Lieber Gitarren als Synthesizer

Von Martin Böttcher · 10.11.2012
Die "Nova Scotia Music Week" präsentiert Bands aus der kanadischen Provinz Neuschottland - und hilft ihnen, sich einen Namen zu machen. Auch Konzertveranstalter aus Deutschland suchen hier nach neuen Impulsen.
Ganz und gar untypische Klänge für die Nova Scotia Music Week! Das Duo "Scientists of Sound" hat sich der elektronischen Musik verschrieben, aber die meisten der etwa hundert Besucher nehmen den wilden Auftritt ohne große Begeisterung zur Kenntnis. Daran können auch die Tiermasken, hinter denen sich die beiden in weiße Laborkittel gekleideten Musiker verbergen, nichts ändern – zu weit weg ist all das von den handgemachten rockige und folkigen Sounds, die das Programm des Festivals traditionsgemäß dominieren.

Seit 16 Jahren gibt es sie mittlerweile, die Nova Scotia Music Week, ein alljährliches Festival, bei dem sich ausschließlich Musiker aus der kanadischen Provinz Neu-Schottland präsentieren. Nova Scotia liegt direkt am Atlantik, die nicht einmal eine Million Bewohner haben oft schottische oder französische Wurzeln – und das, so sagt Scott Long, der Chef-Organisator der Nova Scotia Music Week, sei auch der Grund, warum man eher auf Gitarren als auf Synthesizer stehe:

"Wir haben hier eine stark von keltischer Musik beeinflusste Folk-Szene, eine ganze Reihe von Singer-Songwritern, einen Überfluss an guten weiblichen Singer-Songwritern und eine große Indie-Szene in Halifax."

Seit einigen Jahren wird die Nova Scotia Music Week nicht mehr in der Provinz-Haupstadt Halifax veranstaltet, sondern immer wieder an einem anderen Ort. Diesmal hat es Liverpool getroffen, das wie sein berühmter englischer Namensvetter an einem Fluss namens Mersey liegt, ansonsten aber so ziemlich das genau Gegenteil der Beatles-Heimat ist: Nicht einmal 3000 Menschen leben hier, der berühmteste Sohn der Stadt ist kein Popstar, sondern der 1999 verstorbene Country-Sänger Hank Snow.

Eine Hinterwäldler-Veranstaltung ist das Festival aber ganz sicher nicht: über einhundert einheimische Bands und Musiker spielen an diesem verlängerten Wochenende und haben neben hunderten Besuchern auch Dutzende Vertreter des Musikbusiness aus den USA und Europa angelockt. Die größte Delegierten-Gruppe kommt aus Deutschland – 20 Konzertveranstalter, Booker, Festivalorganisatoren, sorgfältig ausgesucht von Scott Long, dem Chef der Nova Scotia Music Week:

"Wir konzentrieren uns jedes Jahr auf einen neuen internationalen Musikmarkt: es ist eben einfacher, die Leute zu uns zu bringen als eine Band zum Beispiel nach Deutschland zu schicken, wo man nicht weiß, wie sie ankommen wird. Wir helfen unseren einheimischen Bands also, geschäftliche Brücken zu schlagen, indem wir sie mit ausländischen Musik-Geschäftsleuten zusammenbringen."

Eine dieser Bands, der beim Sprung über den Atlantik geholfen werden soll, heißt "Acres And Acres". Dahinter stecken zwei in Jeans gekleidete Bartträger mit einfachen, eindringlichen Songs. Ihr neues Album erscheint in wenigen Tagen, in Liverpool hoffen sie darauf, für Festivals und Konzerte im nächsten Jahr gebucht zu werden. Europa liegt von Neuschottland aus gesehen tatsächlich näher als das andere Ende Kanadas, und in einer strukturschwachen Gegend lockt Deutschland als drittgrößter Musikmarkt der Welt, sagt Chris Pope, der Eine von Acres And Acres:


"Wir leben in einer sehr kleinen Provinz in einem riesengroßen Land. Die paar Menschen, die es hier gibt, machen aber eine ganze Menge Musik. Die Nova Scotia Music Week öffnet uns hoffentlich einige Türen, damit wir hier rauskommen und unsere Musik exportieren können. Ohne die Kontakte, die wir hier machen, geht es nicht."

Und so geben die beiden von Acres And Acres also ein paar Tage lang alles, spielen so gut und konzentriert wie möglich, schütteln jede Menge Hände von Menschen, die sie vielleicht nie wiedersehen. Sie verteilen ihre Flyer, geben Interviews, verschenken ihre Musik, kleben Poster.

Die Nova Scotia Music Week ist schließlich ein so genanntes Showcase-Festival. Das heißt: Auch wenn die Konzerte für ganz normale Besucher offen sind, spielen die Bands vor allem für die internationalen Delegierten, die allerdings mitunter lieber miteinander reden, als zu schauen, was auf der Bühne stattfindet.

Am Sonntagabend wird dann wieder alles vorbei sein für Liverpool: Die Musiker fahren zurück in ihre Heimatorte, die meisten wohnen, ebenso wie die Organisatoren, in der Provinzhauptstadt Halifax. Und auch die internationalen Musik-Business-Leute machen sich auf, die Taschen voll mit Visitenkarten, Downloadlinks, CDs und der ein oder anderen noch nicht hundertprozentig sicheren Konzertvereinbarung. Einer von ihnen: Alexander Schulz, Erfinder des Hamburger Reeperbahnfestivals, das mit der Veranstaltung in Neuschottland kooperiert. Sein Fazit:

"Wofür steht Novia Scotia Music Week? Vielleicht für eine gute Form, diese Showcase-Events zu etablieren, denn ich bin mir sicher, dass es nicht alle schaffen werden, zu überleben. Und wenn man es so liebevoll, aber auch so pointiert macht wie die hier, das könnte zukunftsweisend sein. Und damit könnte sich diese Veranstaltung sicher absetzen von anderen, die es ja zu Hauf gibt, in anderen Erdteilen."

Das Musikfestival Nova Scotia in Kanada