Liebeserklärung an die Riviera

01.08.2013
Die Literaturwissenschaftlerin Anne Goebel hat ein Buch zusammengestellt über die italienischen Sehnsüchte von Schriftstellern und Künstlern. Darin reist sie gleichsam die berühmte Künste entlang, von Genua über Portofino nach La Spezia.
Da reiten donnernd die Walküren, teutonischer kann es kaum noch klingen. Doch damit ist jetzt Schluss.

Ich denke heute noch ein Seebad zu nehmen.

Schrieb Richard Wagner aus Genua. Dem Reisenden war an der italienischen Riviera so gründlich undeutsch zumute, dass er Nibelungen und Walküren vergaß und sich ganz in Moll gestimmt dem dolce faniente hingab:

Da habe ich denn Eis gegessen, Kaffee getrunken und eine Cigarre geraucht: eine göttliche Nacht unter haushohen blühenden Oleanderbäumen: - ich gestehe, ich wollte vor Wonne fast vergehen.

Anne Goebel zitiert den deutschesten unter den deutschen Komponisten. Die Redakteurin der Süddeutschen Zeitung hat italienische Literaturwissenschaft studiert, sie ist dem Land und der Literatur verbunden. Sie hat beides kombiniert und ein Buch zusammengestellt über die italienischen Sehnsüchte von Schriftstellern und Künstlern, von - wie es heißt: Kunstsinnigen und Kränkelnden. In ihrem Buch reist sie gleichsam die berühmte Künste entlang, von Genua über Portofino nach La Spezia, das als Militärhafen den schlechtesten Eindruck macht. Ganz anders Rapallo:

Man kommt zu nichts,

jubelt Siegmund Freud, der offenkundig sein "Über-Ich" in Wien gelassen hat:

Die himmlische Sonne und das göttliche Meer - Apollo und Poseidon - sind Feinde aller Leistung.

Alfred Noack, ein Fotograf aus Dresden, der ab 1860 in Genua Karriere machte, soll mit seinen Ansichtskarten die Küste bekannt gemacht haben. In dieser Zeit begann mit dem Ausbau der Eisenbahn und dem Anwachsen wohlhabender Mittelschichten der Tourismus zu einem europäischen Phänomen zu werden und bald wurden an der Riviera aus alten Adelspalästen mondäne Hotels. Das Sehnsuchtsland der Deutschen wurde für viele erreichbar - und sie waren hingerissen.

Luxus, Ruhe und Sinnlichkeit strahlte die Landschaft im milden Klima aus und fast alle genossen es - bis auf Virginia Woolf, die sich beklagte, sie sehe aus wie ein "gerösteter Knochen". Heinrich Heine beobachtete an sich, dass er wenig arbeite und viel lebe, Mark Twain war ganz und gar begeistert von den schönen Genueserinnen und Friedrich Nietzsche, der Schnauzbart unter den deutschen Philosophen, musste einräumen:

Ich lag nie so viel herum, in wahrer Robinson-Insularität und -Vergessenheit.

Allerdings - nicht einmal in Italien ist das Glück vollkommen und so mault denn Zarathustra:

Leider waren zwei missglückte Deutsche meine ständige Fußfessel.

Dieses Gefühl hatte in der Nachfolge Nietzsches wohl fast jeder deutsche Tourist in Italien - das Gefühl, er sei von missglückten Landsleuten umgeben. Heinrich Heine ließ Gerechtigkeit walten. Feinsinnig machte er die Unterscheidung, man treffe auch in Italien gelegentlich auf Spießbürger, es seien dann aber

italienische Orangenphilister und keine plump deutschen Kartoffelphilister.

Was die Sache doch deutlich erträglicher macht und vielleicht erklärt, warum auch unter Spöttern und Linken Italien ein Sehnsuchtsland war. Rosa Luxemburg zum Beispiel schrieb wunderbar heitere Briefe:

Schließlich gehen und kommen die Züge mit einer normalen Verspätung von ein bis zwei Stunden, und wenn ein naiver Indogermane aus dem Norden Europas im letzten Moment ins Coupé springt, so hat er dann reichlich Zeit, sich abzukühlen und zu beruhigen; nach Verlauf einer halben Stunde nämlich ruft der Schaffner erst mit sonorer Stimme "Partenza!", um darauf zusammen mit dem Lokomotivführer im Buffet zu verschwinden; nach einer weiteren halben Stunde erscheinen beide sichtlich erfrischt und in guter Stimmung auf dem Perron, und der Zug setzt sich dann allmählich wirklich in Bewegung.

Das Buch hat eine ganz der Vergangenheit verhaftete Anmutung, es ist eine Hommage an die Zeit, als die Riviera noch die Küste der Künste und des Reichtums war und noch nicht der Teutonengrill der 1960er Jahre. Aber Anne Goebel hat mehr geschrieben als nur eine Blütensammlung von Aussprüchen berühmter Menschen. Sie hat ein Reisebuch verfasst, weil sie oft die Orte von damals mit ihrem Erscheinungsbild heute vergleicht. Sie hat Genua eine Liebeserklärung gewidmet. Sie hat die farbigen Biografien häufig exzentrischer Besucher gezeichnet, und dann hat sie noch eine kleine Sozialgeschichte des Tourismus geschrieben und außerdem eine Literaturgeschichte der Reiseliteratur und der Klischees, denen sie zum Opfer fällt. Das ist eine Menge für gerade einmal 128 Seiten – leicht und gut zu lesen.

Besprochen von Paul Stänner

Anne Goebel: "An südlichen Gestaden. Die italienische Riviera der Künstler und Literaten"
Edition Ebersbach, Berlin 2013
125 Seiten, 25 Euro