Lochbihler: China muss lernen, dass es mit Boykotten nicht durchkommt

Barbara Lochbihler im Gespräch mit Hanns Ostermann · 10.12.2010
Barbara Lochbihler, Menschrechtskoordinatorin der Grünen-Fraktion im Europäischen Parlament, fordert die EU-Staaten auf, ein Zeichen zu setzen und geschlossen an den Feierlichkeiten zur Verleihung des Friedensnobelpreises an den Chinesen Liu Xiaobo teilzunehmen.
Hanns Ostermann: So etwas hat es seit 1936 nicht mehr gegeben - damals verweigerten die Nazis Karl von Ossietzky die Ausreise, um den Friedensnobelpreis entgegenzunehmen. Diesmal trifft es den 54-jährigen chinesischen Publizisten Liu Xiaobo, er ist inhaftiert, seine Frau, seine Freunde stehen unter Hausarrest. Neben China schlug mehr als ein Dutzend Staaten eine Einladung nach Oslo aus, Menschenrechte, wie wir sie sehen, sind in anderen Ländern also noch immer kein Standard. Neu allerdings ist diese Erkenntnis nicht. Barbara Lochbihler ist Menschenrechtskoordinatorin der Grünen und auch der Europäischen Freien Allianz im EU-Parlament, sie ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Frau Lochbihler!

Barbara Lochbihler: Guten Morgen!

Ostermann: China boykottiert nicht nur die Verleihung, Peking übt auch Druck aus auf im Ausland lebende Chinesen. Wie wird das gemacht?

Lochbihler: Nun, es wird eben gesagt, wer teilnimmt, ist quasi ein Gegner, ein Feind Chinas, und sie versuchen das ja auch mit den europäischen Botschaften und Botschaften in anderen Staaten, dass sie der Verleihung fernbleiben sollen, und es wird eben nicht nur gesagt gegenüber diesen Staaten, sondern es gibt ja da auch wirtschaftliche, ja, wirtschaftlichen Druck, dass Zuschüsse nicht gegeben werden sollen. Es ist nicht neu, muss ich dazu sagen, auch innerhalb der Vereinten Nationen versucht China so, Abstimmungsverhalten zu beeinflussen. Ich denke, da sollte man sich nicht beeindrucken lassen, denn die Argumente, die sie haben, dass so Menschenrechtsschutz schlecht wäre für China, die stimmen einfach überhaupt nicht.

Ostermann: Trotzdem: Warum tritt die chinesische Regierung gerade derzeit wieder so offensiv auf? Steht dahinter auch die Überzeugung: Angriff ist die beste Verteidigung?

Lochbihler: Also sie müssten eigentlich gelernt haben, dass sie damit nicht durchkommen. Im Vorfeld der Olympischen Spiele ist es ihnen ja auch nicht gelungen. Sie haben ihr Ansehen noch schlechter gemacht eigentlich durch diese falsche Politik. Ich denke, eine Großmacht auch wie China sollte es doch in der Lage sein, sich auf die internationalen Menschenrechtsstandards zu beziehen, die sie ja selber unterzeichnet hat, und sollte die auch umsetzen. Also sie werden nicht dadurch gewinnen in der Weltöffentlichkeit, sondern sie verlieren.

Ostermann: Immerhin hat China die Olympischen Spiele bekommen, und geändert, ja, etwas getan hat sich in China seitdem absolut nicht - oder doch irgendwo?

Lochbihler: Also um noch mal auf die Olympischen Spiele zurückzukommen: Es war wirklich sehr falsch vom Olympischen Komitee, nicht sich bestimmte Bedingungen geben zu lassen, was sich bei den Menschenrechten konkret ändern muss, sondern sie haben die Spiele einfach so vergeben. Was ändert sich? Es ändert sich sehr wenig, aber etwas eben sehr langsam ändert sich doch: Es ist so, dass China jetzt alle Todesurteile noch mal überprüft beim Obersten Gericht, und de facto die Zahl der Hinrichtungen leicht zurückgeht, sie sind aber immer noch Hinrichtungsweltmeister. Und Sie sehen ja auch: Die Chinesinnen und Chinesen, die eine menschenrechtskonforme Politik fordern, die sind mit diesem Druck nicht kleinzukriegen. Das heißt, es gibt auch immer mehr Bewegung im Land selber, die grundlegende Rechte wie das Recht auf Bildung für Wanderarbeitnehmer oder auch Meinungsfreiheit einklagen, und das ist richtig.
Ostermann: Was kann Europa in diesem Zusammenhang tun, um die chinesische Zivilgesellschaft weiter zu stärken?

Lochbihler: Ja, also man muss sich deutlich positionieren für den Schutz von Menschenrechtsverteidigern, also eben auch auf diese Preisverleihung gehen in Oslo. Man hat ja hier auf Europaebene einen Menschenrechtsdialog mit China angefangen, das ist ein gutes Instrument, aber man sieht auch, dass man über das Reden hinaus nicht weiterkommt. Ich denke, man muss konsequent sein, man muss mit chinesischen Politikern reden, dass sie ihre Politik ändern, und man darf nicht aufgrund von wirtschaftlichen Überlegungen klein beigeben.

Ostermann: Nun ist es immer leicht, mit dem Finger auf andere zu zeigen, auch am Tag der Menschenrechte. Menschenrechte haben auch Flüchtlinge, auch Asylbewerber. Werden die innerhalb der EU so behandelt, wie es sein muss, sein sollte?

Lochbihler: Nicht immer. Also es gibt Verletzungen, dass Personen, die eigentlich Schutz brauchen hier, die aber kein Asyl bekommen haben, dass die zurückgeschoben werden aus der EU in Staaten wie nach Libyen oder nach Pakistan. Hier hat die EU also völlig versagt, was Menschenrechtsschutz angeht. Und wir haben Situationen wie bei mir daheim in Bayern, wo die Regierung seit Jahrzehnten es nicht schafft, die Asylbewerber menschenwürdig unterzubringen.

Jetzt sind erst wieder in Augsburg Flüchtlinge in den Hungerstreik gegangen, nur weil sie nicht in verwahrlosten Unterkünften bleiben wollen, und das, finde ich, hat unser Land nicht notwendig. Auf Europaebene beobachte ich also, dass es eine richtige Attacke gibt von christdemokratischen Politikern, auch Europaparlamentariern, die nicht wollen, dass das EU-Asylrecht harmonisiert wird, obwohl man das gerade mal vor drei Jahren beschlossen hat, weil sie sagen, wir haben jetzt kein Geld mehr in der Finanzkrise und können uns das nicht leisten. Und so kann man eigentlich mit grundlegenden Standards und die Rechtsvorschriften der EU, dass Flüchtlinge Schutz genießen, nicht umgehen.

Ostermann: Barbara Lochbihler war das, die Menschenrechtskoordinatorin der Grünen im EU-Parlament. Frau Lochbihler, danke für das Gespräch heute früh!

Lochbihler: Dankeschön!
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