Lochbihler sieht "Tradition der Menschenrechtsverletzungen in China"

Barbara Lochbihler im Gespräch mit Nana Brink · 13.10.2009
Die grüne Europaparlamentarierin Barbara Lochbihler hat vor Beginn der Frankfurter Buchmesse Kritik am Umgang mit dem diesjährigen Gastland China geübt.
Nana Brink: Um die chinesische Literatur soll es ja auf der Frankfurter Buchmesse gehen, aber das geht natürlich nicht so einfach. Zu einem Eklat kam es ja erst vor wenigen Wochen während eines Symposiums über China anlässlich eben der Buchmesse, als regimekritische Autoren sich zu Wort meldeten und die chinesische Delegation daraufhin den Raum verließ. Wie also steht es um die Menschenrechte im riesigen Land China und wie wird das Thema auf der Buchmesse verhandelt? – Wir sind jetzt verbunden mit Barbara Lochbihler, sie sitzt für die Grünen im Europaparlament, war von 1999 bis vor Kurzem Generalsekretärin der deutschen Sektion von Amnesty International. Schönen guten Morgen, Frau Lochbihler.

Barbara Lochbihler: Schönen guten Morgen!

Brink: China präsentiert sich auf der Buchmesse unter dem Motto "Tradition und Innovation". Wie klingt denn das in Ihren Ohren?

Lochbihler: Das ist erst mal ein schöner Titel. Der sagt aber noch nicht viel aus, weil es gibt eine Tradition der Menschenrechtsverletzungen in China und es gibt leider sehr wenig Innovation, dass sie wirklich gegen diese Missstände vorgehen wollen. Also die chinesische Regierung sagt ja nicht, dass es keine Menschenrechtsverletzungen gibt. Also da ist sie eigentlich… stellt das nicht in Abrede. Sie haben auch den UN-Sonderberichterstatter gegen Folter eingeladen und haben gesagt, ja, es gibt das, wir sind eben noch nicht so weit, das abzuschaffen. Aber sie unternehmen eigentlich keine konsequenten Schritte, wirklich dagegen zu steuern, zum Beispiel bei der Todesstrafe. Da raten wir oder auch die internationale Gemeinschaft doch dazu, dass sie die Straftatbestände eingrenzen mögen. Und was haben sie bis jetzt gemacht? Sie haben 2007 entschieden, sie werden noch mal die Todesstrafenurteile überprüfen. Aber das ist ein richtiger Schritt, aber sehr innovativ ist das nicht.

Brink: Was wissen Sie denn genau über die Menschenrechtsverletzungen in China und ist es denn einfach, an Informationen zu kommen?

Lochbihler: Also die Informationslage ist eigentlich schon gut. Es gibt ja zunehmend Menschen in China selber, Menschenrechtsverteidiger, die sich für ihre Rechte und die Rechte der anderen einsetzen, die das dokumentieren. Es gibt eben Probleme bei der Einhaltung der Religionsfreiheit, dass tibetische und muslimische Minderheiten hier sehr drangsaliert und misshandelt werden. Es gibt mit Unterstützung westlicher Firmen eine starke Zensur, dass Menschen in China nicht alle Informationen vom Internet runterladen können, Eingrenzung der Meinungsfreiheit. Ich meine, wir haben das letztes Jahr bei den Olympischen Spielen in China und im Vorfeld der Olympischen Spiele ja gesehen, dass es aber trotz all dieser Maßnahmen möglich ist, Informationen zu bekommen und die dann eben auch in politische Forderungen umzuwandeln.

Brink: Die Organisation "Reporter ohne Grenzen" hat kürzlich die verschärfte Online-Zäsur, von der Sie ja auch gesprochen haben, in China kritisiert und gesagt, die digitale Mauer Chinas war noch nie so undurchdringlich wie heute. Erfahren wir denn dann wirklich Genaueres?

