Linke zur Flüchtlingspolitik

"Die internationale Gemeinschaft hat zu wenig getan"

Eine syrische Flüchtlingsfamilie - Mutter, Vater und sechs Kinder - sitzt in Tripolis im Norden des Libanon in einer Wohnung mit unverputzten Wänden auf einem Teppich, an den Wänden hängen ein kleiner Spiegel, einzelne Bilder und zwei große Stoff-Teddybären.
Flüchtlinge im Libanon: Auf drei Libanesen kommt inzwischen ein Migrant - das Land ist damit überfordert, die internationale Gemeinschaft hilft zu wenig © picture alliance / dpa / Mika Schmidt
Annette Groth im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 24.02.2016
Vor dem Hintergrund des Jahresberichts von Amnesty International hat die Linke die internationale Flüchtlingspolitik und deutsche Waffenexporte scharf kritisiert. Die menschenrechtspolitische Sprecherin Annette Groth fordert, die Türkei unter Druck zu setzen.
Die menschenrechtspolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, Annette Groth, sagte im Deutschlandradio Kultur, Jordanien und der Libanon hätten – gemessen an der Anzahl ihrer Einwohner – am meisten Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen. Die internationale Gemeinschaft habe zu wenig getan, um die beiden Länder zu unterstützen. Sie habe dort sichtbar unterernährte Flüchtlinge gesehen, berichtete Groth: "Das ist wirklich sehr bedrückend." Deutlich kritisierte Groth auch die Türkei. Von einer geordneten Flüchtlingspolitik könne keine Rede sein, niemand wisse, wie viele syrische Flüchtlinge das Land schon wieder nach Hause geschickt habe. Zudem würden Flüchtlinge in der Türkei gegen ihren Willen festgehalten.

Das Gespräch im Wortlaut:

Korbinian Frenzel: Wie steht es um die Menschenrechte in der Welt? Nicht gut – das ist ein Bauchgefühl angesichts all der Nachrichten von Terror und Krieg. Es ist aber auch amtlich, quasi amtlich – Amnesty International hat jetzt seinen jährlichen Bericht vorgestellt. Details dazu von Claudia van Laak. ((Einspielung))
Kritik also auch an Deutschland in einem großen Meer der Menschenrechtsverletzungen. Amnesty International hat seinen Jahresbericht vorgelegt. Versagt die internationale Gemeinschaft in punkto Menschenrechte, oder anders gefragt, was können wir realistischerweise überhaupt tun? Fragen an die menschenrechtspolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, Annette Groth. Guten Morgen!
Annette Groth: Guten Morgen!
Frenzel: Amnesty beklagt, dass die Staatengemeinschaft versagt hat. Unter anderem wirft Amnesty den Staaten vor, das Leid der rund 60 Millionen Flüchtlinge weltweit nicht gelindert zu haben. Gilt dieser Vorwurf auch für Deutschland, ein Land, das ja Hunderttausende, knapp eine Million Flüchtlinge aufgenommen hat im letzten Jahr?

