhard Pörksen.
"Hier kommen verschiedene Faktoren zusammen: Das Netzzeitalter ist das Zeitalter der gefühlten Repräsentationskrise. Man kann nun eigene Bestätigungsmilieus gründen, sich in eine spezielle Wirklichkeit hineingoogeln, und dann die Frage stellen: Woran liegt das eigentlich, dass das, was ich denke und das, was scheinbar die vielen anderen denken, dass das gar nicht in der Heimatzeitung meines Vertrauens oder in der großen Qualitätszeitung aus München oder aus Frankfurt vorkommt.
Die spezielle Form der Netzöffentlichkeit, die den Einzelnen zum Regisseur seiner Welterfahrung macht, erlaubt auch eine Entfesselung des Bestätigungsdenkens. Das kann man so vielleicht sagen. Man kann sich aus der Isolationsfurcht, die auch das Abseitige beinhalten mag, befreien, und dann zu der Einsicht gelangen, wir sind doch eigentlich viele und warum wird das nicht in den großen Medien abgebildet."
Diese Transformationskrise der Öffentlichkeit, wenn man es so formulieren will, hat auch bei den Medienmachern zu einer Verunsicherung geführt. Was will der Leser, Hörer, Zuschauer? Auf diese Frage gibt es nicht immer eine einfache Antwort.
Taz-Chefredakteurin Ines Pohl sieht so manches Defizit:
"Ich glaube, Medien haben in den letzten Jahren, und da nehme ich die taz explizit mit rein, den Fehler gemacht, zu sehr auf Haltung und auf Einordnung zu setzen und zu wenig auf ausführliche Recherche und eine sachliche Hintergrundberichterstattung. Hingucken kostet Zeit und Geld. Und je weniger Leute in den Redaktionsstuben sitzen, die man auch rausschicken kann auf Vor-Ort-Recherchen, desto wichtiger ist es natürlich die Plätze mit, ich sags mal flapsig, einer schnell dahergeschriebenen Meinung zu füllen. Und das führt natürlich dazu, dass die Menschen, die ihre Meinung nicht widergespiegelt sehen in den Medien, unzufrieden sind. Wenn ich aber erstmal eine sachliche, fundierte Hintergrundberichterstattung liefere, biete ich ja meinem Hörer, meiner Leserin an, dass sie sich selber eine Meinung bildet."
Umso mehr, und das ist vielleicht das Beunruhigende an der jetzigen Medienkritik, wenden sich unzufriedene Menschen obskuren Blogs oder anderen Quellen zu. Seiten wie "Die Achse des Guten" oder der deutschsprachige Dienst des russischen Propagandasenders "Russia Today" erscheinen ihnen attraktiv. Noch ist es sicherlich eine kleine Minderheit, aber eine, die größer wird. Nicht alles, was auf diesen Seiten oder in diesen Sendungen gesagt wird, ist falsch oder nicht diskussionswürdig – aber was doch verstört, ist der oft aggressive, verschwörerische Tonfall, in dem vieles daherkommt.
"Russia Today" streut gezielt Zweifel an den deutschen Medien
Ein Beispiel für eine neuartige Form von "Gegenöffentlichkeit" ist der deutschsprachige Dienst von "Russia Today". Dieses Nachrichtenprogramm sendet in mehreren Sprachen und wird direkt vom russischen Staat finanziert. Auf Deutsch ist es nur im Internet zu empfangen. Die tägliche Sendung heißt "Der fehlende Part" und suggeriert schon im Titel, dass hier die wahren Informationen geliefert werden.
Von der Machart her ist die Sendung eine Mischung aus MTV und Studentenfernsehen. Doch das ist so gewollt, es soll betont eben nicht daherkommen wie bleierne Propaganda à la "Schwarzer Kanal". Zu den Intentionen und Zielen des Senders äußert man sich nicht, alle Interviewanfragen werden abgelehnt. "Russia Today" streut gezielt Zweifel und Kritik an den deutschen Medien.
Nicht erst seit dem Lügenpresseruf von der Straße betreiben auch Journalisten hierzulande heftige Medienkritik, meist wenn sie selbst nicht mehr im aktuellen Tagesgeschäft unterwegs sind. Und oft in einer Tonlage, die die kritische Selbstreflexion des Berufstandes nicht unbedingt fördert.
