Leutheusser-Schnarrenberger über Guido Westerwelle

"Polarisierender Politiker und herzensguter Mensch"

Ex-Außenminister Guido Westerwelle (FDP) sitzt bei der Vorstellung seines Buches "Zwischen zwei Leben. Von Liebe, Tod und Zuversicht" am 08.11.2015 ins Berliner Ensemble in Berlin auf dem Podium.
Ex-Außenminister Guido Westerwelle (FDP) bei der Vorstellung seines Buches "Zwischen zwei Leben. Von Liebe, Tod und Zuversicht" am 08.11.2015 im Berliner Ensemble © Jörg Carstensen, dpa picture-alliance
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Gespräch mit Ute Welty · 19.03.2016
Er hoffte und kämpfte - und verlor doch. Die Trauer um den am Freitag verstorbenen FDP-Politiker Guido Westerwelle ist groß. Die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger würdigt Westerwelle für seine Verdienste um den politischen Liberalismus und die demokratische Streitkultur.
Die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat die Verdienste Guido Westerwelles um den politischen Liberalismus und die demokratische Streitkultur gewürdigt. "Er hat die FDP seit 1990 geprägt und die großen Erfolge der FDP miterkämpft an der Spitze," sagte die FDP-Politikerin im Deutschlandradio Kultur über den früheren Bundesaußenminister und langjährigen Bundesvorsitzenden der FDP, der gestern im Alter von 54 Jahren an den Folgen seiner Leukämie-Erkrankung starb.

"150-prozentig für eine Haltung streiten"

Leutheusser-Schnarrenberger bezeichnete Westerwelle als einen Politiker, der mit "aller Ambivalenz" ein großes Vorbild für liberale Politik bleiben werde. "Wirklich 150-prozentig für eine Haltung streiten, mit dem Wort und nichts anderem. Also den ganz gepflegten Streit in der Demokratie führen, mit dem Ziel, dann auch Besseres zu erreichen. Das konnte er exzellent." Im Laufe seines politischen Wirkens habe er auf dem Weg vom brillanten parteipolitischen Oppositionspolitiker zum Außenminister auch gezeigt, wie stark er sich wandeln und aus Fehlern lernen konnte.
Westerwelle sei keinem Streit aus dem Weg gegangen und habe stets seine Überzeugungen vertreten, auch im Interesse des politischen Liberalismus. Insofern mache die aktuelle Reflexion auch um die Ambivalenz der Persönlichkeit Guido Westerwelles noch einmal klar, "dass die FDP sich wirklich als eine ganzheitliche liberale Partei verstehen muss, die einen ganz festen Standort hat und nicht zögerlich ist, nicht wackelt angesichts von vielleicht Mainstreams, die nicht so mit liberalen Überzeugungen zusammenpassen."

"Dieser herzensgute Mensch, der anderen geholfen hat"

Persönlich behalte sie Guido Westerwelle als einen sehr verlässlichen Menschen in Erinnerung. "Wenn er Haltung bezogen hatte, konnte man wirklich sicher sein, dass er dann auch dabei bleibt und zu einem steht. Aber dass er eben beides konnte, so dieser polarisierende Politiker und dieser ganz herzensgute Mensch, der wirklich auch anderen geholfen hat und das außerhalb vom Rampenlicht."

Das vollständige Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Er war keiner, der in kurzen Hosen in der Welt unterwegs war. Als Außenminister hat es Guido Westerwelle nicht daran fehlen lassen, die Bedeutung des Amtes deutlich zu machen. Seine Partei, die FDP, konnte er zu großen Erfolgen führen, er hat mit ihr aber auch bittere Niederlagen erlebt. Jetzt ist Guido Westerwelle mit 54 Jahren an den Folgen seiner Leukämieerkrankung gestorben. Zu seinen Wegbegleitern und Parteifreunden gehört Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die frühere Bundesjustizministerin. Guten Morgen!
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Die Anteilnahme ist groß, parteiübergreifend, fraktionsübergreifend, auch Sie haben getwittert, nachdem Westerwelles Tod bekannt wurde. Wie möchten Sie heute Morgen seine Bedeutung für die FDP und den Liberalismus beschreiben?

"Auch so polarisiert, wie kaum ein anderer Politiker"

Leutheusser-Schnarrenberger: Er hat die FDP seit 1990 geprägt. Er hat die größten Erfolge für die FDP mit erkämpft an der Spitze, und er hat, glaube ich, so viel Kritik eingesteckt und auch so polarisiert, wie kaum auch ein anderer Politiker. Deshalb verkörpert er wirklich zweierlei: Ganz große Erfolge, Ansehen, Respekt für die liberale Überzeugung, aber auch ganz große Distance bis hin zu Teilen der Verachtung. Also ein unglaublich bewegendes Leben.
Welty: Aus den Nachrufen ist auch genau das deutlich geworden, was die Ambivalenz des Guido Westerwelle ausgemacht hat. Auch Sie waren nicht mit jeder seiner Entscheidungen einverstanden, gerade auch in Bezug auf die Führungskrise. Was bedeutet diese Ambivalenz für die Ausrichtung der FDP in Zukunft?

