Literaturkonferenz in Berlin

Strategien gegen Rechts

Junge Schriftstellerinnen und Schriftsteller sitzen vor einer bunten Wand mit Schildern auf denen diverse Schlagworte wie "Ängst" und "Kritik" durcheinander wuseln
Die Veranstalter der Literaturkonferenz "Ängst ist now a Weltanschauung" © Sabrina Richmann
Von Alexander Moritz · 17.06.2018
"Wie sollen wir schreiben, während draußen die Rechten den Diskurs kapern?" Mit dieser Frage beschäftigte sich die Berliner Literaturkonferenz "Ängst ist now a Weltanschauung". Veranstaltet hat sie die Gruppe "Nazis & Goldmund".
Sonntagnachmittag in einem rustikalen Seminarraum des "Ballhaus Ost", einem freien Theater in Berlin Prenzlauer Berg. Ein paar Dutzend Leute sitzen auf Stühlen im Kreis. Autorinnen, Musiker, Theaterschaffende – politisch wohl eher links, nur wenige älter als 50. "Ja, Panik"-Sänger Andreas Spechtl ist da, der Popliterat Thomas Meinecke und die Grazer Schriftstellerin Olga Flor. Die meisten anderen kommen ebenfalls aus Deutschland und Österreich.
Zur Abschlussrunde der Konferenz sind die Gesichter teils aufmerksam, teils erschöpft. Intensive Diskussionen liegen hinter ihnen: "Wie sollen wir schreiben, während draußen die Rechten den Diskurs kapern?"

"Politischer werden"

Die Antwort der meisten hier im Raum: Politischer werden, sich positionieren! Nur wie? Gemeinsam oder allein? Soll man sich überhaupt auf den von den neuen Rechten erklärten "Kulturkampf" einlassen? So richtig einig sind sich die Anwesenden nicht, auch nach drei Tagen des Austauschs.
Draußen vor den Fenstern singen die Vögel und auf der Straße fahren die Polizeifahrzeuge wieder weg. Eine als Abschluss der Konferenz angemeldete Demonstration findet schließlich doch nicht statt.
Alle auf einen Nenner zu bringen, das ginge eben nicht, stellt die Organisationsgruppe fest. Ohnehin wolle man "der Einstimmigkeit der Rechten eine Vielstimmigkeit der offenen Gesellschaft entgegensetzen", so formuliert es Mitorganisator und Autor Thomas Arzt.
Niemand hier will andere bevormunden. Das wurde schon bei der Eröffnung am Donnerstag deutlich: Die Begrüßung übernahm eine anonyme Computerstimme.
"So, nun sind wir also versammelt zu dieser Konferenz. Wir sollten reden. Über Literatur? Ja! Über Erosion? Oh ja! Über das Demokratische? Hell yeah!"

Den Austausch vom digitalen ins reale Leben holen

Organisiert hat die Veranstaltung die deutsch-österreichische Autorengruppe "Nazis & Goldmund". Sie veröffentlichen wöchentlich Texte zu rechten Tendenzen weltweit. Seit zwei Jahren schon, aber bisher nur online. Die Literaturkonferenz soll den Austausch vom digitalen ins reale Leben holen, kritische Autorinnen und Autoren vernetzen, so formuliert es die österreichische Autorin und Mitorganisatorin Sandra Gugić:
"Mit der Literaturkonferenz ´Ängst is now a Weltanschauung` wollen wir eine Debatte beginnen. Über die Verantwortung von Literatur. Wie die Sprache nicht verlieren? Wie sich verbünden? Wie die eigene Rolle im System verändern?"
Der Anlass diese Fragen zu stellen, ist die Sorge, dass zur Legitimation politischen Handelns zunehmend Angst herangezogen wird. Eine gefährliche Entwicklung, warnt die deutsch-kroatische Autorin Jagoda Marinić.
"Wessen Angst hat überhaupt politisches Gewicht? Ist es die Angst der zehn Millionen Menschen in Deutschland, die keinen deutschen Pass haben? Ist es die Angst der Pegidisten? – Die wurde irgendwie extrem gehört. Wer Angst hat, der hat Recht, scheint der neue Diskurs zu sein."