Einer, der auf der derzeitigen Medienschelten-Welle ganz oben aufschwimmt, ist Udo Ulfkotte - bis 2003 schrieb er für die FAZ. Sein Buch "Gekaufte Journalisten" ist seit Wochen in den Top Ten der Sachbuchlisten. Es wimmelt darin von Vorwürfen und Unterstellungen. Ulfkotte wirft seiner Zunft verkürzt gesagt vor, keineswegs unabhängig zu sein, sondern sich von der Wirtschaft, von der Politik, PR-Agenturen, Geheimdiensten oder Lobbyverbänden kaufen zu lassen. Unabhängige Berichterstattung in Deutschland – Fehlanzeige – so der Autor. Ulfkotte war trotz mehrfachen Nachfragens nicht zu einem Interview bereit, aber in einer Sendung von "Russia Today" breitete er seine Sicht der Dinge aus. Seine Kritik an den meisten deutschen Medien:
"Dass man nur proamerikanisch berichtet, dass es eine sehr enge Zusammenarbeit mit westlichen Geheimdiensten gibt, und dass der Leser, Zuschauer oder Hörer sehr häufig nicht die Wahrheit serviert bekommt, sondern das, was die Eliten, Politiker, Geheimdienste und die Finanzelite, gerne möchten."
Ulfkotte kritisiert auch die vielen Hintergrundzirkel, Kreise, die oft die transatlantische Freundschaft und Zusammenarbeit pflegen, oder aber Wirtschaftsinteressen verfolgen und in denen Journalisten Mitglieder oder zumindest Teilnehmer sind.
"Das sind die Meinungsbildner, diejenigen, die Multiplikatoren sind, die von sehr vielen Menschen im deutschsprachigen Raum die Meinung prägen. Es sind die Leiter von außenpolitischen Redaktionen, innenpolitischen Redaktionen, Stellvertreter, es sind diejenigen, die für Wirtschaftsberichterstattung zuständig sind, also nicht der einfache Redakteur, sondern diejenigen, von denen man glaubt, die werden in der Hierarchie aufsteigen."
Die umstrittenen Hintergrundkreise der Journalisten
So übertrieben und gnadenlos polemisch Ulfkottes Buch auch ist: Was die Hintergrundkreise angeht, in denen Journalisten sich bewegen, hat er einen wunden Punkt getroffen. Denn in der Tat wüsste man schon gerne genauer, in welchen Kreisen sich manche wichtigen Journalisten bewegen, welche Rolle sie dort spielen und vor allem welche Ziele die Organisationen verfolgen.
Ein wenig Licht ins Dunkel brachte die ZDF-Sendung "Die Anstalt" im April des vergangenen Jahres. Die Satiresendung machte einige Mitgliedschaften von Journalisten zum Thema – wogegen zwei Redakteure klagten, mit wenig Erfolg.
Nun mag man wegen der Mitgliedschaft oder Teilnahme an Diskussionsrunden in Think Tanks, Zirkeln und Hintergrundkreisen nicht gleich Korruption oder Gefälligkeiten unterstellen. Jedoch hat es schon ein Geschmäckle, wenn manche dieser Organisationen sogar die Bundesregierung in sicherheitspolitischen Fragen beraten und wenn Journalisten dort regelmäßig auftauchen.
Um genauer zu erfahren, welche Journalisten in welchen Hintergrundkreisen sitzen, haben im letzten Jahr Studenten an der Uni Magdeburg-Stendal eine clevere Software entwickelt. Sie heißt "Cahoots" und ist ein sogenanntes "Add-on". Einmal installiert, zeigt das Programm bei allen Artikeln, die man liest, welcher Journalist wo aktiv ist, sobald man mit der Maus über den Namen scrollt. Entwickelt wurde "Cahoots", was auf Deutsch so viel heißt wie "Unter einer Decke", im Rahmen eines Seminars zum Thema Protest. Über 60 Journalisten sind mittlerweile in der Datenbank. Diese Daten sauber zu recherchieren sei eine anspruchsvolle Aufgabe, erzählt Alexander Barnickel, einer der Entwickler:
"Die ersten Verbindungen haben wir selber recherchiert, das bestand hauptsächlich aus googlen und mehrere hundert Seiten lange PDFs von Mitgliederversammlungen oder Konferenzen zu durchsuchen, ob da Namen von Journalisten aufpoppen. Wir hatten am Anfang nur etwa zehn Journalisten und haben dann eine Eingabemaske online gestellt, über die andere Leute Verbindungen einreichen konnten, die wir dann nur noch geprüft haben. Momentan sind wir dabei, uns davon ein bisschen zu entfernen, dass wir das prüfen, sondern dass wir die Nutzer das selber im Kollektiv, schwarmintelligenzmäßig machen lassen."
