Leonard Cohen

Ein Außenseiter im Maßanzug

Leonard Cohen bei einem Auftritt im Sommer 2013.
Leonard Cohen bei einem Auftritt im Sommer 2013: spirituell und dem Leben zugewandt. © FABRICE COFFRINI / AFP
Von Julian Weber · 19.09.2014
Seine Songs stecken voller religiöser Bezüge. Die Verwurzelung in der jüdischen Tradition hat der Sänger Leonard Cohen nie geleugnet. Gerne wäre er selbst ein Heiliger geworden, meint sein Biograf Thomas Kraft.
In der außergewöhnlichen Karriere des kanadischen Schriftstellers und Liedermachers Leonard Cohen kommen die Bezüge zur jüdischen Kultur so deutlich zum Vorschein wie bei keinem anderen Popstar. Cohen hat nie einen Hehl aus der Verwurzelung in seinen Glauben gemacht, der betet und den Sabbath heiligt. All das ist in seinem Alltag wie selbstverständlich integriert.
Geprägt ist Leonard Cohen, der am Sonntag seinen 80. Geburtstag feiert, durch seine Heimatstadt, die kanadische Metropole Montréal und durch sein Elternhaus. Dies beschreibt der Münchner Literaturwissenschaftler Thomas Kraft sehr anschaulich in seiner gerade erschienenen Cohen-Biografie "I’m your Man".
"Er ist in eine konservative jüdische Familie hineingeboren worden. Seine Vorfahren kommen aus Osteuropa, genauer gesagt aus Litauen, sie waren Gelehrte, der Großvater, der ein Rabbiner war, hat im Hause seiner Eltern mit gelebt und hat den kleinen Leonard vertraut gemacht, mit den jüdischen Legenden, hat mit ihm gebetet, hat mit ihm im Alten Testament gelesen, hat ihm viele Geschichten erzählt, auch aus dieser Stetl-Kultur."
Ist es ein Liebeslied oder geht es um die jüdische Diaspora?
Die Stimme Cohens spricht stets eindringlich zu den Hörern. So wirkt die Musik einprägsam. Das Einzigartige an Leonard Cohens Liedern ist gerade, dass er seine Hörer über ihre Motive stets rätseln lässt. Wie bei dem eben gehörten Song "Who by fire" aus dem Jahr 1974, bleibt unklar, singt Cohen ein Liebeslied oder stehen die darin vorkommenden religiösen und historischen Anspielungen im direkten Verhältnis zur jüdischen Diaspora in Montréal.
"Er hat zwar immer gesagt, eigentlich gehöre ich hier gar nicht hin, ich bin eher ein mediterraner Mensch, bin in die falsche Gegend geboren worden, fühle mich in der Wärme wohl. Aber es zog ihn tatsächlich immer wieder nach Montreal zurück in die Gegend Westmount, wo er aufgewachsen ist. Eine kleine jüdische Enklave in einer von Engländern und Franzosen dominierten Lebenswelt. Daneben gab es noch ein Indianerreservat, also eine Fülle von potenziellen Spannungsfeldern. Er hat sich auch als Außenseiter gesehen. Was sicherlich auch mit diesem jüdischem Selbstverständnis zu tun hat. Aber Montreal ist für ihn, der ja dann auch angefangen hat in die Bars und Cafes zu gehen, um ein bohemehaftes Leben zu leben, der Nährboden gewesen, für seine Karriere."
Jüdische Traditionen sind das Eine bei Cohen, das Andere ist die Sinnsuche, das Auskosten von Grenzen, eine schon egomanische Beschäftigung mit seinem Eros. Leonard Cohen verkörpert in seinen Liedern, aber auch auf der Bühne sehr glaubhaft den Lebemann. Aber er kennt auch die Abgründe des Showbusiness aus eigener Erfahrung.
"Er hätte sich selber gerne als Heiligen gesehen, als reine, puristische Figur, ganz dem Werk und dem Schaffen, der Ernsthaftigkeit des Tuns hingegeben. Auf der anderen Seite wissen wir jetzt nach 80 Jahren Leben von Leonard Cohen, dass es doch eine gewisse Diskrepanz gibt, zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Er war ja doch bei aller Sinnsuche, bei aller spiritueller Erneuerung, ein sehr lebenszugewandter Mensch."
Er inszenierte sich entgegen des Zeitgeistes der Sechziger Jahre
Bekannt wurde Cohen zunächst mit Romanen und Gedichten, weltberühmt machten ihn seine Songs, die er ab Ende der Sechziger Jahre veröffentlichte. Damit inszenierte er sich entgegen des damaligen Zeitgeistes.
"Er kam immer im Anzug daher und hätte, rein äußerlich auch Versicherungsvertreter sein können. Das hat er über all die Jahre einfach auch kultiviert, das war sein Stil, der ist ihm auch geblieben, Hüte tragen, Maßanzüge und auf gute Manieren Wert legend. Er hat viel ausprobiert, aber es hat ihn nicht interessiert, ob die Leute lange Haare haben. So Moden waren nie so sein Ding. Er ist ein bodenständiger Mensch, mit Anbindung an sein Zuhause. Er ist jetzt Großvater, er kümmert sich um die Familie, um die Enkelkinder. Das ist so sein Ding."
Leonard Cohen – "Halleluja"
Thomas Kraft: "Wie jeder Autor und gerade auch Lyriker liebt Leonard Cohen auch das Spiel mit Motiven, mit Themen, mit Bildern. Das reizt, das sind Adaptionen, die er dann neu besetzen kann. Er ist sehr belesen, er hat die Kabbala studiert, die Bibel, das Alte Testament. Das, ja, nuanciert immer wieder einfließen zu lassen, ist ihm schon wichtig."
Gerade hören wir Leonard Cohens Song "Halleluja". Er steckt voller religiöser Bezüge. Schon in der ersten Strophe tritt König David auf, in der zweiten Strophe wird die Erzählung von Bathseba zitiert und in der vierten Strophe kommt Haschem als "the Name" vor, die Bezeichnung für den Schöpfer. Genauso erforscht Cohen aber kulturelle Identitäten und interessiert sich für die Welt des Pop. Damit beweist er, dass man beides sein kann, ein Forscher und ein Gestalter von intelligenter Unterhaltung.
Thomas Kraft: "Er wollte auf die Bühne, wollte bekannt werden, Platten verkaufen, er wollte ein Star werden. Aber er hat sich immer zurückgezogen, es gibt da diese berühmten Hotelzimmer, in denen er monatelang gelebt hat. karge Ausstattung, keine Verbindlichkeiten, keine Briefkasten leeren. Ein Bett, ein Tisch, eine gute Flasche Wein, was zu schreiben und sich dann ganz vertiefen, auf das, was ihn wirklich interessiert und berührt."

Das Buch von Thomas Kraft "COHEN: eine Hommage" ist im Maro Verlag/Augsburg erschienen. Es kostet 10 Euro.