Lösung für den Syrien-Konflikt

"Es darf keine Sieger und keine Besiegten geben"

Syrische Truppen beziehen Stellung
Assad-Truppen beziehen Stellung: Der Krieg ist Syrien dauert nun schon rund vier Jahre © dpa/picture-alliance/Ria Novosti
17.09.2015
Seit Jahren wird in Syrien gemordet, das Land ist zerstört, die Zivilbevölkerung kämpft um das nackte Überleben und flieht. Der Nahost-Experte Stephan Rosiny empfiehlt als Ausweg aus der Krise die ehemalige Befriedung des Libanon als Vorbild.
Der Nahost-Experte Stephan Rosiny hält ein Ende der Kämpfe in Syrien nur dann für möglich, wenn es keinen Sieger und keine Besiegten gibt. Im Deutschlandradio Kultur sagte Rosiny, das Ende der Kampfhandlungen müsse jetzt oberste Priorität haben. Die Zivilbevölkerung sei am Ende. Für eine Lösung des Konflikts empfahl Rosiny, auf den ehemaligen Bürgerkrieg im Libanon zu blicken. "Der libanesische Bürgerkrieg wurde mit der Formel beendet: 'Keine Sieger, keine Besiegten'", sagte er. Das müsse auch für Syrien gelten, weil es dort nicht nur um einen politischen Machtkampf gehe, sondern in dem Land auch ein Stellvertreter-Krieg unter anderem zwischen Saudi-Arabien und dem Iran und verschiedenen sunnitischen Gruppen stattfinde. Deswegen werde es in dieser Auseinandersetzung keinen Sieger geben.

Das Gespräch im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Fluchtursachen bekämpfen, zwei Worte, eine Forderung, die häufig erhoben wird in der aktuellen Flüchtlingskrise, und so richtig sie ist, so schwer ist sie zu erfüllen, wenn wir uns Länder angucken wie Afghanistan und natürlich vor allem Syrien.
Syrien immerhin rückt wieder stärker in den Fokus, diplomatisch, wenn auch ohne allzu große internationale Einigkeit. Die alte neue Frage: Wie könnte eine Lösung aussehen? Gibt es sie nur mit Baschar al-Assad oder nur ohne ihn? Wir haben gestern in "Studio 9" mit der syrischen Schriftstellerin Samar Yazbek gesprochen und ihre Antwort auf diese Frage war eindeutig:
O-Ton Samar Yazbek: Das Assad-Regime hat furchtbare Massaker begangen, das Assad-Regime hat Chemiewaffen eingesetzt, geächtete Waffen, Fassbomben, Kinder getötet, Zivilisten getötet. Das sind Kriegsverbrechen. Wie kann man mit einem Kriegsverbrecher zusammen gemeinsam andere Verbrecher bekämpfen? Das ist einfach unlogisch, das kann nicht funktionieren.
Frenzel: Die syrische Exilschriftstellerin Samar Yazbek gestern hier bei uns im Programm. Wir wollen diese Debatte weiterführen, ausloten, welche Wege aus diesem syrischen Bürgerkrieg hinausführen könnten. Mein Gesprächsgast heute Morgen ist Stephan Rosiny vom GIGA-Institut für Nahoststudien in Hamburg, guten Morgen!
Stephan Rosiny: Ja, guten Morgen!
Frenzel: Nehmen wir diese Frage gleich auf, über die ja auch Moskau und Washington gerade wieder streiten: Mit oder ohne Assad?
Es wird wahrscheinlich eine Lösung nur mit Assad geben
Rosiny: Ja, also, so sehr ich die Antwort vieler Syrer teile, dass das natürlich mit Baschar al-Assad nicht gehen könne, ist es, glaube ich, verkehrt, den Ausgang des Krieges nur auf diesen einen Punkt zu reduzieren. Ich denke, dass das die Forderung war seit viereinhalb Jahren, und sie konnte nicht erfüllt werden.