Ob diese "Schwarmlösung" so belastbar ist? Immerhin müssen die jeweiligen Informationen auch aktuell und verlässlich sein. Nicht ganz unproblematisch gibt Alexander Barnickel zu:
"Weil die meisten Journalisten wirklich mit ihren Verbindungen nicht offen umgehen. Man hat zwar einen Beleg dafür dass Journalist XY 2005 in dieser und jener Vereinigung als Mitglied aktiv war, aber das war's dann leider auch schon. Wir nehmen Sachen auch wieder raus, wenn wir nachweisen können, dass das nicht mehr der Fall ist, das ist leider nicht ganz so einfach. Jeder kann Fehler melden, wenn er einen findet in unserem Add-on, wir gucken uns das dann an, allerdings brauchen wir dafür auch wieder eine Quelle."
Die Software wurde allgemein als sinnvolles Werkzeug für mehr Transparenz im Journalismus begrüßt. Erstaunlich ist, dass die "Cahoots"- Macher kaum Ärger bekommen haben, lediglich ein prominenter Journalist der "Süddeutschen Zeitung" war nicht so glücklich über die Nennung und stand in regem Kontakt zu ihnen. Wer mehr zu den Hintergrundkreisen selbst wissen will, wie wichtig diese sind und womit sie sich befassen, muss sich das selbst ergooglen - man wird keine Wertung bei "cahoots" finden, absichtlich, wie Alexander Barnickel sagt:
"Wir wollen das keinem vorschreiben, wir wollen das auch nicht diktieren."
Beim Thema NSU versagten auch die Medien
Die Nebenbei-Aktivitäten von Journalisten sind nur ein Aspekt der Medienkritik-Debatte. Wichtiger als diese sind sicher die journalistischen Leistungen selbst, die veröffentlicht werden. Oder eben nicht veröffentlicht werden. Ein Beispiel für mangelnde Qualität ist die Berichterstattung zu den NSU-Morden.
Nicht nur die Sicherheitsbehörden hatten nicht die richtigen Schlüsse gezogen, auch die Journalisten versäumten es, die Mordtaten als Teil einer Serie zu begreifen. Zu diesem harten Urteil kommt eine kürzlich erschienene Studie der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung. Titel: "Das Unwort erklärt die Untat: Die Berichterstattung über die NSU-Morde - eine Medienkritik". Das "Unwort" ist hier der in den Medien häufig gebrauchte Begriff "Döner-Morde". Das war übrigens das "Unwort des Jahres" 2011. Die Tübinger Medienwissenschaftlerin Tanja Thomas ist eine der Autorinnen der Studie. Für die Untersuchung sind Texte aus überregionalen, regionalen und auch türkischen Medien analysiert worden. Eines der Ergebnisse: Die meisten Journalisten seien sehr lange gutgläubig den Ermittlungsbehörden gefolgt:
"Das ist ein Befund, den wir über alle Medien hinweg bestätigt sehen, dass wenig andere Quellen überhaupt zur Sprache gebracht wurden. Bis auf die Regionalpresse, das muss man an der Stelle erwähnen, die 'Nürnberger Zeitung' war vor Ort und hat auch mit den Angehörigen der Opfer gesprochen, hat mit Nachbarn gesprochen und hat versucht, die schrecklichen Ausmaße und Konsequenzen dieser Morde zu zeigen. Ansonsten haben wir auf überregionaler Ebene über die ganze Strecke hinweg bis 2011 eine Orientierung an den Aussagen der Ermittlungsbehörden."
Eine Kombo aus Reproduktionen der Ostthüringer Zeitung aus dem Jahr 1998 zeigt Fahndungsbilder von Beate Zschäpe (v.l.), Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos.
