"Lö Grand Bal Almanya" am Maxim-Gorki-Theater

Starke Themen, schwaches Theater

Nurkan Erpulat inszeniert "Lö Gran Bal Almanya" am Maxim Gorki Theater
Nurkan Erpulat inszeniert "Lö Gran Bal Almanya" am Maxim Gorki Theater © Ute Langkafel
Von Michael Laages · 25.05.2018
Zum Finale der Spielzeit am Maxim-Gorki-Theater inszeniert Nurkan Erpulat deutsch-türkische Geschichten: Das Theaterstück "Lö Grand Bal Almanya" greift wichtigen Themen auf – ist aber inszenatorisch ein blankes Desaster.
"Almanya 2018" ist das Wochenende überschrieben, am Beginn standen gleich zwei Premieren – "Süleymankurt" versucht literarisch den Punkt zu markieren, wo fundamentaler Islamismus beginnt, und in "Lö Grand Bal Almanya" schreibt Gorki-Hausregisseur Nurkan Erpulat jene deutsch-türkische Gesellschaftsbilanz fort, die er 2010 schon mal zog am Berliner "Ballhaus Naunynstraße". Was aber hat sich geändert seither?
Das mag eine produktive Bilanz gewesen sein, damals vor acht Jahren, und wer "Lö Grand Bal Almanya" gesehen hat, rühmt den klaren Blick, mit dem die vielstimmige Textsammlung von Nurkan Erpulat und Tuncay Kulaoglu die bis dahin nur selten erzählte Geschichte türkisch-deutschen Zusammenlebens und Zusammenarbeitens klug fokussierte.

Deutschland als Einwanderungsland

Seit Beginn der 60er-Jahre gab es ja erste deutsche Bemühungen, auch Arbeitskräfte aus der Türkei nach Deutschland zu holen. Italiener kamen schon früher.
Das Hamburger St.-Pauli-Theater erzählte vorigen Sommer im toskanischen Städtchen San Guzme von der "Grande Gelata", dem großen Frost, der vor Ort die Ernten zerstörte und die arbeitslosen jungen Italiener nach Deutschland trieb, zum Beispiel zu VW nach Wolfsburg. Spanier und Griechen folgten, und der millionste "Gastarbeiter" (ein Portugiese übrigens, kein Türke) erhielt bekanntlich ein Motorrad zum Geschenk.
Türkische Behörden warnten 1963 vor dem "nationalistischen" Deutschland, das sich aber Fremden gegenüber "hilfsbereit" und "verständnisvoll" gebe.

Gesamtdeutsche Fremdenfeindlichkeit

Zugleich aber sprachen führende deutsche Politiker, Ludwig Erhard wie Helmut Schmidt, bald nach Beginn der Migration von der "Obergrenze", auch wenn der Begriff noch kein Politikum war. Spätestens nach dem Mauerfall richtete sich gesamtdeutsche Fremdenfeindlichkeit verschärft gegen den türkischstämmigen Teil der Bevölkerung. Der Abend ruft auch die Erinnerung wach an den Feuer-Terror von Solingen – das ist jetzt genau 25 Jahre her. Und natürlich docken Erpulat und Kulaoglu bruchlos an in der Gegenwart der Fluchtbewegungen.
Die offenen Hassausbrüche vom AfD-Kaliber, etwa gegen "Kopftuchmädchen", platzieren sie allerdings historisch schon vor dem Mauerfall – und behaupten so Kontinuität bis heute. Zumal seit 2010, der ersten "Almanya"-Bilanz, signifikante Katastrophen das deutsch-türkische Nebeneinander immer mehr eingetrübt haben: vor allem natürlich die Terror-Morde des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU), von staatlichen Behörden lange ignoriert und schlimmstenfalls vertuscht – sie richteten sich vor allem gegen türkische Familien.

Ein theatralisch unergiebiger Abend

Selbst die NSU-Szene aber vage, zwischen Schüssen und Akten-Schreddern – warum wird aus derart wichtigen Themen ein theatralisch derart unergiebiger Abend? Denn vor allem das ist "Lö Grand Bal Almanya". Und vielleicht liegt das sogar an der Musik. Das russische Volkslied vom "Stenka Rasin" gibt es ja in vielen ulkigen Varianten. Den "Almanya"-Ball eröffnet es eher belanglos und beliebig. Alissa Kolbusch hat quasi das Gorki-Foyer auf die Gorki-Bühne kopiert, mit einer Show-Treppe im Hintergrund.
Die schnell wachsende türkische Ensemble-Familie, frisch in Almanya angelangt, assimiliert sich in diesem Ambiente vor allem durch bekanntere und weniger bekannte heimische Volkslieder, von Tobias Schwencke am Klavier fürs Ensemble arrangiert. Mit einem kleinen Glöckchen markiert er zudem immer neue Szenen in der Text-Montage. Recht bald allerdings entwickeln sich speziell diese Übergänge zum fundamentalen Ärgernis des Abends – der schon dramaturgisch eher wackelt, wie polemisch er auch sein will, etwa in einer aufwändigen Attacke auf die Soziologin Necla Kelek.

Eine Inszenierung weit unterhalb der Möglichkeiten

Inszenatorisch aber ist ein blankes Desaster zu durchleiden. Gerade für den Zusammenhang im szenischen Konstrukt wäre die Regie zuständig – sie glänzt aber durch Abwesenheit. Fantasie entwickelt sie bestenfalls in den Szenen, dazwischen nie.
Aber gewaltige, gewalttätige Bilder will sie beschworen, zum Schluss sogar eine Art deutschen Flammen-Kult zum "Pilgerchor" aus Wagners "Tannhäuser" – fahrlässig beschwört die Inszenierung (wie schon zuvor im kommentarlos durcheinander gebrüllten AfD-Gegeifer) jenen neuen deutschen Faschismus, der wirklich jede seriöse und kämpferische Attacke wert ist, gerade im Theater – aber so?
Einmal mehr bewegt sich das Maxim-Gorki-Theater weit unterhalb der Möglichkeiten, die es doch hätte - und die es selbst einem Publikum gegenüber beweisen müsste, das immer und unterschiedslos alles zum Jubeln findet. Kaum irgendwo sonst im deutschen Theater sind Wunsch und Wirklichkeit derart weit voneinander entfernt.
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