Linken-Politiker rügt Geheimdienst-Kooperation mit Libyen

06.09.2011
Der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Neskovic sieht bei der Zusammenarbeit deutscher Geheimdienste mit dem libyschen Gaddafi-Regime erheblichen Aufklärungsbedarf. Er erwartet eine Erklärung darüber, welche terroristischen Aktionen durch die damalige Zusammenarbeit mit dem libyschen Geheimdienst verhindert worden seien.
Ute Welty: Inwieweit hat auch Deutschland vom System Gaddafi profitiert? Wahrscheinlich nicht zu knapp, muss oder darf man annehmen. Offenbar hat auch der deutsche Geheimdienst Informationen aus Libyen erhalten, Informationen, die dazu dienten, terroristische Bedrohungen abzuwehren. Das jedenfalls sagt Bernd Schmidbauer, unter Kohl Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt und deswegen auch Kohls "Null-Null-Acht" genannt. Nicht Geheimdienstkoordinator, sondern Geheimdienstkontrolleur ist Wolfgang Neskovic. Er sitzt für Die Linke im Bundestag und im parlamentarischen Kontrollgremium, das eben zuständig ist für die deutschen Geheimdienste. Guten Morgen, Herr Neskovic!

Wolfgang Neskovic: Schönen guten Morgen!

Welty: Haben deutsche Geheimdienste aus Libyen Informationen bezogen, und ist es nicht auch deren Job, alle möglichen Quellen anzuzapfen?

Neskovic: Zunächst darf ich aus dem Gremium nicht berichten, aber ich kann mich selbstverständlich auf das beziehen, was Herr Schmidbauer gesagt hat. Er hat behauptet, dass zumindest in der Zeit, in der er im Kanzleramt dafür verantwortlich war, Informationen der libyschen Sicherheitsdienste auch an die deutschen Dienste gelangt sind. Er hat das gerechtfertigt, indem er gesagt hat, mithilfe dieser Informationen konnten wir terroristische Bedrohungen auf unser Land abwehren. Er bleibt aber den Beweis schuldig, um genau zu benennen, wann welche Informationen in welchem Zusammenhang welche terroristischen Bedrohungen verhindert haben. Also dies ist eine Rechtfertigungsstrategie, die ohne Beweiswert ist und die deutlich macht, dass in den deutschen Sicherheitsdiensten bestimmte rechtsstaatliche Grundsätze noch nicht angekommen sind.

Welty: Welche Möglichkeiten haben Sie jetzt im parlamentarischen Kontrollgremium, diese Aussage Schmidbauers zu konkretisieren?

Neskovic: Wir haben am Mittwoch parlamentarisches Kontrollgremium …

Welty: Also morgen.

Neskovic: … ich habe vorsorglich einen entsprechenden Antrag gestellt, gehe aber davon aus, dass die Bundesregierung – das gibt die gesetzliche Lage her – von selbst dazu berichten wird, und wir werden dann entsprechend kritische Fragen stellen. Und ich gehe auch davon aus, dass die Bundesregierung dann ein Interesse hat, die Ergebnisse öffentlich mitzuteilen, damit eine notwendige öffentliche Auseinandersetzung hierzu stattfinden kann, denn es darf nicht sein, dass deutsche Sicherheitsdienste mit Folterknechten zusammenarbeiten.

Welty: Wenn ein ehemaliger Geheimdienstkoordinator mit diesen Details an die Öffentlichkeit geht, dann kann man ja davon ausgehen, das ist politisch abgestimmt. Was, denken Sie, ist der Grund für diese plötzliche Offenheit?

Neskovic: Na ja gut, man muss damit rechnen, so wie die Amerikaner und die Engländer es jetzt auch erfahren haben, dass man Papiere und Unterlagen findet, aus denen sich ergibt, dass auch der BND zum Beispiel mit libyschen Folterknechten zusammengearbeitet hat. Und das dann sich eine politische Diskussion entwickeln wird, liegt auf der Hand, und Herr Schmidbauer ist offensichtlich jetzt tätig geworden, um bei dieser Diskussion von vornherein im Wege des Angriffs begegnen zu können.

Welty: Sie haben eben von rechtsstaatlichen Grundsätzen auch für die Arbeit der Geheimdienste gesprochen – kann man es sich denn als Bundesnachrichtendienst überhaupt aussuchen, ob man Informationen nutzt oder nicht, hat man tatsächlich die Wahl?

Neskovic: Selbstverständlich, man hat sogar die Pflicht.

Welty: Inwieweit denn?

