Libyen: NATO setzt auf Unterstützung arabischer Nachbarstaaten

Karl-Heinz Kamp im Gespräch mit Jörg Degenhardt · 30.03.2011
Nach Ansicht des NATO-Strategen Karl-Heinz Kamp kann eine militärische Operation in Libyen nur Erfolg haben, wenn die Nachbarländer Libyens sich beteiligen. Es gebe "keine Alternative dazu, diese ganze Angelegenheit zu einer regionalen Angelegenheit zu machen".
Jörg Degenhardt: Im Wasser, in der Luft, aber nicht zu Lande will die Internationale Gemeinschaft gegen Libyens Diktator Muammar al-Gaddafi vorgehen, so wie es die UN-Resolution erlaubt. Heute übernimmt die NATO offiziell das Kommando über den gesamten internationalen Militäreinsatz in Libyen. Für die Zeit nach Gaddafi wurden gestern auf einer internationalen Konferenz in London bereits erste Weichen gestellt, demnach könnte bald internationale Finanzhilfe an die Übergangsregierung fließen. Aber das ist schon der zweite Schritt, noch ist der erste nicht endgültig gegangen, noch ist Gaddafi nicht geschlagen – nach tagelangem Vormarsch haben die Aufständischen jetzt sogar einen ersten Rückschlag hinnehmen müssen.

Über Ziele und Risiken des militärischen Einsatzes jetzt unter NATO-Führung will ich reden mit Karl-Heinz Kamp, er ist Forschungsdirektor am NATO Defense College in Rom. Guten Morgen, Herr Kamp!

Karl-Heinz Kamp: Einen guten Morgen aus Rom!

Degenhardt: Worauf sollte sich denn Ihrer Meinung nach das Militärbündnis konzentrieren – auf die Sicherung des Waffenembargos und der Flugverbotszone? Das nämlich fordern zum Beispiel die Russen.

Kamp: Es ist ja so, dass die NATO sämtliche Aufgaben übernommen hat, die bisher von den Staaten ausgeführt sind, sprich halt eben sämtliche militärischen Aufgaben. Darauf sollte sich die NATO konzentrieren, und die NATO versteht das ganze Engagement ja sowieso als eine, wenn Sie so wollen, Partnerschaft mit Ländern in der Region, die ja von der Situation in Libyen, wenn es nun auseinanderfliegen sollte oder zu welchem Szenario auch immer käme, am meisten betroffen sind. Also die NATO hat dort eine Unterstützungsrolle zwar primär im militärischen Bereich, aber sie ist nicht der einzige Akteur dort, der dort für die Zukunft Libyens sorgt.

Degenhardt: Ja, und genau das ist die Frage: Wie integriert man denn Kräfte aus der Region in diesen NATO-Einsatz?

Kamp: Es ist natürlich sehr schwierig, weil die NATO immer noch in der Region, in der arabischen Welt keinen allzu guten Ruf hat. Das hängt mit einer Vielzahl von Dingen zusammen. Darum ist es das Ziel, so viel arabische Unterstützung zu bekommen wie irgend möglich. Das ist zögerlich, aber so nach und nach beteiligen sich ja Ländern daran, schlichtweg, weil sie erkennen, wie ich eben sagte: Sie sind von dem Ausgang oder von dem Fortgang der Entwicklungen in Libyen am meisten betroffen, und diese Einsicht setzt sich manchmal durch, oder nach und nach durch. Das Problem ist, dass viele Länder selber ja im Moment innenpolitisch sehr große Probleme haben, aber unterm Strich gibt es keine Alternative dazu, diese ganze Angelegenheit zu einer regionalen Angelegenheit zu machen.

Degenhardt: Die Bundesregierung sagt immer wieder, dass man sich nicht beteilige in Libyen. Ist das aus Ihrer Sicht redlich? Als zweitgrößter Beitragszahler nach den USA stellt Deutschland knapp 16 Prozent des NATO-Budgets – davon werden doch auch Teile der Libyenoperation bezahlt?

