Literaturkritik auf Twitter

Der Reiz der Gleichzeitigkeit

Ihm schwirrt der Kopf vor lauter Twitter-Vögelchen: Ein Bild des Street-Art-Künstlers "Alias", aufgenommen in Berlin-Mitte
Ihm schwirrt der Kopf vor lauter Twitter-Vögelchen: Ein Bild des Street-Art-Künstlers "Alias", aufgenommen in Berlin-Mitte © dpa / picture alliance / Wolfram Steinberg
Angela Leinen im Gespräch mit Nana Brink · 03.07.2015
Das Wettlesen um den Bachmann-Preis geht heute in die zweite Runde. Auf Twitter finden sich unter dem Hashtag #tddl viele Leute zusammen, die miteinander über die Texte diskutieren. "Ich rede wahnsinnig gerne über Bücher", sagt die Bloggerin Angela Leinen.
Nana Brink: So weiblich war der Bachmann-Wettbewerb noch nie: zehn der 14 Autorinnen sind Autorinnen, die ihre noch nicht veröffentlichten Texte ja traditionell in Klagenfurt vorlesen. Das Ganze gipfelt dann in der Preisverleihung am Sonntag und wird vom österreichischen Fernsehen übertragen. Aber ist der Bachmann-Wettbewerb eigentlich noch zeitgemäß?
"Da sitzen seit 1977 jedes Jahr Literaturfuzzis im Halbkreis und profilieren sich auf Kosten der tapferen Autoren. Früher wurde da wenigstens noch geraucht."
Das war ein Zitat von der Journalistin und Rechtsanwältin Angela Leihen, sie bloggt als Sopranisse und twittert als die innere Simone und kennt den Wettbewerb seit vielen Jahren.
Guten Morgen, Frau Leinen!
Angela Leinen: Guten Morgen, Frau Brink!
Brink: Was bloggt denn die Sopranisse vom verschnarchten Bachmann-Preis?
Leinen: Die Sopranisse bloggt in diesem Jahr gar nicht mehr. Ich habe im letzten Jahr auch schon kaum noch gebloggt, das verlagert sich insgesamt sehr auf Twitter. Der Vorteil ist, man unterhält sich miteinander. Auf Twitter finden sich viele Leute zusammen, die zum Teil in Klagenfurt, zum Teil zu Hause am Fernseher die Sache verfolgen, das kommentieren und Literaturkritik diskutieren.
Brink: Die innere Simone twittert - wer macht denn da mit, wen findet sie denn da und warum?
Leinen: Da finden sich zum Beispiel David Hugendick, der Redakteur bei der "Zeit" ist, da findet sich ein Lektor vom Hanser-Verlag, da finden sich Autoren, wie zum Beispiel Martin Fritz aus Innsbruck, verschiedene Leute, auch sehr viele, die nicht direkt mit dem Literaturbetrieb zu tun haben, sondern einfach interessierte Leser sind.
Brink: Ist das neu? Sie machen das ja schon seit über zehn Jahren, beobachten das. Hat das den Wettbewerb verändert oder unsere Draufsicht da drauf oder die Draufsicht des Publikums?
Diskussionsrunde im Hintergrund
Leinen: Ja, ich glaube schon. Es gibt nach wie vor verschiedene Bereiche: Es gibt Leute, die reisen seit 30 Jahren an und sitzen im Studio, die bekommen sicher nicht viel mit davon, also es wird nicht einbezogen, dass man eine Twitter-Wall sehen könne während der Jurydiskussion, aber das Interesse ist gewachsen, und ich glaube, das hängt damit zusammen, wie man mit Literaturkritik an sich umgeht. Denn beim Bachmann-Preis wird diskutiert von Literaturkritikern, Literaturwissenschaftlern, und die müssen dabei ihre Kriterien zur Bewertung von Literatur aufdecken. Da kann man dann mitmachen als zweite Diskussionsrunde im Hintergrund.
Brink: Ist es deshalb auch entscheidend, dass zum Beispiel erst mal auch ein Juror einen Twitter-Account hat?
Leinen: Nein, das ist nicht entscheidend, das können wir auch so. Der Juror – das ist Klaus Kastberger, ein neuer Juror aus Graz –, das ist der erste Juror, der auch twittert. Der beteiligt sich eigentlich in ähnlicher Weise an der Diskussion. Er hat jetzt so ein kleines Ranking der ersten Sätze erstellt, zum Beispiel im Vorhinein schon, was er jetzt so nach und nach postet, aber er kann natürlich nicht an der gleichzeitigen Diskussion bei Twitter teilnehmen, also er meldet sich da morgens und abends.