Es ist letztendlich ein Stellvertreterkrieg, in dem externe Akteure das Regime von Baschar al-Assad weiter stützen werden, und es wird keine Lösung geben, solange man immer nur diese eine Forderung erhebt. Ich denke, dass die absolute Priorität im Moment sein muss, diesen Krieg zu beenden und aus dieser Gewaltdynamik herauszukommen. Es kann in Syrien keine Sieglösung mehr geben. Und das wäre quasi nur durch Sieg möglich, das Regime von Baschar al-Assad zu stürzen.
Frenzel: Aber es sind ja nicht nur Stimmen wie die, die wir von Frau Yazbek gehört haben. Gerade erst hat John Kerry, der amerikanische Außenminister, bekräftigt, nur ohne Assad kann es eine Lösung geben. Wie realistisch ist es dann, dass es wirklich zu einer Annäherung kommt, dass man die Gruppen auch an einen Tisch kriegt?
Rosiny: Nun, letztendlich wird es nur dadurch gehen, dass die externen Akteure auch Druck ausüben auf ihre jeweiligen Stellvertreter vor Ort. Das heißt, die USA und westliche Mächte müssen auf ihre regionalen Akteure, das heißt die Golfstaaten, die Türkei und andere Länder, Druck ausüben, dass sie aufhören, die militanten oppositionellen Gruppen so stark zu unterstützen.
Auf der anderen Seite muss Russland und muss der Iran Druck auf Baschar al-Assad ausüben, dass er einer Übergangslösung zustimmt. Und ich vermute, dass es in einer Übergangslösung immer noch Baschar al-Assad geben wird. Die Frage ist ja auch, selbst wenn er gestürzt würde, wer an seiner statt weiterregiert. Es würde wahrscheinlich zu einem völligen Staatskollaps führen. Und wir haben das in Afghanistan und Irak erlebt, wie schwierig es ist, einen neuen Staat quasi von null wieder aufzubauen.
Frenzel: Jetzt ist es so, dass natürlich beides, was Sie genannt haben – also der Einfluss Russlands, Irans auf Assad, der Einfluss des Westens auf die andere Seite – dass man sich natürlich auch zwischen Russland und dem Westen, sage ich jetzt mal, verständigen müsste, dass man eine gemeinsame Strategie fährt. Nun haben wir heute Nachrichten bekommen, dass es da Gespräche gibt, bezogen auf den IS. Sind das erste Hoffnungsschimmer aus Ihrer Sicht?
Der Islamische Staat ist in einem Machtvakuum entstanden
Rosiny: Ja, letztendlich hat der IS ja diese Pattsituation ausgenutzt und aus diesem Machtvakuum ist er erst entstanden, dass sich eben drei, dreieinhalb Jahre lang diese beiden Lager gegenüberlagen und letztendlich das Land immer mehr zerstört haben. Und in diesem Machtvakuum ist der IS stark geworden. Man muss also versuchen, dieses Machtvakuum wieder zu schließen. Und das kann nur funktionieren, indem sich die Großmächte zusammensetzen und die Regionalmächte und eine gemeinsame Lösung anstreben.
Frenzel: Was machen wir denn mit dem Islamischen Staat? Hilft da nur blanke Gewalt, möglicherweise sogar ein Militäreinsatz oder muss es auch für den IS einen Platz an diesem Verhandlungstisch geben?
Rosiny: Der IS ist ein Akteur, mit dem man nicht verhandeln kann. Das steckt schon in seiner ganzen Ideologie, er lehnt jegliche andere politische Autorität neben ihm ab. Er sieht sich als der alleinig legitime Herrscher an. Insofern muss der Islamische Staat sicherlich militärisch bekämpft werden. Letztendlich ist er ja auch vom Personal her sehr klein, es ist ein Terrorregime, was mit sehr wenigen Menschen, mehrere Zehntausend sind es, letztendlich halt ein riesiges Territorium kontrolliert, aber nicht wirklich regiert.
Frenzel: Aber all das haben wir bei den Taliban auch über Jahre gedacht und gesagt und jetzt sind sie auch wieder mit im Verhandlungsboot, weil es ohne sie nicht geht.
