Liberale müssen "aufrechten Gang wieder lernen"

Christian Dürr im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 24.09.2013
Der FDP-Fraktionsvorsitzende im niedersächsischen Landtag, Christian Dürr, hat seiner Partei eine falsche Strategie im Bundestagswahlkampf vorgeworfen. Die Liberalen hätten sich kleiner gemacht, als sie eigentlich seien.
Korbinian Frenzel: "Politik ist die noch nicht getrocknete Tinte, mit der Geschichte geschrieben wird." Das ist ein wunderbares Bild des holländischen Schriftstellers Cees Nooteboom, und genau das ist jetzt die Frage mit Blick auf die FDP: War das ein Schuss vor den Bug am Sonntag? Kann sich die FDP wieder berappeln, oder ist das das Ende einer traditionsreichen Partei? Einer, der den Stift führt für ein gutes Ende, zumindest aus seiner Sicht ein gutes Ende dieser Geschichte ist Christian Dürr. Er gehört zu der seltener gewordenen Spezies von FDP-Fraktionsvorsitzenden, in Niedersachsen ist er das und jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Dürr!

Christian Dürr: Guten Morgen, Herr Frenzel!

Frenzel: Immerhin haben Sie ja schon einen, der die Scherben auffegen will: Christian Lindner, der designierte neue Vorsitzende. Hören wir mal kurz, was er gestern gesagt hat:

Christian Lindner: Ich will es mir zum Ziel setzen als Vorsitzender der FDP, wenn der Parteitag mich bestätigt, dieser liberalen Partei den Respekt zurückzugeben.

Frenzel: Tja, den Respekt zurückgeben, Herr Dürr, wie soll das gehen?

Dürr: Also, das war natürlich am Wochenende und der Sonntag ein bitterer Tag für die FDP, das war eine echte Zäsur in der Geschichte der Partei, aber Christian Lindner sagt das schon sehr richtig. Wer hinfällt, der muss auch aufstehen, sich den Respekt wieder erarbeiten. Und ich glaube, wenn wir jetzt den aufrechten Gang wieder lernen als Liberale, ich glaube, dann haben wir durchaus eine Zukunft.

Frenzel: Aufrechter Gang - das klingt natürlich schön. Das klingt aber auch so ein bisschen nach den üblichen Floskeln, die man dann so aufgreift. Lassen Sie uns das mal auseinanderdröseln mit Blick vielleicht auf Christian Lindner. Was unterscheidet denn einen Christian Lindner von einem Philipp Rösler? Wie soll ihm das jetzt ausgerechnet gelingen? Wir erinnern uns zurück - der personelle Aufbruch mit Rösler ist ja gerade mal zwei Jahre her, und da war Herr Lindner übrigens anfangs auch dabei.

"Wir haben uns kleiner gemacht, als wir eigentlich sind"
Dürr: Also so eine bittere Wahlniederlage lässt sich nicht nur an einzelnen Personen festmachen. Das gilt auch ausdrücklich für Philipp Rösler und das gesamte Führungsgremium, den gesamten Bundesvorstand, das gesamte Präsidium. Die FDP hat im Wahlkampf im Prinzip die falschen Schwerpunkte gesetzt. Wir haben uns kleiner gemacht, als wir eigentlich sind.

Wir haben im Wahlkampf falsch intoniert, nicht mit Inhalten nach vorne gegangen, sondern im Gegenteil, das haben ja auch alle Medien zu Recht kommentiert und uns auf unser Funktionsargument reduziert. Deswegen sagt Christian Lindner zu Recht und spricht über Respekt an der Stelle: Wir haben die Inhalte, aber die Wähler hatten offensichtlich nicht den Eindruck, dass diese Inhalte, dass dieses Weltbild, was die FDP vertritt, am Sonntag zur Wahl stand.

Und von daher geht es jetzt darum, den Respekt wieder zu erarbeiten, gerade auch durch inhaltliche Arbeit. Und dass Christian Lindner für Inhalte steht, das hat er in den letzten Jahren auch im Bundesvorstand, im Präsidium der Partei bewiesen.