Kamp: Also es ist ja so, dass sich alle, nahezu alle NATO-Staaten in irgendeiner Form an der Mission beteiligen, zwar nicht unbedingt alle durch militärische Unterstützung, aber die Bundesregierung leistet ja Unterstützung durch ihr Personal in den Stäben. Ein großer Teil der militärischen Planungen gingen ja eben von deutschem Boden aus, von den dortigen NATO-Kommandos. Insofern sind nahezu alle NATO-Partner involviert. Natürlich können wir als NATO nicht dazu Stellung nehmen, wie weit jetzt nun einzelne Länder, was die da machen und was sie nicht machen.

Degenhardt: Was passiert eigentlich, wenn Machthaber Gaddafi sich trotz der Luftangriffe und Sanktionen an der Macht hält? Wird dann der Militäreinsatz in Libyen vielleicht zu einem zweiten Irakkrieg?

Kamp: Ich glaube, grundsätzlich ist man sich im Klaren, dass eine Zukunft mit Gaddafi kaum sein kann. Insofern ist in der Tat die Frage: Was passiert, wenn man weiter militärisch agiert und es passiert in der Führung in Tripolis nichts. Das Mandat schließt ja nicht grundsätzlich den Einsatz von Bodentruppen aus, es steht ja in der Resolution nur, dass es keine dauerhafte sogenannte occupation force geben darf.

Ich glaube nicht, dass es derzeit großen Appetit in der NATO gibt, solche Bodentruppen zu stellen. Auch da wiederum sind die Länder in der Region gefragt, die ja ebenfalls im Rahmen ihrer Möglichkeiten dort etwas machen können, weil – und die Einsicht setzt sich wirklich langsam durch – die am meisten davon betroffen sind, sprich: Weggucken und die NATO machen lassen geht dort nicht.

Degenhardt: Rechnen Sie denn mit einem baldigen Waffenstillstand?

Kamp: Das ist ganz schwierig zu sagen, weil wenn es nur um die Familie Gaddafi ging, die ja nach allem, was wir wissen, eine korrupte Vereinigung ist, wäre wahrscheinlich deren Ziel, das eigene Überleben zu sichern irgendwo halbwegs angenehm im Exil am ehesten zu erreichen. Mit Gaddafi selber, der ja immer wieder angekündigt hat, bis zur letzten Patrone zu kämpfen, ist das schwer vorstellbar. Insofern kann man überhaupt keine Prognosen machen. Ich glaube, dass der Führung in Tripolis sehr klar gemacht wird, dass es keine Alternative ist, dort auszuharren, es werden ja entsprechende Sondergesandte geschickt, und ich glaube, diese Botschaft, die ist sehr klar.

Degenhardt: Wie könnte es denn nach dem Einsatz in Libyen mit dem Land und ohne Gaddafi weitergehen, da wird doch auch wieder internationale Hilfe nötig sein, auch militärische vielleicht?

Kamp: Das ist etwas, worüber man sich sehr im Klaren sein muss, nicht unbedingt militärische, aber Sie haben ja ein Land, in dem es an nahezu allen Strukturen eines Staates – an Ministerien, an Parteien – an Entscheidungsstrukturen fehlt, das heißt, da wird man das machen müssen langfristig, was man im Fachjargon Nation Building nennt, also einen funktionierenden Staat aufbauen. Dazu kann und muss natürlich die EU, die UN Hilfe leisten, aber auch das wiederum ist ganz stark eine Angelegenheit der Nachbarn, der unmittelbaren Nachbarn und der Länder in der Region.

Degenhardt: Die NATO übernimmt heute offiziell das Kommando über den gesamten Libyen-Einsatz, Karl-Heinz Kampf war das, er ist Forschungsdirektor am NATO Defense College in Rom. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Kamp!

Kamp: Sehr gerne!
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