"Keinem Streit aus dem Weg gegangen"

Leutheusser-Schnarrenberger: Diese Ambivalenz und noch mal dieses Reflektieren um die Persönlichkeit von Guido Westerwelle macht, glaube ich, noch mal klar, dass die FDP sich wirklich als eine ganzheitliche liberale Partei verstehen muss, die einen ganz festen Standort hat und nicht zögerlich ist, nicht wackelt angesichts von vielleicht Mainstreams, die nicht so mit liberalen Überzeugungen zusammenpassen. Da ist er auch keinem Streit aus dem Weg gegangen, auch im Interesse des politischen Liberalismus. Ich glaube, er hat im Laufe seines Wirkens gezeigt, wie sehr er sich auch wandel konnte und wie sehr er auch Konsequenzen aus Fehlern gezogen hat. Das hat man ganz besonders dann in den letzten zwei Jahren in seiner Außenministertätigkeit gemerkt.
Welty: Haben Sie dafür mal ein Beispiel, eine Situation – Sie kannten sich aus dem Kabinett auch, er als Außenminister, Sie als Justizministerin –, wo Sie sagen, da ist das deutlich geworden, wie man auch eine solch politische Fehlerkultur in die Praxis umsetzt?
Leutheusser-Schnarrenberger: Er hat als Außenminister zuerst immer noch eher als Parteipolitiker gewirkt. Das Außenamt war für ihn überhaupt die Krönung seiner politischen Tätigkeit, aber man wächst ja in so ein Amt hinein, und Ministeramt ist noch mal was anderes, als brillanter Fraktionsvorsitzender zu sein.
Welty: Womöglich in der Opposition.
Leutheusser-Schnarrenberger: Genau so ist es. Da kann man Regierung vor sich hertreiben, dann ist man Regierung, und andere kritisieren alles, was man macht, jede Äußerung, jedes Auftreten, jedes Aussehen. Ich glaube, er hat dann wirklich gesehen und das auch dann umgesetzt, dass man eine klare Linie in der Außenpolitik, eine Wertebezogenheit – hier war das ganz besonders mit Blick auf die Umbrüche dann in Nordafrika, in vielen anderen Staaten zu sehen –, dass man sich wirklich an der Sache orientiert, auf höchster Ebene Gesprächspartner hat, aber dann eben wegfällt, sage ich mal auch, das Provozieren innerhalb der Parteipolitik, weil das dann nicht mehr zusammengeht.
Welty: Was alle Nachrufe und Reaktionen konstatieren, ist die große Leidenschaft, mit der sich Westerwelle eingesetzt hat. Auch Sie haben das gerade noch mal beschrieben. Ist das eine Eigenschaft, die Sie vielleicht bei manch anderem Politiker heutzutage beim politischen Nachwuchs vermissen?

"Er war und sollte Vorbild bleiben, mit aller Ambivalenz"

Leutheusser-Schnarrenberger: Ja, also ich denke, da war und sollte er auch Vorbild bleiben mit aller Ambivalenz, wie wir sie eben angesprochen haben, aber wirklich so 150- Prozent dann für eine Haltung streiten, demokratisch mit dem Wort und mit nichts anderem, aber auch damit Schwächen vielleicht in Argumentationen anderer aufdecken. Diesen ganz gepflegten Streit auch in der Demokratie zu führen, mit dem Ziel, dann auch Besseres zu erreichen, was zu verändern, das, glaube ich, brauchen wir unbedingt. Das konnte er exzellent, und das gehört einfach zur Demokratie dazu. Das demaskiert auch Wettbewerber und Konkurrenten.
Welty: Als was für einen Menschen behalten Sie Guido Westerwelle in Erinnerung?
Leutheusser-Schnarrenberger: Er war ausgelassen, er konnte gut feiern, er war wirklich sehr verlässlich. Wenn er Haltung bezogen hatte, dann konnte man wirklich sicher sein, dass er dann auch dabei bleibt und da auch zu einem steht, aber dass er wirklich beides konnte, so dieser polarisierende Politiker und dieser ganz herzensgute Mensch, der wirklich auch anderen geholfen hat und das außerhalb vom Rampenlicht.
Welty: Nach dem Tod von Guido Westerwelle die FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hier im Gespräch in "Studio 9". Danke dafür!
Leutheusser-Schnarrenberger: Ich danke Ihnen!
Welty: Ein gutes Wochenende!
Leutheusser-Schnarrenberger: Ja, danke! Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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