"Sowas wie Menschlichkeit, ist ja fast ein Schimpfwort"

Diese Angst wird von den Neuen Rechten bewusst geschürt, durch geschickte Sprachmanipulationen. Sehr erfolgreich, wie die Grazer Autorin Olga Flor beobachtet:
"Sowas wie Menschlichkeit, ist ja fast ein Schimpfwort. Jemand der aus humanitären Motiven agiert, das wird dann als ´Industrie` bezeichnet. Dem werden kommerzielle Interessen unterstellt. Wenn man die Leute aus dem Mittelmeer fischt. Das muss man sich mal vor Augen führen: Was für eine Begriffsverkehrung, was für eine Perversion ist denn das bitte?"
Als Reaktion auf den rechten Diskurs hat Flor im Februar nach einigen Romanen zum ersten Mal einen politischen Essay veröffentlicht.
Wie sehr der Einfluss rechter Deutungsmuster in der Sprache verunsichert, machen "Nazis & Goldmund" in einer Textperformance deutlich.
"Ängst vor der Frage, was tun, wie handeln, wie sich positionieren? Was tun? Wie sich positionieren. Ängst auch vor der Sprache, der allgemeingültigen Sprache, vor dem, was als Normal gilt."

Vorträge über Strategie und Sprache der Neuen Rechten

Man kann die Konferenz als einen Versuch der Selbstvergewisserung aufgeschreckter linker Literaten sehen. In Gesprächsgruppen erzählen sie von ihren Erfahrungen, beim Schreiben und beim Lesen. Dazu kommen Vorträge von Expertinnen und Experten für Strategie und Sprache der Neuen Rechten.
Fragen gibt es viele: Wie politisch sollen, ja müssen sie als Autorinnen und Autoren sein? Welche Verantwortungen tragen sie, die ja in ihren Texten immer auch eine Wirklichkeit behaupten? Ist es in Ordnung, die selbe verführerische Sprache zu verwenden, mit denen Populisten arbeiten?
Auf Antworten hofft unter anderem der Lyriker Alexander Gumz.
"Ich will politischere Texte schreiben und merke, dass ich da aber nicht weiterkomme, weil ich irgendwie die Angst, mich gewissermaßen zu vergiften an dieser Sprache, wenn ich sie in welcher Form auch immer inkooperiere."
Die Gesprächsrunden erinnern an politikwissenschaftliche Seminare. Grundsätzliche Fragen, Diskussion – und doch Ratlosigkeit.
Ihre Gedanken halten die Teilnehmenden auf Plakatpappe fest. Auf einer steht in roter und blauer Farbe: "Haben wir hier gerade Ängst, wirklich aktiv zu werden und Konkretes zu planen?"
Dabei soll von der Literaturkonferenz im besten Fall doch ein intellektuelles Gegensignal ausgehen: die Literatur steht hinter der Demokratie, hinter einer offenen Gesellschaft und für Vielfalt.

Gemeinsame Erklärung am Ende

Immerhin, eine gemeinsame Erklärung gibt es am Ende: Ein lyrischer Text über Europa, den die Konferenzteilnehmenden den sprachlichen Grenzziehungen des rechten Heimatdiskurses entgegenwerfen:

"Schluss mit den Achsen. Schluss mit dem Mittelmeer. Schluss mit den Schlagbäumen. Schluss mit den Todesstreifen. Keine Zukunft ohne Europa, ohne Europa keine Zukunft."
Was bleibt von diesen vier Tagen? Die Erkenntnis, wie mühsam es sein kann, wenn linken Autorinnen und Autoren versuchen, sich zu organisieren ohne dabei ihre Künstlerpersönlichkeiten einzuschränken. Aber auch: der Wille, sich politisch einzumischen, ist da.
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