Leihmutterschaft

Wird Indien zur Babyfabrik?

Eine indische Leihmutter hält ihre Hände vor ihren Babybauch. Sie trägt das Kind eines Paares aus den USA aus.
Eine indische Leihmutter hält ihre Hände vor ihren Babybauch. Sie trägt das Kind eines Paares aus den USA aus. © dpa / picture alliance / Doreen Fiedler
Von Sandra Petersmann  · 05.11.2014
In Indien ist die kommerzielle Leihmutterschaft erlaubt. Befürworter sprechen von einer Win-Win-Situation für Leihmutter und die künftigen Eltern. Gegner verdammen diese stellvertretende Schwangerschaft als Ausbeutung armer Frauen, die keine andere Wahl haben.
Für Monika ist heute kein normaler Tag. Sie sitzt in einer Fruchtbarkeitsklinik in Neu Delhi und wartet darauf, dass ihr vier bis fünf befruchtete Eizellen eingepflanzt werden. Das soll die Chancen erhöhen, dass sie tatsächlich schwanger wird. Die Eizellen stammen von einer Spenderin, der Samen vom zukünftigen Vater des Kindes.
Monika: "Wir haben Probleme zu Hause. Mein Mann verdient nicht genug. Ich mache das für meine Töchter, sie sind zehn und fünf Jahre alt. Ich muss ihre Ausbildung absichern. Und ich kann gleichzeitig etwas Gutes tun."
Monika hat sich als Leihmutter für ein Ehepaar zur Verfügung gestellt, das keine Kinder bekommen kann. Ihr Ehemann verdient als Schulbus-Fahrer rund 60 Euro im Monat.
Monika: "Ich habe eine Frau getroffen, die für diese Klinik als Leihmutter gearbeitet hat. Ich habe ihr von unseren finanziellen Problemen erzählt. Sie hat mir dann vorgeschlagen, auch Leihmutter zu werden. Sie sagte zu mir: du bekommst viel Geld und du hilfst anderen Menschen."
Leihmutterschaft bringt Geld für die Ausbildung des eigenen Kindes
Dass sie anderen Menschen mit ihrer Entscheidung hilft, das wiederholt sie immer wieder. Monika wird als Leihmutter bis zu 4.000 Euro verdienen. Ihre medizinische Betreuung ist engmaschig. Sie bekommt Extra-Geld für hochwertige Nahrungsmittel. Die 30-jährige will, dass ihre beiden Mädchen später eine weiterführende Schule besuchen können.
Monika: "Es wird nicht leicht sein, das Baby nach neun Monaten wegzugeben. Aber was soll ich machen? Ich werde den Ärzten sagen, dass sie mir das Kind nicht zeigen sollen."
Die Fruchtbarkeitsklinik von Dr. Rita Bakshi in Delhi hat sich auf Leihmutterschaften spezialisiert. Sie machen 40 Prozent des Geschäfts aus. Dr. Bakshi's Kunden kommen vor allem aus den USA und Großbritannien.
Rita Bakshi: "Beide Seiten gewinnen. Die Leihmutter wird nicht ausgebeutet, sondern sie wird gut bezahlt und gut betreut. Ihre Gebärmutter ist gesund. Sie hat damit bereits eigene Kinder auf die Welt gebracht. Und jetzt kann sie damit ein anderes Paar glücklich machen. Ich vergleiche das mit einer Blutspende."
Indien, die Baby-Fabrik der globalisierten Welt! Befruchtungsspezialistin Rita Bakshi kann mit der Kritik aus dem Westen wenig anfangen.
Bakshi: "Kaum jemand hinterfragt eine Leihmutterschaft in den USA. Aber alle hinterfragen eine Leihmutterschaft in Indien. Warum? Wenn Sie der Meinung sind, dass eine Leihmutterschaft eine Frau zur Gebärmaschine degradiert, dann gilt das für die USA genauso wie für Indien. Ich denke, wenn die Leihmutterschaft für Amerika okay ist, dann ist sie auch für Indien okay."
Die junge Wissenschaftlerin Anindita hat ihre Doktorarbeit über das Thema Leihmutterschaft geschrieben und viele indische Leihmütter interviewt. Aninditas Fazit: Sie ist nicht dagegen.
