Liebe in Zeiten der Erinnerung

08.02.2011
Vanessa F. Fogel reist mit ihrer Protagonistin durch die halbe Welt, um die Wurzeln ihrer jüdischen Familie zu finden – und am Ende auch sich selbst.
Geschichte kann eine bedrohliche Macht sein − manche hat sie fest im Griff, andere versuchen sich aus ihr zu befreien, und einige wollen einfach nur einen Platz in ihr finden.
Vanessa F. Fogel erzählt von der jungen Jüdin Fela, der eine normale Kindheit und Jugend angesichts der Familiengeschichte nicht vergönnt ist. Die Großeltern sind Holocaust-Überlebende, ihr Vater ist Zionist, ihre Jugendliebe ist israelischer Soldat an einem gefährlichen Militärposten, und als Zehnjährige erlebt sie die Raketenangriffe auf Israel während des Zweiten Golfkriegs. Eine jüdische Geschichte voller Opfer und Entbehrungen scheint auf − aber auch eine, die nach einem sicheren und friedlichen Ort sucht.

"Sag es mir" erzählt so nicht nur von ihrer Erwachsenwerdung, sondern vor allem von ihrer Suche nach Identität als Vertreterin der dritten Generation – derer, die als Letzte mit Überlebenden der Schoah aufwachsen.

Die Heldin, aus deren Perspektive dieser Debütroman erzählt wird, wächst in Deutschland, in Israel und in New York auf – zunächst, ohne allzu viel Wert auf den jüdischen Teil ihrer Identität zu legen. Aber das ändert sich, als sie immer mehr über ihre Familie erfährt. Fela begibt sich auf die Suche und reist mit ihrem Großvater an die Orte in Polen, an denen er dem Tod gerade noch entronnen war – für sie bis heute ein Land wie ein "Riesenfriedhof". Dennoch trotzt sie dem Horror von damals: "Er hat überlebt, ich bin der Beweis". Sie will von ihm mehr erfahren über ihre Großtante, die Opfer der Schoah wurde und die ihren Namen trug – Fela.
Sie will, dass ihre Großmutter über ihre Erlebnisse spricht – was sie verweigert. Beides bleibt ihr fremd – das Schweigen der Großmutter genauso wie das viele Monologisieren des Großvaters. Sie will aber auch ihre Eltern verstehen: den Vater, der der zionistischen Idee nachhängt und den Nahost-Konflikt als Übergangsstadium zu einem ewigen Frieden sieht und: ihre Mutter, die den Kriegszustand als Beweis anführt, dass man in Israel gar nicht leben kann und als Jude nicht sicher ist. Und nicht zuletzt will Fela, dass ihre Eltern zusammenbleiben. Ein Gefallen, den die beiden ihr nicht tun. Fela reagiert mit diesem Satz darauf: "Meine Familie ist heute gestorben" – obwohl sie weiß, was der wirkliche Tod in ihrer Familie angerichtet hat. Doch was sie will, ist Zusammenhalt.

Vanessa F. Fogel erzählt eine Geschichte von Initiation und Selbstfindung – und einer langen Reise zwischen Deutschland, Israel und New York. Zwischen der Verwirrung der Gefühle, der Last der Geschichte und dem Kampf um die eigene jüdische Identität findet die Autorin in ihrem lebhaften Erzählduktus einen ganz eigenen, glaubhaften Ton. Nur gelegentlich schweift sie in eine allzu kokette und selbstverliebtes Stilistik ab, die zu sehr auf Wirkung achtet – und den "passenden", jedoch auch erwartbaren Satz an der richtigen Stelle setzt.

Aber über allem schwebt Fogels Erzähllust, die sie in einen Roman über Liebe und Tod gießt, der es in sich hat und der ganz nebenbei drei Generationen miteinander verbindet. Auch wenn zwischen ihnen die Abgründe des letzten Jahrhunderts klaffen.

Besprochen von Vladimir Balzer

Vanessa F. Fogel: Sag es mir. Roman
Aus dem amerikanischen Englisch von Katharina Böhmer
Weissbooks, Frankfurt am Main 2010
334 Seiten, 19,80 Euro