Leuchtendes Vorbild

Von Klaus Bölling · 14.01.2006
Dieser Amerikaner war tief religiös, ein Frömmler war er nicht. Wir, die allesamt jungen Redakteure, haben ihn nicht als "Boss" erlebt. Seine Konfession interessierte uns weniger. Wir hatten es, und das zählte, mit einem sattelfesten Liberalen zu tun. Gordon Ewing hat er geheißen und er war der Direktor des "Rundfunks im amerikanischen Sektor", RIAS genannt.
Ewing hat bei den Wahlen damals seine Stimme ganz sicher für den Demokraten Harry Truman abgegeben und später für Dwight D. Eisenhower. Der war Republikaner. Der RIAS-Chef hatte vor dem Krieg in einem der Südstaaten der USA als Studienrat gearbeitet und war jetzt der ranghöchste Amerikaner in diesem ungewöhnlichen Rundfunksender im Bezirk Schöneberg von Berlin. Ungewöhnlich war die Gründung einer amerikanischen Radiostation im "american sector" nicht als Idee der Regierung in Washington. Der Kalte Krieg hatte schon begonnen, aber er war noch nicht voll entbrannt, vom Koreakrieg waren wir nur noch wenige Jahre entfernt. "Eine freie Stimme der freien Welt" in den Äther zu schicken, war eine ganz treffliche Idee der Propaganda-Fachleute, die schon im Zweiten Weltkrieg in psychologischer Kriegführung trainiert worden waren. Ungewöhnlich war, dass die Besatzungsmacht die Programme des RIAS von Deutschen gestalten ließ. Natürlich war unter uns kein einziger Nazi.
Die Amerikaner, die ein bisschen auf die deutschen Redakteure aufpassen sollten, waren durchweg Verfechter der in ihrer Heimat unangreifbaren Pressefreiheit. Eigentlich gab es für sie nicht viel aufzupassen. Wir Programm-Macher waren ausnahmslos überzeugte, manche von uns sogar militante Antikommunisten. Aber Hasstiraden haben wir nicht in die Mikrofone gesprochen, anders als die dem Kommunismus ergebenen Redakteure in dem von der sowjetischen Militärregierung kontrollierten Deutschlandsender ein paar Kilometer weiter in Ostberlin. Und doch - das war ja anders gar nicht denkbar -, wir machten immer wieder auch einen angreiferischen Journalismus und berichteten Tag um Tag über die zahllosen Menschenrechtsverletzungen in der "Zone", sprich der späteren DDR. Im Westberlin des Kalten Krieges wimmelte es nur so von Agenten. Die CIA stellte bestimmt das größte Kontingent. So manche mehr oder minder wertvolle Information aus der DDR, die der RIAS vor und nach dem Mauerbau von "drüben" zugespielt bekam, landete beim amerikanischen Geheimdienst. Wir wussten das und fanden das völlig in Ordnung.

Einer der schärfsten Kritiker der Staatspartei SED ist Matthias Walden gewesen, ein Pseudonym. Er hieß Otto Freiherr von Sass, ein glänzender Formulierer und ein großartiger Propagandist der westlichen Werte. An ihn muss erinnert werden. Alle Westberliner wussten, dass sie allein von den Amerikanern vor einer politischen oder womöglich gewalttätigen Intervention der Sowjets oder ihrer deutschen Trabanten geschützt werden konnten. Alle Westberliner hörten den RIAS, es gab damals eine fest gefügte Hörergemeinde aus Berlinern und DDR-Deutschen. Es gab ja kein Guantanamo. Es gab allerdings schon Entführungen, aber nicht durch die CIA, dafür immer wieder durch die von den Sowjets gedeckten Stasi-Schergen von Westberlin in den Ostsektor.
Wir waren mit unseren amerikanischen "Controllern" ein Herz und eine Seele. Dabei hat der RIAS in Zeiten schwerer Ost-West-Konflikte seine Nachrichtensendungen genauso ungefärbt gesendet wie die Londoner BBC, die war unser leuchtendes Vorbild. Ich weiß mich noch zu erinnern, wie der RIAS meldete, dass Präsident Eisenhower vor der Gefahr des "militärisch-industriellen Komplexes" warnte, er, der General, wollte die Verquickung von Rüstungsindustrie und Politik verhindern. Tatsächlich, das war ein ungewöhnlicher Sender. Und dass der Kalte Krieg im geteilten Deutschland mit einem Sieg der Demokratie endete - dazu hat dieser "Rundfunk im amerikanischen Sektor" mehr als nur ein Scherflein beigetragen. Schon dadurch, dass er seinen Hörern und Hörerinnen in der DDR unermüdlich Hoffnung auf den Tag der Freiheit machte.

Klaus Bölling, geboren 1928 in Potsdam, arbeitete für Presse und Fernsehen, war unter anderem NDR-Chefredakteur, Moderator des "Weltspiegels", USA-Korrespondent und Intendant von Radio Bremen. 1974 wurde er unter Helmut Schmidt zum Chef des Bundespresseamts berufen, 1981 übernahm er die Leitung der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ost-Berlin. Zu seinen Buchveröffentlichungen zählen "Die letzten 30 Tage des Kanzlers Helmut Schmidt", "Die fernen Nachbarn - Erfahrungen in der DDR" und "Bonn von außen betrachtet".