In Flüchtlingsunterkünften gibt es zu wenig Privatsphäre

Groth: Der Vorwurf – so kann man mich vielleicht nicht fragen. Ich würde sagen, ich habe gerade eine Unterkunft fünf Minuten von meiner Wohnung in Stuttgart angeguckt, fangen wir mal da an. Ganz gedrängte Unterkunft in einem sehr schönen Stadtteil. Da ist die Privatsphäre nicht gesichert. Irgendwann sehr bald werden da Spannungen auftreten. Ich habe mit dem zuständigen Sozialarbeiter geredet. Alle wissen, dass das eigentlich absolut menschenrechtsfeindlich und unwürdig ist, sagen wir mal, diese Unterkunft, wie natürlich andere auch.
Ich bin ja diejenige, die seit anderthalb, zwei Jahren regelmäßig darauf gedrängt hat, sich vorzubereiten auf eine größere Zahl von Flüchtlingen, weil ich ja immer in Griechenland und auf der Balkanroute und so in den letzten Jahren unterwegs war und wusste, dass die Menschen, die Geflüchteten nicht in Griechenland bleiben werden und bleiben wollen und dass sie irgendwann mal zu uns kommen.
Frenzel: Frau Groth, das sind kleine, das sind wichtige Beobachtungen über Verhältnisse hier. Aber in dem großen Meer der Menschenrechtsverletzungen sind das nicht – ich möchte das Wort jetzt eigentlich nicht benutzen, aber ich mache es doch – Peanuts?
Groth: Na ja, irgendwo muss man anfangen. Nein, ich war gerade auch in Jordanien und im Libanon. Das sind ja die beiden Länder, die am meisten Geflüchtete aufgenommen haben. Jeder dritte Einwohner, Einwohnerin im Libanon ist ein Flüchtling. Auf drei Libanesen kommt ein Flüchtling, jeder Vierte.
Und da muss ich sagen, das ist wirklich sehr bedrückend. Die internationale Gemeinschaft hat da zu wenig getan. Ich habe sichtbar unterernährte Frauen kennengelernt, die mir dann auch sagten, sie haben Hunger, die letzten zwei Wochen eines Monats reichen die Rationen nur noch für Brot. Und, und, und. Ich hoffe, jetzt ganz schnell müssen die Plätze, die Versprechungen, die in London bei der Geberkonferenz gemacht worden sind, jetzt eingelöst werden. Den Leuten geht es schlecht.
Frenzel: Aber die Frage ist ja, was kann man konkret tun. Die Bundesregierung möchte zum Beispiel mit der Türkei eng zusammenarbeiten, um eben auch den Flüchtlingen zu helfen. Das wiederum kritisieren Sie, weil sie sagen, die Türkei verletzt Menschenrechte.
Groth: Aber wie! Aber wie.
Frenzel: Aber wie kommt man aus diesem Dilemma raus?

Mehr Druck auf die Türkei ausüben

Groth: Ich denke, mit der Türkei, da muss man viel stärker Druck aufbauen, was wir nicht gemacht haben. Ich war ja bei den Gesprächen mit Frau Merkel nicht dabei, aber wir haben ... mehr oder weniger schweigt die internationale Gemeinschaft zu den massiven, gravierenden Menschenrechtsverletzungen, die die Türkei, die türkischen Regierungsstreitkräfte an Kurdinnen und Kurden, aber auch an türkischen Oppositionellen begeht.
Frenzel: Druck aufbauen, das klingt gut, das klingt wohlfeil angesichts einer Situation, wo wir dann erwarten könnten, dass ein Präsident Erdogan sagt, tja, dann mache ich es ohne euch und dann mache ich auch nicht mehr das, was dringend notwendig ist, nämlich Flüchtlinge versorgen, eine geordnete Politik dort organisieren.
Angela Merkel und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan in Ankara.
Angela Merkel und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan in Ankara: Die Linke fordert von der Kanzlerin, die Türkei deutlich mehr zur Einhaltung der Menschenrechte zu drängen© TURKISH PRESIDENT PRESS OFFICE/dpa
Groth: Von geordneter Politik, ehrlich gesagt, kann man ja nicht so reden. Wir wissen nicht, wie viele Leute, wie viele Geflüchtete aus Syrien schon zurückgeschickt worden sind, nach Syrien nämlich. Da mehren sich die Anzeichen, das hat Amnesty auch in seinem Bericht dokumentiert, und in einem gesonderten Bericht im Übrigen. Viele Flüchtlinge sind in sogenannten Haftanstalten, Detention Centers, und ich hoffe, dass ich nächste Woche mit dem Menschenrechtsausschuss des Deutschen Bundestags eine dieser Haftanstalten besuchen kann.
Und dann natürlich Kinderarbeit – ach, das ist ja das Wenigste. Das ist auch eine Menschenrechtsverletzung. Aber die Leute werden festgehalten gegen ihren Willen, und kein Mensch weiß, ich kenne etliche Fälle auch, wo die eigentlich richtig sind, unter welchen Bedingungen sie da eingepfercht sind. Aber in punkto Kurdistan, kurdische Bevölkerung, stellen Sie sich mal vor, sechs Wochen 24-stündige Ausgangssperre – die Leute haben gar keine medizinische Versorgung. Kein Essen können sie kaufen, und, und, und.
Frenzel: Kommen wir noch mal kurz auf die politischen Verhältnisse bei uns. Ein Rücktritt gestern, Christoph Strässer, der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, aus einer gewissen Frustration heraus. Kann man so weit gehen zu sagen, die Idee, eine wertegeleitete Außenpolitik, also an Menschenrechten orientiert, die ist langsam passé, die funktioniert nicht mehr?
Groth: Nein, das wäre ja schrecklich, wenn wir da einknicken würden. Nein. Das steht ja auch in dem Amnesty-Report. Wir müssen eine Außen- und Sicherheitspolitik machen, deren Leitprinzip die Menschenrechte sind. Das hilft, langfristig bewaffneten Konflikten vorzubeugen.
Frenzel: Aber haben wir denn dafür genug Partner in der Welt, oder stehen wir da nicht ziemlich allein da?
Groth: Nein. Da haben wir schon genug Partner. Nur, man darf sie nicht alle ...
Frenzel: Aber die Türkei nicht, beispielsweise, Saudi-Arabien nicht.

