Liebe zur Dissonanz

Von Aureliana Sorrento · 22.09.2006
Erst seit anderthalb Jahren lebt Christine de La Garenne in Berlin. Dennoch gehört sie schon längst zu jener Elite junger Berliner Künstler, deren Werke weltweit gefragt sind. In ihren Videoarbeiten entlarvt sie Attribute wie Anmut und Harmonie und zeigt die schreckliche Seite des Schönen.
Von der viel befahrenen Straße, an der Christine de La Garenne wohnt, dringt kein Ton in ihr Atelier. Das Haus liegt im Hinterhof. Aus den Boxen schallen die schrillen Strophen eines Songs der Shaggs.

"Man nennt sie die schlechteste Rock-and-Roll-Band aller Zeiten, ich finde sie aber ziemlich gut. Es sind drei Schwestern. Interessant finde ich, dass sie eine ganz eigene Art von Musik entwickelt haben, die all die Dinge außer acht lässt, die in der Musik wichtig sind, Rhythmus zum Beispiel oder Zusammenspiel, das scheint nicht zu weit zu kommen, aber das hat eine eigene Qualität."

Christine de La Garenne liebt Dissonanzen – zumal in der Kunst. Was man der zierlichen, feschen Person auf den ersten Blick vielleicht nicht zutrauen würde. Sie hat schwarzes schulterlanges Haar, fein geschnittene Gesichtszüge und braune Augen, in denen oftmals ein keckes Lächeln huscht. Es ist ihr aber ernst damit, wenn sie die Erwartungen unterläuft, die meist an das Kunstwerk herangetragen werden: Schönheit? Harmonie? In ihrer neuesten Arbeit, "Heute Formalismus", zeigt Christine de La Garenne, wie einfach die beliebten Kunst-Attribute zu haben sind – und wie beliebig! Über eine schwarze Leinwand bewegen ihre Hände regenbogenfarbig leuchtende Stäbchen und fügen sie zu geometrischen Formen zusammen.

"”Es sieht so aus, als würden die Formen irgendwas bedeuten oder als hätte es eine Wichtigkeit, dass die so liegen, dabei werden sie ja ständig bewegt, die Arbeit ist in ständigem Fluss, man sieht ja meine Hände, die dann darein gehen und diese Formen hin und her schieben, also es gibt kein fertiges Bild, es ist ja alles möglich, und es sieht alles gut aus In der Arbeit geht es eigentlich darum, sie ironisiert die Tatsache, dass die Dinge halt gut aussehen müssen in der Kunst.""

1973 in Karlsruhe geboren, ist Christine de La Garenne im Schwarzwald aufgewachsen. In einem kleinen, friedlichen Ort nahe der Grenze zu Frankreich, wo es ein bisschen langweilig war, wie sie sagt. Studierte dann Kunst an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe, zeitgleich Germanistik an der Universität. Jetzt hängt im Berliner Haus am Waldsee ihr Videoloop "Heimkehr”:

"Es ist der Schwarzwald, ich komme aus dem Schwarzwald. Aber ich meinte nicht so vordergründig die Heimkehr in den Schwarzwald, sondern eine ein bisschen ironische Betrachtung der Malerei, weil dieses Schwarzwald-Stillleben verändert sich im Laufe der Zeit, es ist eine ganz langsame Veränderung ..."

"Heimkehr" hat De La Garenne von einer Anhöhe aufgenommen. Man blickt auf Berge und Täler des Schwarzwaldes. Das Bild wackelt ein wenig. Dann friert es zum Video-Still ein, die Konturen der Dinge verschwimmen. Irgendwann steht der Betrachter vor einem üppig grünen, ölsatten Landschaftsschinken und hört aus den Lautsprechern Vögel zwitschern.

"”Manchmal fallen mir Szenen nur auf, weil ich sie höre. Ich sehe sie meist im zweiten Blick, ich hab erst das Geräusch im Ohr, und dann fällt mir die Szene auf. Von dem her spielt das Geräusch, das ich mit dem Bild zusammen vorfinde, eine relativ große Rolle, und ich versuche, den Originalton meistens zu verwenden, oder den Ton zu schaffen, der dem Originalton entspricht.""

Auch in den Videos "Der Bokker" und "Breakback", die in Peking entstanden sind, ist der Ton ein konstruktives Element. Vergangenes Jahr hat Christine de La Garenne mit einem Stipendium der Kulturstiftung des Bundes vier Monate in der chinesischen Hauptstadt verbracht.

"Was ich auffallend fand, ist es, dass die Menschen eingesetzt werden wie human resources sie werden gebraucht und wie eine Zitrone ausgepresst. Die Leute kommen vom Land in die Großstädte und arbeiten für total wenig Geld, für einen Euro den ganzen Tag und die bauen die neuen Städte von Hand ..."

Eine Erfahrung, die sich ihr eingeprägt hat. Im Video "Breakback" kreisen und schallen chinesische Stäbchen, als wären sie dicke Knüppel. Immer wieder. Die rasend schnelle Frequenz wirkt wie ein Folterakt, der nie zu Ende geht. Christine de La Garenne:

"Wenn man die ersten paar Sekunden anguckt, hat es ein bisschen was sinnliches, glaube ich, diese ganz hellen Stäbchen vor einem schwarzen Hintergrund, rotes Papier in einer Hülle, in der diese Stäbchen aufbewahrt werden. Am Anfang werden so langsam raus gezogen, dann wird es aber immer schneller. Ich wollte, dass es an Sinnlichkeit verliert und an einem bestimmten Punkt umfällt, dass eben das Schöne, das diese Komposition auch in sich trägt, dass es sich wandelt und bloß nur Destruktion ist."

Das Lächeln in ihren Augen erlischt, wenn sie davon spricht. Das Schreckliche des Schönen ist nun mal keine Ansicht, über die man lachen kann.