Lochbihler: Ja. Also es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, natürlich an Informationen zu kommen. Aber auch die Chinesen oder einzelne Chinesen sind sehr kreativ, das zu umgehen. Aber das ist immer mit einem sehr hohen Risiko verbunden. An der Informationslage selber liegt es nicht. Es kann manchmal Ungenauigkeiten geben, zum Beispiel über die aktuelle und absolute Zahl von Hinrichtungen, weil das wie ein Staatsgeheimnis gehütet wird, aber wenn sie mehrere Tausend offizielle Hinrichtungen im Jahr haben, dann ist das schon … verweist auf den Missstand. Dann ist es jetzt nicht so wichtig zu sagen, wie viele genau.

Brink: Der Chef der Buchmesse, Jürgen Boos sagte in einem Interview, wir müssen mit den Chinesen reden, nicht über sie, und wies jeden Vorwurf zurück, die Buchmesse gehe vor dem Gastland in die Knie. Ist das die richtige Strategie aus Ihrer Sicht?

Lochbihler: Also ich finde es richtig, dass man immer das Gespräch sucht. Nur wenn ich mir das jetzt anschaue, wie hier die Führung der Frankfurter Buchmesse vorgegangen ist, dann muss ich doch sagen, sie haben sich anscheinend nicht kundig gemacht, mit welchem Gesprächspartner oder Dialogpartner sie es da zu tun haben. Ich denke, man muss kritisch sein und das heißt, man muss auch vorher verabreden, wer Gastland wird. Was erwarte ich denn konkret und wie viel Kritik muss zugelassen werden? Dass das nicht immer geht, oder wenn man sich so um einen Konflikt drückt, auch da muss ich wieder verweisen letztes Jahr auf die Olympischen Spiele. Da haben wir gesehen, dass das Internationale Olympische Komitee nicht nachgehalten hat, als es die Spiele vergeben hat, und sich auf wage Zusagen, es wird jetzt besser werden, verlassen hat und dann ist eben nichts besser geworden bei den Menschenrechten. Deshalb denke ich, Entschuldigung, ein sehr ungeschicktes Vorgehen, die dann erst auszuladen und wieder einzuladen. Man hätte ganz von Anfang an einen kritischen Dialog mit der chinesischen Seite führen sollen.

Brink: Sie beziehen sich jetzt auf das Symposium, wo chinesische Autoren, kritische Autoren eingeladen, ausgeladen und dann doch wieder eingeladen worden sind.

Lochbihler: Genau.

Brink: Es gab ein Hickhack darum. – Sie sind Europaabgeordnete. Welche Erfahrungen haben Sie denn mit China?

Lochbihler: Es gibt ja einen Dialog zwischen der EU und China und der hat unterschiedliche Ziele. Also da geht es auch zum Beispiel um die Zusammenarbeit bei globalen Herausforderungen, wie den Klimawandel zu bekämpfen, aber auch die Menschenrechte in China zu fördern, den Wandel Chinas hin zu einer offenen Gesellschaft zu unterstützen. Das sind also sehr gute Anliegen. Und ich hab jetzt noch mal nachgeschaut, was man im Mai diesen Jahres eben beim Gipfeltreffen EU/China verabredet hat, und auch hier ist eben der Dialog, aber der messbar sein muss, dass es zu Verbesserungen kommt, wichtig. Da hat man zum Beispiel ein Abkommen geschlossen über Wissenschaft und Technologie, über saubere Energieträger. Das ist positiv. Aber wir müssen gleichzeitig natürlich auch kritisieren: wenn dann das Gesetz, das chinesische, zur Förderung erneuerbarer Energien so aussieht, dass man riesige Staudammprojekte unterstützt, dann ist das zu kritisieren.

Brink: Barbara Lochbihler, sie sitzt für die Grünen im Europaparlament und wir sprachen über die Menschenrechtssituation in China, das auf der beginnenden Buchmesse heute der Ehrengast ist.