Liberale am Tiefpunkt

Von Stephan Detjen, Deutschlandfunk · 26.03.2012
Die FDP hat an diesem Wochenende den Tiefpunkt ihres Absturzes markiert. Im Saarland ist sie aus dem Bereich der politischen Wahrnehmbarkeit verschwunden. Das bedeutet nicht unbedingt, dass sich ihr Niedergang fortsetzt, meint Stephan Detjen.
Wo wird der politische Liberalismus im 21. Jahrhundert seine Heimat finden? Ist es noch die FDP? Oder haben die Grünen die Rolle der Bürgerrechtspartei übernommen? Werden die Piraten uns lehren, wie man freiheitliche Politik in Zeiten der Digitalisierung und der Globalisierung praktiziert? Oder braucht der Liberalismus die Gestalt der politischen Partei gar nicht mehr, weil er seine Heimat im Schloss Bellevue, dem Sitz des neuen Freiheitspräsidenten Gauck gefunden hat?

Die nächsten Wochen werden Antworten auf diese Fragen bringen. Bis zum Sommer wird sich entscheiden, ob und an welcher Stelle FDP, Grüne und Piraten in den kommenden Jahren ihren Platz im politischen System der Bundesrepublik finden werden.

Mit der gestrigen Wahl im Saarland ist klar geworden, dass die Piraten mehr sind, als der politische Arm der Creative Industries in den urbanen Ballungsräumen. Die Analysen der Wahlforscher zeigen heute, dass die Piraten aus allen Bevölkerungsschichten und politischen Lagern Zulauf erhalten haben. Ihr Erfolg hat etwas mit dem Versprechen zu tun, jenseits der ermüdenden Interviewfloskeln und Talkshowsentenzen über Politik sprechen zu können.

Grund zum Nachdenken haben deshalb alle, die am hergebrachten politischen Diskurs beteiligt sind. Nicht nur die etablierten Parteien, auch die Medien, die der Politik ihre Gesetze des Entertainments, der Verkürzung und Verflachung aufgezwungen haben. Auch die Diskursherrschaft der Talkshows wird durch die direkte und partizipative Diskussionskultur der Piraten in Frage gestellt.

Der Erfolg der Piraten verändert auch die Rolle der Grünen im Parteienspektrum. Selten sahen sie im wahrsten Sinne des Wortes so alt aus, wie gestern mit ihren mageren fünf Prozent im Saarland. Die Partei, die vor 30 Jahren ähnlich wie heute die Piraten als provozierend neuartige Alternative zum politischen Establishment der alten Bundesrepublik auftrat, droht als letzte deutsche Milieupartei zu ergrauen. Im Aufmerksamkeitsschatten der Saarland-Wahl zermürbte sich ausgerechnet der Berliner Landesverband der Grünen am vergangenen Wochenende in quälenden innerparteilichen Macht- und Orientierungskämpfen.

Die FDP hat dagegen bereits an diesem Wochenende den Tiefpunkt des möglichen Absturzes markiert. Im Saarland ist sie aus dem Bereich der politischen Wahrnehmbarkeit verschwunden. Das bedeutet nicht, dass die Fortsetzung ihres Niedergangs nun vorprogrammiert wäre. In den beiden nächsten – dann in der Tat schicksalhaften Wahlen – tritt die FDP mit argumentationsstarken Führungsfiguren und verhältnismäßig geschlossenen Landesverbänden an.

Wichtiger als das Wahlergebnis aus Saarbrücken waren für die FDP deshalb die jüngsten Meinungsumfragen, die ihr in Schleswig Holstein und Nordrhein-Westfalen Werte zwischen vier und fünf Prozent bescheinigen. Sie sind der Beleg dafür, dass die Frage nach der Heimat des politischen Liberalismus im deutschen Parteiensystem auch an diesem Montag noch offen ist.