Literaturanalyse: Wahlprogramm der Grünen

Melange aus Werbe- und Krimi-Ästhetik

Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt präsentieren in Berlin den Entwurf für das Wahlprogramm der Grünen zur Bundestagswahl 2017
Grünes Wahlprogramm: Einmal in Leichter Sprache, einmal unterkomplex geschrieben © dpa / picture alliance / Kay Nietfeld
Von Paul Stänner · 16.09.2017
In unserer Serie kämpfen sich Literaturkritiker durch die Wahlprogramme der Parteien. Paul Stänner findet, das Programm der Grünen wirkt ein wenig wie ein Krimi und zugleich wie ein Werbetext: möglichst zielgruppengerecht formuliert.
Sein Titel: Zukunft wird aus Mut gemacht - klingt schon rhythmisch ein wenig wie "Der Fluch des Hauses Dain" oder "Die simple Kunst des Mordes" – beides klassische Titel der Kriminalliteratur. Und wirklich wirkt das Parteiprogramm ein wenig wie ein Krimi und gleichzeitig wie ein Werbetext.
Der Krimi würde titeln: "Die Zukunft wird aus Angst gemacht", und Umfragen besagen, dass sich viele Wähler sorgen, vor allem wegen des Flüchtlingsthemas. Aber der Werbetext gibt sich optimistisch und ersetzt "Angst" durch "Mut".

Sympathischer Ansatz: Leichte Sprache

Es gibt das Wahlprogramm der Grünen auch in so genannter Leichter Sprache, dabei werden kurze Sätze verwendet, jeder Satz enthält nur eine Aussage, es werden Aktivsätze formuliert und der Konjunktiv fällt weg. Die Grünen schreiben zum Beispiel in leichter Sprache: "Demokratie soll im Mittelpunkt stehen. In Europa soll es Frieden geben. Es geht um unser Zusammen-Leben. Und um unseren Alltag." Die Themenblöcke enden jeweils in einer leicht verständlichen Schlussfolgerung: "Wir müssen etwas tun." Oder auch: "Dafür wollen wir sorgen."
Das Programm in Leichter Sprache ist ein sympathisches Bemühen, Menschen zu erreichen, die entweder aus dem Ausland kommen – und wohl nicht wählen dürfen – oder aus einer unserer vernachlässigten Bildungsinstitutionen. Damit ist schon im Stil eine Kritik an den derzeitigen Zuständen versteckt.

Langprogramm unterkomplex geschrieben

Nehmen wir das Langprogramm, es hat immerhin 248 Seiten, allesamt ebenfalls in einer unterkomplexen Sprache geschrieben: kurze Sätze, einfache Aussagen. Daneben gibt es Formulierungen wie "das Quecksilber, das Kohlekraftwerke in die Luft pusten" – da klingen nostalgisch noch einmal die frühen Jahre der Öko-Bewegung an, als böse Schlote noch dicke pusteten. Das ist das sprachliche Äquivalent zu Sonnenblumen auf den Fraktionsbänken, kratzenden Strickpullovern und öffentlichem Stillen beim Parteitag.
Wie in der einfachen Sprache, verwendet auch das Langfassungsdeutsch aktive Formulierungen. Man gibt sich dynamisch wie die Werbung: "wir schützen…", "wir entwickeln…", "wir wenden uns…", "wir wollen vorangehen…" – das kennt man aus der Werbung von einem der umstrittenen Stromkonzerne.

Positiv auftreten, nicht ruppig

Seltener liest man: "Wir fordern" oder "wir lehnen ab", denn aus der Werbung wissen wir, dass man positiv auftreten muss und nicht ruppig oder unhöflich. Daneben verwenden die Grünen Tricks aus dem Arsenal der Autoren im Krimi- und Action-Genre. Da heißt es: "… um unser Grundwasser zu schützen … werden wir die Güllemassen aus der industriellen Landwirtschaft eindämmen … dadurch werden erhebliche zusätzliche Kosten bei der Trinkwassergewinnung vermieden."
Es werden aber erhebliche Kosten anfallen, um die Gülle anderswo zu entsorgen. Um dieses Problem pfuschen sich die Autoren herum und hoffen, dass der Leser – den sich ein Krimi-Autor ja stets als einen sympathisierenden Leser vorstellt, der die Geschichte ohne großes Misstrauen mitträgt – die kleine Unterschlagung nicht merkt. Das Wahlprogramm der Grünen erscheint wie eine Melange aus Werbe- und Krimi-Ästhetik, möglichst zielgruppengerecht formuliert mit der Absicht, dass der Leser/die Leserin am Ende sagen: Gute Geschichte, mein Held kann den Fall lösen!

Wahlprogramme - sprachlich und inhaltlich ein eher spröder Stoff. Oder steckt da doch mehr drin? Wir haben Literaturkritiker und Autoren gebeten, die Pamphlete einmal gründlich durchzuackern und nach literarischen Kriterien zu bewerten. Das Programm der Linkspartei (Florian Werner) wurde als erstes besprochen. Es folgten FDP (Ursula März), AfD (Thorsten Jantschek), SPD (Mathias Greffrath), CDU/CSU (Sieglinde Geisel) und nun das der Grünen (Paul Stänner). Die Rezensionen können Sie jeweils gegen 8.50 Uhr hören.

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