Anindita: "Wir können die Entscheidung dieser Frauen nicht kritisieren, weil wir sie als Nation im Stich lassen. Wir bieten ihnen keine gute Gesundheitsversorgung und wir bieten ihnen keine sicheren Arbeitsplätze mit einer akzeptablen Bezahlung an. Das richtig und falsch beim Thema Leihmutterschaft ist sehr kompliziert und hat viele Facetten und Nuancen."
Die 68-jährige Neelu ist aufgeregt. Sie wird bald Großmutter von Zwillingen. Dann werden ihr ältester Sohn Ashish und ihre Schwiegertochter Eltern. Das Paar lebt in England. Die Zwillinge wird eine Leihmutter in Neu Delhi zur Welt bringen.
Neelu: "Die beiden sind so glücklich. Jedes Mal, wenn sie anrufen, sagen sie mir: 'Mama, wir können es gar nicht mehr abwarten!' Mein Sohn und meine Schwiegertochter haben es so lange versucht. Über zehn Jahre. Sie haben 2001 geheiratet."
In den USA ist eine Leihmutterschaft sechs Mal teurer
Der Kinderwunsch war riesig. Doch die Schwiegertochter wurde einfach nicht schwanger. Alle Fruchtbarkeits-Behandlungen des Paares schlugen fehl. Nach vielen Jahren der Frustration entschieden sich Ashish und seine Frau schließlich für eine Leihmutterschwangerschaft. In Indien. Im Heimatland des Vaters, das kommerzielle Leihmutterschaften seit 2002 erlaubt. Das medizinische Komplettpaket inklusive juristischer Begleitung kostet im Billiglohnland Indien rund 20.000 Euro. In den USA ist eine kommerzielle Leihmutterschaft sechs Mal teurer, in Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern ist sie verboten.
Neelu: "Am Anfang musste ich schlucken. Aber dann hat mein Sohn Ashish mich überzeugt. Er sagte zu mir: 'Mama, so eine Leihmutterschaft ist heute etwas ganz normales!' Irgendwann habe ich meinen Widerstand dann aufgegeben. Ihr Kinderwunsch war so groß, und wenn sie über eine Leihmutterschaft ein Baby bekommen können, warum nicht?"
Auf die Frage, was sie über die Leihmutter denkt, die ihre Enkelkinder auf die Welt bringen wird, reagiert Neelu verlegen.
Neelu: "Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Sie ist vermutlich in einer schwierigen finanziellen Lage. Ich habe gehört, dass die meisten Leihmütter arm sind. Und wenn die Frauen so Geld verdienen können, warum nicht?"
So sieht es auch Dr. Anoop Gupta. Die Zwillinge werden in seiner Klinik in Neu Delhi zur Welt kommen. Das Wartezimmer vor seinem Büro ist voll. Er ist ein sehr gefragter Mann. Gefragt von Paaren mit Kinderwunsch und gefragt von Frauen, die Leihmütter werden wollen. Es sind mehr als seine Klinik beschäftigen kann.
Dr. Anoop Gupta's Klinik in Neu Delhi
Dr. Anoop Gupta's Klinik in Neu Delhi© Foto: Sandra Petersmann
Anoop Gupta: "Was ist daran problematisch? Wenn eine außereheliche Schwangerschaft erlaubt ist, wenn eine Abtreibung erlaubt ist, warum sollte eine Leihmutterschaft dann verboten sein? Das Paar nimmt die medizinische Hilfe einer Frau an, die schon mit Kindern gesegnet ist. Und die Leihmutter verdient Geld, dass ihre Familie dringend braucht."
Die indische Hauptstadt ist voll von Fruchtbarkeitskliniken. Im ganzen Land sollen es rund 3.000 sein. Wie viele Leihmutterschaften im Programm haben ist unklar. Offizielle Zahlen gibt es nicht. Der indische Industrieverband schätzt, dass die Branche pro Jahr knapp zwei Milliarden Euro erwirtschaftet. Indiens Ärzte genießen weltweit einen guten Ruf, der Medizintourismus boomt.
