Linker Protest und rechte Gewalt

Weimar als Mahnung

04:29 Minuten
Menschen demonstrieren in einem Hörsaal der Universität Hamburg, während der Wirtschaftswissenschaftler und AfD-Mitbegründer Lucke versucht, seine Antritts-Vorlesung zu halten.
Nach dem Anschlag von Halle führten Proteste von Studierenden in Hamburg zum Abbruch einer Vorlesung des AfD-Gründers Bernd Lucke. Dieser Vorfall dominierte für Tage die Schlagzeilen, so Sabine Hark. © picture alliance / dpa /Markus Scholz
Ein Kommentar von Sabine Hark · 11.12.2019
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Linker studentischer Protest wie kürzlich an der Universität Hamburg oder aber rechtsextreme Gewalttäter wie in Halle – es darf keinen Zweifel daran geben, wer unsere Demokratie bedroht, betont die Soziologin Sabine Hark.
Der terroristische Angriff auf die Synagoge in Halle und die willkürliche Ermordung einer Passantin und eines jungen Mannes in einem Döner-Imbiss liegen erst wenige Wochen zurück. Seine Motive hat der in Untersuchungshaft sitzende geständige Täter mehrfach zweifelsfrei benannt: Antisemitismus, Antifeminismus, Rassismus – ein Programm der Gewalt.
Beileibe nicht der erste rechte Mord im Land, veranschaulicht der Anschlag von Halle vielleicht wie kein zweiter in der Geschichte der Bundesrepublik den Kern rechter Ideologie. "Wir teilen die Welt nicht", ist deren Botschaft. Wir machen einen Unterschied, der einen Unterschied macht: den zwischen Sein und Nicht-Sein. Faschismus ist der Name dieser Ideologie – der Antipode der Demokratie.

Protest gegen Lucke verdrängt Anschlag in Halle

Einige Tage nach dem Hallenser Anschlag führen Proteste von Studierenden an der Universität Hamburg zum Abbruch einer Vorlesung des AfD-Gründers Bernd Lucke. Dieser Vorfall verdrängt Halle aus der Debatte und dominiert für einige Tage die Schlagzeilen. Auch der Bundesministerin für Bildung und Forschung, Anja Karliczek, ist der studentische Protest Anlass, vor einer allgemein stärker werdenden Meinungszensur zu warnen.
Die Menschen, so Karliczek, würden sich nicht mehr trauen, zu reden, "wie ihnen der Schnabel gewachsen sei", weil linke Zensur und feministische Sprachpolizei ihnen den Mund verbiete. "Weimar", raunt die Ministerin, müsse "eine Mahnung sein".
Karliczek ist nicht allein mit dieser Sorge. Sie teilt sie mit vielen anderen in Politik und Medien, in Wissenschaft, Kunst und Kultur. Sie sehen die Demokratie bedroht, weil Feministinnen und Feministen Sexismus skandalisieren und rassistisch diskriminierte Minderheiten Diskriminierung bekämpfen, weil Schüler und Schülerinnen für Klimaschutz streiken und Studierende Vorlesungen stören.
Um hier nicht missverstanden zu werden: Die Meinungsfreiheit ist mit Fug und Recht ein grundgesetzlich geschütztes Recht, und sie gilt auch dann, wenn Meinungen "scharf und überzogen geäußert werden", wie das Bundesverfassungsgericht urteilte.
Doch wer den Unterschied zwischen linkem studentischem Protest und rechter Gewalt nicht sehen will, wer die Forderung nach geschlechtergerechter Sprache als elitäre Gängelei der sogenannten einfachen Leute verunglimpft und in der Kritik an Hassrede wiederum selbst nur Intoleranz zu erkennen vermag, beteiligt sich nicht nur an der politisch desaströsen Einebnung aller Unterschiede. Dementiert wird auch die Verletzung und Beschämung, die Worte auszurichten in der Lage sind.

Woran scheiterte Weimar?

Sichtbar wird hier ein eklatanter Verlust an Unterscheidungsvermögen und Urteilskraft. Die Fähigkeit also, zu erkennen, welche Unterschiede welchen Unterschied machen und darauf basierend gleichermaßen reflektierende wie reflektierte Urteile zu fällen. Eine Fähigkeit, deren Verlust für Hannah Arendt im Zusammenhang mit dem Erstarken totalitärer Tendenzen stand.
Die Weimarer Republik, möchte man der Ministerin in diesem Licht betrachtet zurufen, ist nicht an linkem Protest gescheitert, sondern an faschistischer Gewalt und der mangelnden Bereitschaft der bürgerlichen Mitte, sich dieser Gewalt zu widersetzen. Diese Unterscheidung nicht zu treffen, ist ein Bärendienst an der Demokratie.
Im Juni 1926 reagiert das Rektorat der Universität Hannover auf die sich über mehr als ein Jahr hinziehenden antisemitischen Anfeindungen gegen den Philosophen Theodor Lessing. Rechtsradikale Korpsstudenten hatten zum Boykott seiner Vorlesungen aufgerufen, diese gewalttätig gestört und Lessing persönlich durch Hannover gejagt.
Bei verminderten Bezügen wird Lessing unbefristet beurlaubt. Die Professorenschaft stellt sich nicht vor den Kollegen. Im August 1933 wird der Philosoph im tschechischen Exil von deutschen Nationalsozialisten ermordet.
Das ist die Mahnung von Weimar.

Sabine Hark, Soziologin, ist seit 2009 Professor_in für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung an der TU Berlin. Sie ist Gründungsmitglied der Fachgesellschaft Geschlechterstudien, Gender e.V. und Mitherausgeber_in der Zeitschrift feministische studien.

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