"Wir dürfen keine Waffen mehr exportieren"

Groth: Ja. Aber wir geben denen ja immer noch weiter Waffen. Wir sind ja – das ist ja verrückte Politik, sehr kurzfristig. Irgendwann wird das mal sich negativ, noch negativer auswirken als jetzt schon.
Ich halte Saudi-Arabien wie die Türkei ... beide haben bislang und unterstützen vielleicht noch Daesh, IS, und, und, und. Deutsche Waffen sind an der blutigen Niederschlagung der Proteste in Bahrein beteiligt gewesen, das ist dokumentiert.
Wir dürfen keine Waffen mehr exportieren. Mit Waffen schafft man Kriege, das weiß man doch. Und es hat mal ein Botschafter aus dieser Region vor einigen Jahren zu uns gesagt, es wird Zeit, dass der Westen die Waffen wieder einsammelt, die er uns gebracht hat. Es gibt ja mehr Waffen in dieser ganzen Region als Brot, sage ich immer.
Frenzel: Frau Groth, ich habe bloß leider die Befürchtung, dass wir dann mit dieser Haltung ganz wunderbare Gesinnungsethiker sind, aber als Verantwortungsethiker versagen. Treibt Sie, trägt Sie diese Sorge nicht?
Groth: Nein. Ich denke, das sagen ja Politiker mittlerweile selber in der Region, also auch gerade Libanon oder Jordanien. Die ganze Region strotzt vor Waffen. Man kann da für 50 Dollar eine Kalaschnikow kaufen. Und wenn ich eine Waffe habe, dann ist die Wahrscheinlichkeit irgendwann mal sehr groß, dass ich sie auch benutze.
Und so viel Geld wird dafür ausgegeben, das ist ja noch ein anderer Punkt. Es ist ja eigentlich absolute Vergeudung von Ressourcen, von Geldern, die für die Entwicklung dieser Länder gebraucht werden.
Wir hatten gestern ein Gespräch mit einem Botschafter aus der Region, der sagte, wie wollen jetzt genauso viel haben Ausrüstung und Waffen und so weiter, wie ihr an Mali gebt – das war Mauretanien – wir müssen die Bedrohung gegen den Terrorismus sich wenden und so weiter und so fort. Immer mehr Waffen, immer mehr Waffen, eine wahnsinnige Aufrüstung, und das ist der falsche Weg. Da bin ich aber sehr von überzeugt.
Frenzel: Das sagt die menschenrechtspolitische Sprecherin im Bundestag, Annette Groth. Ich danke Ihnen für das Interview!
Groth: Gerne, gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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