Frenzel: Aber Herr Dürr, das mit den Inhalten, das müssen wir noch mal besprechen, denn die FDP war ja die ganze Wahlperiode nicht besonders wohl gelitten bei den Wählern in den Umfragen, aber auch konkret bei den Landtagswahlen. Und das muss ja wohl offenbar auch an diesen Inhalten gelegen haben, Stichwort Steuersenkung.

Ich bin immer noch nicht ganz sicher, was ist eigentlich Ihre Erkenntnis aus dieser Phase? War diese Forderung, Steuersenkung, und das Reduzieren auf dieses Thema falsch? Oder war es das Problem, dass Sie sich einfach nicht durchgesetzt haben damit?

Dürr: Also das war sicherlich das Problem. Wenn man in einen Wahlkampf mit einem sehr klaren Thema geht, wie das 2009 der Fall war, sich dann aber auch bereits in den Koalitionsverhandlungen nicht durchsetzt, dann ist der Wähler verständlicherweise enttäuscht. Dass man aber auch ...

Frenzel: Das heißt, das Ziel Steuersenkung ist eigentlich weiterhin richtig?

Dürr: Das ist eines der Themen. Aber die FDP hat natürlich viel, viel mehr Themen. Und dass sie das hat, zeigt der niedersächsische Landtagswahlkampf. Wir haben in Niedersachsen sehr klar auf das Schuldenthema gesetzt, also gesagt, der Staat darf sich nicht immer weiter verschulden und muss endlich mal mit dem Geld, das er von den Bürgern bekommt, auch zurecht kommen.

Also von daher gibt es viele Themen, übrigens auch im Bundestagswahlkampf, aber das ist zu wenig rübergekommen. Wenn ich daran denke, dass wir zurzeit in einem Land leben, wo ernsthaft eine Partei einen verpflichtenden Veggie Day fordert, dann, glaube ich, braucht es auch eine liberale Stimme, die deutlich macht, dass das die Bürger immer noch selbst entscheiden können. Und das ist im Bundestagswahlkampf zu wenig rüber gekommen.

Frenzel: Offenbar gibt es immer noch doppelt so viele Menschen, die dann mit einem Veggie Day besser leben können als mit der FDP, wenn man sich das Wahlergebnis anguckt. Aber lassen Sie uns noch mal auf diese Frage gucken mit der Funktion. Sie sagen jetzt gerade Niedersachsen. Ich meine, Sie haben ja bewiesen, wie man sich Leihstimmen holen kann, oder?

Katerstimmung bei der FDP am Bundestagswahlabend 2013
Katerstimmung bei der FDP am Bundestagswahlabend: Wie geht es weiter mit der Partei?© picture alliance / dpa / Marijan Murat
"Am Wahltag führt immer noch der Wähler selbst den Stift"
Dürr: Also am Wahltag führt immer noch der Wähler selbst den Stift. Und dieses Thema Leihstimme hat ja auch gezeigt, dass das nicht funktionieren kann, sondern der Wähler muss davon überzeugt sein, eine Partei zu wählen. Das war er in Niedersachsen. Wir hatten eine erfolgreiche Koalition, Niedersachsen ist übrigens auch ein erfolgreiches Bundesland.

Und wir konnten das in FDP-Stimmen ummünzen, weil wir glaubwürdig gesagt haben, wofür wir stehen, beispielsweise beim Schuldenthema, auch bei vielen Freiheitsthemen. Und dem Wähler ist ja der Eindruck vermittelt worden im Bundestagswahlkampf, dass man ohne FDP auch klare Mehrheitsverhältnisse hat. Wenn man sich jetzt die Nachrichten anhört, ist das ja ausdrücklich nicht der Fall.

Und wenn ich die letzten Nächte angucke - allein in meinem Kreisverband gibt es mittlerweile Eintritte in die FDP. Menschen, die sagen, jawohl, es braucht euch, es braucht die Stimme der Freiheit. Und von daher bin ich für die Zukunft zuversichtlich, aber das wird jetzt ein harter Gang, und da geht es genau darum, was Christian Lindner gestern auch in Berlin gesagt hat, sich jetzt diesen Respekt zurück zu erarbeiten, denn diesen Respekt haben wir im Bundestagswahlkampf verloren, das muss man ganz nüchtern sagen.

