Lob der Abgeschiedenheit

Rezensiert von Carola Wiemers · 28.04.2005
In dem Band "Abseits" macht Günter de Bruyn eine "Liebeserklärung an eine Landschaft" rund um den entlegenen Ort Görsdorf bei Beeskow in der Mark Barndenburg, den er 1967 für sich entdeckt hat und als eine Art Exil "ohne Heimatverlust" im ungeliebten Staat DDR wählt. Ein Plädoyer für scheinbar unzeitgemäße Werte wie Abgeschiedenheit, Einsamkeit, Stille, Überschaubarkeit und Naturverbundenheit.
"Ich sitze hier sozusagen am Arsch der Welt", stöhnt die zentrale Figur Viktor in Günter de Bruyns Roman Neue Herrlichkeit (von 1985), "und kümmere mich nicht um ihn, weil sich in meinem Kopf nur die Preußen bewegen, die die Zeichen ihrer Zeit nicht verstehen". Dass sich weder im Kopf des Protagonisten noch anderswo etwas bewegt, verschweigt er galant. Damit steckt bereits de Bruyns Antiheld Viktor in einem symbolhaft unter Schneemassen verborgenen Abseits - hinter dem sich unschwer die DDR entdecken lässt – und versucht jene Arbeit zu leisten, die doch eigentlich die des Autors ist.

Günter de Bruyn öffnet den Blick auf eine Geschichtslandschaft, die unweit von der Metropole Berlin nicht nur zum beglückenden Lebensraum des in preußischer Geschichte äußerst Bewanderten geworden ist, sondern auch sein literarisches Archiv: die Mark Brandenburg. So markieren sein jüngstes Buch Abseits. Liebeserklärung an eine Landschaft und der Roman Neue Herrlichkeit jene Dimension, in der sich das Oeuvre des Autors in großer Vielfalt seit mehr als vier Jahrzehnten entfaltet, ergänzt und spiegelt. Denn in keinem anderen Text ist dieser Landstrich so verschüttet wie im genannten Roman und derart freigelegt wie in seinem neuen Buch Abseits.

Und man muss noch einen Schritt weiter gehen: de Bruyn übertrifft darin sein autobiographisches Werk. Denn in der Gewissheit, dass Autor und Landschaft "einander gemäß" sind und zusammengehören, wird einer Sehnsucht das Wort geredet, die vom realen Ort – Görsdorf und Umgebung - auch zur inneren Verfasstheit des Schreibenden führt und darin den Schulterblick zu den Anfängen dieser seltsamen Liebesbeziehung enthält, die bis in das Jahr 1968 zurückgeht.

In 23 Versuchen, die "Von Liebe und Treue", "Von Musen und Grazien" oder "Von Vergangenheit und Vergänglichkeit" handeln, nähert sich der Autor einer Landschaft, in der die wechselhafte Geschichte der Ortschaften ebenso von Bedeutung ist wie die Lebensläufe seiner Bewohner.

Dabei gibt sich ein Autor zu erkennen, der die Einsamkeit sehen und die Stille hören gelernt hat, denn auch in Abseits soll das profunde Wissen des Historikers dem poetischen Zugriff und damit der literarischen Fiktion dienen. Doch hatte de Bruyn seine Märkischen Forschungen (1978) einst als "Erzählung für Freunde der Literaturgeschichte" verstanden, indem er die Idee einer Literaturgeschichte voller Ironie erfand, regiert nun in Abseits der sachliche, oft melancholische Ton, bei dem es der Leser schwer hat, einen narrativen Rest zu finden. Lediglich dort, wo aus Briefen zitiert wird, Familienschicksale erkundet und von der sagenumwobenen Mark Brandenburg die Rede ist, trifft man noch auf die Stimme des Romanciers de Bruyn.

Diese Abwesenheit – oder sollte man sagen, dieses selbst gewählte Abseits – lässt einige Passagen zur zwar erkenntnisreichen, doch recht mühsamen Unterweisung in Sachen Geschichte werden. Die von Günter de Bruyn mehrfach beschriebenen Unwegsamkeiten der geliebten Landschaft, wo "auf die Benutzung eines für gepflasterte Straßen bestimmten Fahrzeuges" verzichtet werden sollte, scheinen als Stolpersteine somit in die Lektüre geraten zu sein und den sicheren Gang zu erschweren.

Günter de Bruyn: Abseits. Liebeserklärung an eine Landschaft.
Mit Fotos von Rüdiger Südhoff.
S. Fischer Verlag 2005.
189 Seiten. 19,90 Euro.