Beim Thema NSU folgten die meisten Journalisten vorschnell der Deutung der Ermittler.© picture alliance / dpa / Frank Doebert / Ostthüringer Zeitung
Nun stellt sich die Frage, woran es liegt, dass Journalisten sich oft auf das verlassen, was Behörden vorgeben – das kann eine Textanalyse nur schwer oder gar nicht beantworten. Das Team der Tübinger Medienwissenschaftler hat daher zusätzlich noch Gespräche geführt mit Journalisten, die sich zu ihrer eigenen NSU-Berichterstattung befragen lassen wollten:
"Wir würden schon sagen, dass es sicherlich an einigen Punkten möglich gewesen wäre, mit Expertinnen und Experten ins Gespräch zu gehen. Wir denken aber auch, wenn wir die Interviews genauer anschauen, kann man das auch sehen, dass einige Journalisten uns geschildert haben, sie haben bei Pressekonferenzen vier, fünf Mal nachgefragt, könnte nicht doch ein rechtsextremes Tatmotiv hier eine Rolle spielen, und sie sind scharf zurückgewiesen worden. Insofern haben uns Journalisten geschildert, was wäre gewesen, wenn unsere Zeitung als einzige das Motiv weiter auf die Agenda gesetzt hätte, hätten wir das politisiert, wäre unsere Zeitung in Misskredit geraten. Also da spielt eine ganze Vielzahl von Aspekten eine Rolle, weswegen das dann nicht weiter verfolgt worden ist."
Teilweise wurde in den Zeitungen von Organisierter Kriminalität gesprochen, von Drogenbanden, Rotlichtmilieu und anderem. Und man hat vom Umfeld der Opfer gesprochen, implizit die Opfer als Mittäter verdächtigt. Hier wäre der Journalismus, sagt Tanja Thomas, gut beraten gewesen, vorsichtiger zu berichten und auch anderen Stimmen Öffentlichkeit zu geben.
Wenn Journalisten mit Publikumsverdrossenheit reagieren
Trotz derlei Versäumnissen: Die Medienlandschaft in Deutschland ist – zumindest noch - eine ausgewogene. Die öffentlich-rechtlichen Sender gelten zusammen mit der BBC und einigen anderen Sendern als das beste System der Welt. Und auch das Verhältnis von Bevölkerungszahl und Zeitungslesern ist in Deutschland noch immer sehr gut. Und doch: Gerade den Tageszeitungen geht es zunehmend schlechter, aufgrund zurückgehender Auflagenzahlen und Werbeeinnahmen. Den Zeitungen als Rückgrat der Medienindustrie droht zunehmend die Puste auszugehen – weniger Geld im System hat oft eine abnehmende Qualität der Berichterstattung zur Folge, meint auch taz-Chefin Ines Pohl:
"Der Blick in die USA ist da ganz hilfreich, da gibt es ja ganze Landstriche, wo es überhaupt gar keine seriösen Medien mehr gibt. Wo dann irgendwelche Bibel-Radiosender oder Foxnews die Meinung prägen. Und das ist ganz brutal gefährlich, da muss man unbedingt entgegenwirken."
Und Bernhard Pörksen meint, dass es angesichts der finanziellen Krise vieler Medien eigentlich eines neuen und intensiveren Dialogs zwischen Medien und Publikum bedürfe:
"Stattdessen sehe ich sehr viel sprachliche Aufrüstung auf allen Seiten, auf der einen Seite die Vorwürfe der Lügenpresse, der Systemmedien, der Propagandamedien, die ich in dieser Pauschalität für absurd halte, und auf der anderen Seite die viel zu schnelle Verteufelung seitens der etablierten Medien - das sind doch nur Trolle, das ist nur ein Shitstorm, das ist der digitale Mob, der hier regiert. Also die Gefahr, dass die Medienverdrossenheit, die vom Publikum erlebt wird, zu einer Publikumsverdrossenheit wird, die der klassische Journalismus als leicht trotzige Reaktion propagiert."
Doch dieses öffentliche Gespräch über Leistungen, aber auch die Fehlleistungen der Medien sei derzeit kaum zu sehen, übrigens, so Pörksen, auch nicht auf Seiten der Wissenschaftler und Medienforscher:
"Denn sie brauchen das kritische Gegenüber des Qualitätsjournalismus. Und wo sind die großen Stellungnahmen der Akademiker, der Professoren, derjenigen, die von der kritischen Auseinandersetzung mit den Qualitätsmedien profitieren, deren merkwürdige Einfälle eben nicht morgen bei RTL2 gespiegelt werden können, wenn es den Qualitätsjournalismus in seiner jetzigen Form eines Tages nicht mehr geben sollte?"
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