Frenzel: Wie klingt denn diese Stimme der Freiheit? Wenn wir mal auf den Erfolg der AfD blicken: Die haben ja eigentlich nur das kopiert, was Philipp Rösler angefangen hatte, als er Kritik geübt hat an dem Mainstream-Eurorettungskurs. Müssen Sie vielleicht da einfach ein bisschen umschwenken und sagen, wir sind jetzt auch die Partei, die da durchaus kritischer auf den Euro schaut?

Dürr: Also, das halte ich ausdrücklich für falsch. Und die FDP hat da auch eine andere Position als die AfD. Die AfD will den Euro einfach abschaffen und glaubt, dass danach Deutschland noch wirtschaftlich erfolgreich sei. Das ist ja nicht der Fall.

Wenn man mit Mittelständlern spricht, dann sagen die, der Euro hat uns ganz viel gebracht, nämlich insbesondere auch dann einen gemeinsamen Binnenmarkt, und wir können unsere Produkte gut exportieren, auch innerhalb von Europa, wo immerhin 50 Prozent der deutschen Exporte hingehen. Also von daher ist das, was die AfD sagt, viel zu kurz gesprungen.
Da sind mir die Konzepte der FDP lieber, zu sagen, wir dürfen die Schulden nicht vergemeinschaften. Wir dürfen jetzt nicht die anderen Länder, Griechenland und andere, aus der Pflicht entlassen, für die eigenen Schulden geradezustehen.

Das mag die unbequemere Antwort auch in einem Bundestagswahlkampf sein, die einfache Antwort ist aber an der Stelle ausdrücklich nicht die richtige, und von daher bin ich froh, dass die FDP es gerade nicht so gesagt hat wie die AfD im Wahlkampf es wollte, nämlich zu sagen, der Euro muss weg, und dann sind alle Probleme gelöst, denn das wär Quatsch. Ich glaube, das wissen auch die Menschen.

"Es geht nicht darum, neue Partner zu suchen"
Frenzel: Lassen Sie uns noch mal kurz auf die Union schauen. Die war nicht besonders nett zu Ihnen, Sie haben es auch selbst dargestellt. Haben im Prinzip diese Koalition ja fast in den letzten Tagen ignoriert, die Sie da gemeinsam hatten. Sind Sie sauer?

Dürr: Also ich glaube, das bringt in der Politik nichts. Das war in Niedersachsen ausdrücklich anders. Dort hatten wir mit der CDU einen sehr verlässlichen Koalitionspartner. Dass das auf Bundesebene anders gelaufen ist, das haben wir in den letzten Wochen festgestellt.

Aber ich will an der Stelle nicht zurückblicken, das muss die Union auch mit sich selbst jetzt ausmachen. Sie steht faktisch ohne Koalitionspartner da, es gibt keine klaren Mehrheitsverhältnisse im Deutschen Bundestag. Und die FDP muss sich jetzt auf sich selbst erst mal konzentrieren. Es geht nicht darum, neue Partner zu suchen, neue Koalitionen zu suchen, sondern jetzt erst mal sich selbst zu finden und die Inhalte, die wir haben, die auch im Bundestagswahlprogramm drin standen, die wieder nach außen zu transportieren, und gerade das Funktionsargument ist sicherlich etwas, was wir zurzeit nicht spielen sollten, sondern im Gegenteil, unsere eigenen Inhalte.

Frenzel: Aber ich frage noch mal für die Nachrichtenagenturen: Am Programm muss die FDP nichts ändern?

Dürr: Die FDP steht für die richtigen Inhalte, sie muss sich allerdings den Respekt der Bürgerinnen und Bürger wieder zurückerarbeiten, glaubhaft für diese Inhalte auch im politischen Alltag zu stehen. Und das war sicherlich in den letzten vier Jahren nicht ausreichend der Fall.

Frenzel: Das klingt fast ein bisschen wie Hip-Hop. Fraktionschef der FDP im niedersächsischen Landtag war das, Christian Dürr. Ich danke Ihnen für das Gespräch!

Dürr: Herzlichen Dank, Herr Frenzel!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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