Rosiny: Na, die Taliban würde ich anders einschätzen. Die Taliban sind aus einer lokalen Situation entstanden, die meisten Kämpfer des IS sind ja zugezogen, das sind fremde Dschihadisten, die von anderen Ländern kamen und im Moment Syrien nur einfach als ihr aktuelles Schlachtfeld sehen. Aber sie sind nicht wirklich in der Bevölkerung verwurzelt.
Und gerade wenn man sich jetzt diese massive Fluchtwelle anschaut, dann ist das eigentlich die größte Demonstration gegen den Islamischen Staat. Dem Islamischen Staat laufen die Muslime weg. Und das führt zu einer massiven Delegitimierung dieses Islamischen Staats, weil er ja eigentlich gefordert hat, dass alle Muslime zu ihm kommen sollen. Insofern muss man auch diese Fluchtbewegung als letztendlich eine riesige Protestbewegung einerseits sicherlich gegen das Assad-Regime, aber andererseits auch gegen den Islamischen Staat deuten.
Frenzel: Wenn wir mal positiv denken: Wie könnte eine Lösung für Syrien aussehen?
Ein Ende der Kämpfe muss jetzt oberste Priorität haben
Rosiny: Ja, meines Erachtens muss es eben die oberste Priorität sein, die Kämpfe zu beenden. Die Zivilbevölkerung – das merkt man an der momentanen Fluchtbewegung – ist einfach absolut am Ende, sie hält es nicht mehr aus und sie ist auch nicht mehr bereit, quasi den Kopf hinzuhalten für diese zahlreichen Stellvertreterkriege, die ja im Moment auf syrischem Territorium stattfinden.
Das ist der alte letztendlich Machtkampf wieder des Kalten Krieges zwischen USA und Russland, wer gibt zunächst nach, also wem gehört quasi Syrien, das ist ein regionaler Machtkampf zwischen Saudi-Arabien und Iran, das ist ein regionaler Machtkampf zwischen verschiedenen sunnitischen Regionalmächten, die versuchen, in Syrien ihre Interpretation vom sunnitischem Islam durchzubekommen, sprich Saudi-Arabien, Katar, Türkei, die alle unterschiedliche Akteure dort im Land unterstützt haben.
Frenzel: Und das bedeutet für Syrien, Syrien müsste zunächst erst mal so wie der Libanon nach dem Bürgerkrieg quasi aufgeteilt werden?
Rosiny: Libanon wurde nicht aufgeteilt nach dem Bürgerkrieg, sondern im Libanon ...
Frenzel: Also, aufgeteilt in der politischen Machtverteilung.
Rosiny: Genau, und das ist eigentlich eine Lösung, die ich auch für Syrien zumindest als Übergangslösung für sinnvoll halte. Der libanesische Bürgerkrieg wurde mit der Formel beendet: Keine Sieger, keine Besiegten. Und das ist eine ganz wichtige Formel auch für Syrien, weil, es handelt sich hier nicht um reinen politischen Machtkampf, sondern es handelt sich auch immer mehr um einen Kampf zwischen verschiedenen Gemeinschaften.
In Syrien ist es im Moment nicht nur unter Dschihadisten, sondern auch in der Bevölkerung teilweise üblich zu sagen, wir müssen erst die Alawiten ausrotten, also die Gemeinschaft, die von Baschar al-Assad unterstützt wird oder aus der er auch selber kommt, und dann erst könne sich eine Lösung für Syrien bieten. Also, es wird nach dem Kollaps des Regimes, nach einem militärischen Kollaps wird es zu Massakern kommen höchstwahrscheinlich, oder zumindest befürchten das nicht nur die Alawiten, sondern auch andere religiöse Gemeinschaften. Insofern muss man ihnen die Garantie geben, dass sie auch mit an der Macht beteiligt sein werden.
Frenzel: Stephan Rosiny vom GIGA-Institut für Nahoststudien in Hamburg. Vielen Dank für das Gespräch!
Rosiny: Ja, bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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