Neskovic: Ja, im Rechtsstaat gilt der Grundsatz, der Zweck heiligt nicht die Mittel – das ist das Entscheidende. Und das gilt beispielsweise – und daran kann man es eigentlich sehr gut deutlich machen – für das Folterverbot. Das ist einer Abwägung nicht zugänglich. Dafür haben wir uns entschieden. Dazu gibt es genügend internationale Konventionen, dazu gibt es die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das ist eine absolute Grenze, das ist eine Tabugrenze. Informationen, die aus diesem Bereich gewonnen werden, sind prinzipiell nicht verwertbar. Man kann das sogar noch an einem anderen Beispiel verdeutlichen, das uns eigentlich weitgehend geläufig ist: In der Strafprozessordnung haben wir eine Regelung, wonach Informationen, die durch Täuschung oder durch Drohung oder durch Hypnose oder durch körperlichen Zwang erwirkt worden sind, in einem Gerichtsverfahren nicht verwertet werden können. Obwohl sie vielleicht richtig sind, dürfen sie nicht verwertet werden, weil man sich sagt, wir wollen es nicht, dass bestimmte Informationen, die zur Verurteilung eines Täters führen, auf unlautere rechtsstaatswidrige Weise erworben werden.

Welty: Jetzt zieht Schmidbauer ja selbst eine Grenze, indem er sagt, es hat nie gemeinsame Aktionen mit Libyen gegeben, während die USA offenbar ja Terrorverdächtige nach Libyen ausgeflogen haben, um sie dort verhören zu lassen. Sehen auch Sie da einen Unterschied?

Neskovic: Zunächst muss man definieren, was sind überhaupt gemeinsame Aktionen? Ich kann es mir überhaupt nicht vorstellen, dass deutsche Sicherheitskräfte von den libyschen Behörden Informationen bekommen haben, ohne dass sie im Gegenzug etwas anderes auch gegeben haben. Zum Wesen der Geheimdienste gehört das Prinzip des Gebens und des Nehmens.

Welty: Könnte es sein, dass diese Gegenleistungen ausgesehen haben wie ein Sturmgewehr?

Neskovic: Das weiß man nicht. Also wir wissen ja, dass Sturmgewehre dort aufgetaucht sind, auch das wird man untersuchen. Ich bin der festen Überzeugung – und ich bin jetzt seit fast sechs Jahren mit diesem ganzen Bereich betraut –, dass Geheimdienste eben international nach diesem Prinzip des Gebens und Nehmens agieren, und wenn wir Informationen bekommen haben, werden wir auch etwas dafür gegeben haben. Was, das muss man feststellen. Man muss auch dazu sagen, dass natürlich auch wir gesetzliche Bestimmungen haben, die uns auch daran hindern, bestimmte Informationen beispielsweise – es müssen nicht die Gewehre sein, aber es können auch Informationen sein, zum Beispiel über libysche Dissidenten –, dass wir die nicht weitergeben dürfen, weil in den entsprechenden Gesetzen ausdrücklich enthalten ist, dass der Staat, an den Informationen weitergegeben werden, rechtsstaatlichen Prinzipien folgt, und das ist bei Libyen offenkundig nicht der Fall. Also hier besteht ein erheblicher Aufklärungsbedarf, und wir müssen dem nachkommen.

Welty: Das alles dürfte Ihnen sehr bekannt vorkommen, denn mit einem ähnlichen Themenkomplex hat sich der sogenannte BND-Untersuchungsausschuss monatelang beschäftigt. Können Sie sich vorstellen, dass auch diese Geschichte jetzt ein parlamentarisches Nachspiel haben wird?

Neskovic: Das kann man nicht ausschließen, vor allen Dingen gerade weil wir nicht nur monatelang, sondern jahrelang den BND-Untersuchungsausschuss hatten, der hat ja die ganze letzte Legislaturperiode gedauert …

Welty: Das hatte ich schon verdrängt.

Neskovic: Ja, das kann ich verstehen … Und wir sind ja eigentlich in verfassungswidriger Weise, das hat das Verfassungsgericht ja festgestellt, von der Bundesregierung an der notwendigen Aufklärung gehindert worden, und wir haben jetzt bessere Möglichkeiten und hier muss konsequent aufgeklärt werden. Und wenn wir das im parlamentarischen Kontrollgremium nicht hinbekommen, dann muss natürlich ein Parlament sich zur Wehr setzen, und der Untersuchungsausschuss ist dafür das geeignete Mittel.

Welty: Wolfgang Neskovic für die Linken im Bundestag – ich danke fürs Gespräch!

Neskovic: Ich danke auch!

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