Es dauert nicht mehr lange, dann wird Dr. Gupta sein 500. Leihmutter-Baby auf die Welt holen. Er betreut im Durchschnitt sieben ausländische Paare pro Monat. Doch auch indische Paare setzen immer öfter auf Leihmütter.
Gupta: "Wenn du darauf angewiesen bist, dann bist du dafür. Wenn nicht, dann bist du dagegen oder es ist dir egal."
Der indische Mediziner ist davon überzeugt, dass Länder wie Deutschland ihre Haltung zur Leihmutterschaft überdenken werden.
Gupta: "Schreiben Sie das ruhig auf: in fünf Jahren wird es erlaubt sein. Wenn Homo-Ehen erlaubt sind, dann ist alles erlaubt. Ich bin gegen die Homo-Ehe. Aber sie ist Realität."
Leihmutterschaft ist ein großes Familiengeheimnis
Meena ist im achten Monaten schwanger. Das Laufen fällt ihr schwer. Sie wird Neelu bald zur Großmutter machen und die Zwillinge für das Paar aus England zur Welt bringen. Weil es Zwillinge sind, bekommt Meena rund 1.000 Euro mehr als andere Leihmütter.
Leihmutter Meena ist im achten Monat schwanger mit Zwillingen.
Leihmutter Meena ist im achten Monat schwanger mit Zwillingen.© Foto: Sandra Petersmann
Meena: "Ich würde das nicht noch einmal machen. Wenn sie treten, dann tun sie mir weh. Als ich mit meinen eigenen Kindern schwanger war, hatte ich nicht solche Schmerzen. Wenn sich die Zwillinge bewegen, fühle ich mich oft unwohl."
Meena glaubt, dass es ihr nicht schwerfallen wird, die Babies nach der Geburt abzugeben. Zu den zukünftigen Eltern hat sie keinen Kontakt. Zu ihren eigenen und zu den Schwiegereltern auch nicht. Die Leihmutterschaft ist ein großes Familiengeheimnis. Meena ist vorrübergehend abgetaucht, um das Geheimnis zu wahren.
Meena: "Solange ich die Gesichter der Babies nicht sehe, ist das kein Problem. Die Mutterliebe wächst, wenn du in das Gesicht schaust. Ich habe schon zwei Kinder und bin glücklich. Wir machen das für die Zukunft unserer Söhne, für ihre Ausbildung. Die beiden Jungs sind 9 und 11 Jahre alt. Ich habe meinen Mann erst nach einem Jahr von einer Leihmutterschaft überzeugen können. Er hat sich schwer getan. Aber zu diesem einen Mal hat er dann ja gesagt."
Der Ehemann verdient als Taxi-Fahrer etwas mehr als 100 Euro im Monat. Das reicht für die Miete, für Nahrung und für das Aufladen des Handies. Aber für mehr nicht. Für ihre Leihmutterschaft bekommt Meena rund 5.000 Euro. Für diese Summe muss ihr Mann vier Jahre arbeiten. Und sparen könnte er nichts. Noch gibt es in Indien kein Gesetz, das das Geschäft mit der Leihmutterschaft regelt. Der Entwurf hängt seit Jahren im Parlament fest. Die Feministin Deepa von der Frauenorganisation Sama wünscht sich ein Gesetz, dass die Rechte der Frau in den Mittelpunkt stellt. Bisher seien Indiens Leihmütter unsichtbar. Man rede nicht mit ihnen, sondern über sie.
Bauch der schwangeren Leihmutter Meena
Bauch der schwangeren Leihmutter Meena© Foto: Sandra Petersmann
Deepa: "Das sind keine hilflosen Frauen, die gezwungen werden. Das schwarz-weiß Bild von der Ausbeutung greift zu kurz. Diese Frauen entscheiden sich gezielt an Hand der Informationen, die sie haben. Wir müssen uns fragen, wie wir Armut begreifen. Wir sprechen über die Würde der Frau, aber was ist mit ihrer Würde, wenn sie in Armut lebt und nicht aufsteigen kann? Und wer bestimmt, was würdig genug ist und was nicht? Die Welt hat das politische und wirtschaftliche Milieu geschaffen, in der das alles stattfindet."
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