Brink: Sind denn diese beiden Szenen - also die wir jetzt auch gerade so ein bisschen beschrieben haben, also der Kreis um die virtuell Kommentierten und den um die Tatsächlichen, die da live in Klagenfurt sitzen, – haben die beiden was miteinander zu tun? Sind die sich vielleicht auch irgendwie ähnlich, sprechen die auch so miteinander?
Bei Twitter ist egal, wer man ist
Leinen: Wenn man in Klagenfurt ist, dann finden da schon Gespräche statt, also es ist ja eine sehr offene Atmosphäre. Dass sich jetzt Juroren so sehr in die Diskussion abends beim Bier einschalten - nicht unbedingt, aber es hat ja auch so eine gewisse Partyatmosphäre. Wenn man da ist, dann finden diese Gespräche schon statt.
Bei Twitter ist es tatsächlich schon ein bisschen Verschränkung des Betriebs mit dem normalen Leser, weil wie gesagt ja auch Lektoren, Literaturjournalisten und so weiter mitkommentieren auf Twitter, und da finden Gespräche statt, das ist egal, wer man ist. Man hat ja nur seinen kurzen Twitter-Namen, da steht nicht dabei, was man sonst beruflich macht, das ist völlig egal, das geht nur um die Qualität der Beiträge.
Brink: Ich möchte noch mal ein bisschen auf das Verschnarcht kommen, wo ich Sie zitiert habe. Immerhin gibt es das ja schon seit 1977 und das kann man wahrscheinlich verschnarcht nennen. Was ist denn dann für Sie der Reiz? Also gerade auch so als Bloggerin und jemand, der twittert?
Reiz in der Gleichzeitigkeit
Leinen: Für mich liegt der Reiz in der Gleichzeitigkeit. Also ich rede wahnsinnig gerne über Bücher, und erstmal haben meine Freunde natürlich selten dasselbe gelesen wie ich. Es gibt ja so wahnsinnig viele Bücher. Das ist ja schon mal die erste Voraussetzung, dass man überhaupt dasselbe kennt. Dann liest man es zu anderen Zeiten, dann ist das schon durch, man hat es schon wieder vergessen. Also diese Situation, dass man eine halbe Stunde zusammensitzt und nur dem Text lauscht und alle hören in dem Moment das Gleiche und können sich ihre Gedanken zu denselben Sätzen im selben Moment machen, das hat man halt nur da.
Plus eben zuerst der Text, da wird ja dann schon angefangen zu kommentieren, manchmal sehr ungerecht und Schnellschüsse, und dann schaltet man sich praktisch hinten rum in die Jurydiskussion ein. Die merken das natürlich nicht, aber diese Gleichzeitigkeit macht das aus, was auch Leserunden im Internet und sowas nicht erfüllen können.
Brink: Der Bachmann-Preis selbst steht ja online, wird auch gestreamt – also nachdem der ORF, also das österreichische Fernsehen das Ganze ja eigentlich schon mal einstellen wollte, auch aus finanziellen Gründen -, und wie wahrscheinlich ist es denn, dass der Wettbewerb dann irgendwann nur noch im Netz stattfindet? Glauben Sie das?
Leinen: Ja, das kann gut sein. Es kann gut sein, dass er in derselben Form stattfindet, aber tatsächlich nur noch gestreamt wird, nicht mehr über Fernsehen. Ob das dann was ausmacht oder ob das eigentlich egal ist, weil die Leute alle über funktionierendes Internet verfügen, das kann ich nicht sagen. Also es gab wohl schon Diskussionen, das so zu machen, aber das weiß man nicht.
Brink: Sie werden auf jeden Fall wieder hinfahren.
Leinen: Ich denke, ich werde wieder hinfahren, ja.
Brink: Schönen Dank! Die Bloggerin Angela Leinen, danke für das Gespräch!
Der Bachmann-Preis wird übrigens am Sonntag vergeben, ist dann natürlich auch bei uns Thema in den "Studio 9"-Sendungen in der "Lesart" und natürlich auch bei uns im Netz unter deutschlandradiokultur.de.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Der Bachmannwettbewerb findet auf Twitter unter dem Hashtag #tddl statt:
Mehr zum Thema