Liebesdichtung als eigenständiges Terrain

31.01.2012
Hinter dem emotional eher flach gehaltenen Titel "Wie es war" verbirgt sich eine Sprachlandschaft, die auf den ersten Blick weniger schroffe Konturen aufweist als zu vermuten wäre. Liebe als existenzielle Grenzerfahrung zeichnet sich im Schatten der Sprache ab.
Michael Wildenhains 2005 erschienener Roman "Russisch Brot", in dem es um die Lesbarkeit von Geschichte geht, beginnt nicht nur mit dem Wort Liebe. Er ist im besten Sinn auch ein Liebesroman. Wie wäre eine Welt denn auch ohne die Beschwörung der Liebe auszuhalten. Dabei spielt eine geringe Rolle, ob sie als Utopie zeitlos existiert, als Erinnerung reflektiert wird oder als Tatbestand ganz gegenwärtig ist.

Nun ist eine Sammlung von Liebesgedichten erschienen, in denen Wildenhain einen poetischen Liebescode entwickelt. Hinter dem emotional eher flach gehaltenen Titel "Wie es war" verbirgt sich eine Sprachlandschaft, die auf den ersten Blick weniger schroffe Konturen aufweist als bei diesem Thema zu vermuten wäre. Überhaupt herrscht eine gewaltige Stille in diesen Gedichten. Von Zeit zu Zeit drängen sich lediglich Geräusche von fahrenden Zügen herein, rauscht das Wasser in alten Bleirohren, wird geatmet, geweint, gelächelt.

Liebe als existentielle Grenzerfahrung wird kaum direkt benannt, sondern zeichnet sich im Schatten der Sprache ab. Ob vom blanken Trieb die Rede ist oder vom Stillstand in Körper und Seele - alles vollzieht sich absolut. Auch werden Begehren, Erfüllung, Entsagung in sanften Schwingungen des Reims und in tradierten Rhythmen aufgefangen, die bis ins Liedhafte gehen. So greift Wildenhain auf eine schöne Form ritualisierten Sprechens zurück, die in ihrer klaren Struktur Halt zu geben vermag.

Bis auf wenige Ausnahmen, wo er sprachlich eindimensional arbeitet und die Möglichkeiten der Poesie vertan werden, gelingt es Wildenhain, die Liebesdichtung als ästhetisch wie thematisch eigenständiges Terrain präsent zu machen. So skizziert er im Gedicht "Wir standen in der Schönheit" in drei Vierzeilern die Fragilität einer Liebesbeziehung. Während in der ersten Strophe noch von einem "wir" die Rede ist, treibt der Fluss - "ein eisern Faden" - bereits durch eine "Ruinen"-Landschaft und die "Schönheit" beginnt zu schwinden. So dass am Ende der zweiten Strophe mit dem Vers: "Man redete auch nicht", das "wir" als liebende Einheit in ein "ich" und "du" zerfällt. Das Gedicht gerät aus dem Takt und verliert seine anfänglichen Konturen. In diesem Vorgang wird vorweggenommen, was sich am Ende ausspricht: "Noch immer bin ich einer/ Der ich für dich nie war".

Wildenhains Gedichte sind offene Gebilde. Sie kommen ohne Interpunktion und Titel aus. Die Lektüre wird nicht gelenkt und der Lesende nicht abgelenkt. In der Sprachbewegung selbst, die auf zeitliche wie räumliche, vor allem aber körperliche Impulse reagiert, entzündet sich ihr Reichtum. Und so liest sich der Vers: "Alles ist so weich und tragisch", aus dem letzten Gedicht der Sammlung, wie ein melancholisches Resümee. Schließlich gilt es ein Verlangen zu "buchstabieren", für das unser Alphabet irgendwie nicht ausreicht.

Besprochen von Carola Wiemers

Michael Wildenhain: "Wie es war"
Verlag Ralf Liebig, Weilerswist 2011
86 Seiten, 15 Euro
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